«Alles Angsthasen, lackieren Sie um!»
Sauber
Anlässlich des Grossen Preises von Deutschland in Hockenheim am 25. Juli feiert Sauber Motorsport sein 40-jähriges Bestehen. Die beiden C29 von Pedro de la Rosa und Kamui Kobayashi werden einen entsprechenden Schriftzug tragen, und im Medienbereich von www.sauber-motorsport.com steht bereits jetzt eine historische Bildergalerie zur Verfügung. Der Schweizer Unternehmer und Teambesitzer Peter Sauber blickt auf eine bewegte Zeit zurück, über die er im folgenden Interview Einblick gibt.
Warum haben Sie sich vor vier Jahrzehnten dazu entschlossen, den Bau von Rennsportwagen zu Ihrem Geschäft zu machen? Die Schweiz ist ja nicht gerade der bevorzugte Ort dafür.
Durch meine gelegentlichen Hobby-Einsätze auf einem VW-Käfer und die Bastelarbeiten an diesem Auto bin ich mit der Schweizer Rennsportszene in Kontakt gekommen. Dort habe ich einen Gleichgesinnten kennengelernt, mit dem ich gemeinsam das Projekt zum Bau von zweisitzigen Rennsportwagen entwickelte. Hätten wir unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten geprüft, ob es sinnvoll ist, in der Schweiz Rennsportwagen zu bauen und zu verkaufen, dann hätte die Antwort nur Nein lauten können. Aber zum Glück siegt ja nicht immer die Vernunft!
Konnte man mit diesem Geschäft genug Geld verdienen?
Nein, das konnte man nicht. Wir bauten zwischen 1970 und 1978 insgesamt 13 Fahrzeuge der Typen C1 bis C5. Aber das rechnete sich nicht. Das Bauen und der Verkauf reichten bei weitem nicht. Hingegen konnten wir Geld verdienen, indem wir diese Fahrzeuge für zahlungskräftige Kunden einsetzten.
Gab es Momente, in denen Sie aufgeben wollten?
Oh ja, davon gab es viele! Vor allem die ersten zehn Jahre waren besonders schwierig, denn es fehlte nicht nur an finanziellen Mitteln, sondern auch an Personal. Wir stiessen auch physisch an unseren Grenzen. Wir haben oft bis tief in die Nacht gearbeitet. Besonders hoch waren die Belastungen beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans, wo man mit allen Vorbereitungen eine Woche lang kaum zum Schlafen kam. Wenn dann die Autos auch noch ausfielen, dann waren wir physisch und psychisch am Ende. Mehr als einmal habe ich von Le Mans aus meine Frau angerufen und ihr gesagt: Jetzt ist Schluss.
So richtige lange hat die Absicht aber nie gehalten.
Nein, wir haben immer weitergemacht. Ich war mir von Beginn an bewusst, dass es – aus ganz unterschiedlichen Gründen – extrem schwierig war, in der Schweiz vom Bau von Rennsportwagen zu leben. Was mich jedoch immer angetrieben hat, war der Wille, vor einer schier unlösbaren Aufgabe nicht zu kapitulieren.
Wie haben Sie damals gearbeitet? Wer hat konstruiert, wer gebaut?
Zu Beginn waren wir zu zweit. Beim C1, den wir im Keller meines Elternhauses bauten, stand am Anfang eine ziemlich gute Idee. Denn als Basis für diesen Rennwagen nahmen wir einen Brabham Formel 3 inklusive Motor und Getriebe, und wir konstruierten ein neues, zweisitziges Chassis mit Karosserie. Das Auto war der Konkurrenz klar überlegen. Deshalb konnte ich 1970 auf dem C1 auch die Schweizer Meisterschaft für Rennsportwagen gewinnen. Denn ich war als Pilot sicherlich kein Ausnahmetalent.
Wie ging es dann weiter?
Der C2 entstand nach dem selben Prinzip. Den C3 konstruierten wir komplett selber. Er basierte, wie seine zwei Vorgänger, auf einem Rohrrahmen. Wir waren vier Leute, einer davon ein Schulfreund, der damals ein Maschinenbau-Studium absolvierte. Er war für die Konstruktion verantwortlich, ich übte mich im Löten und Schweissen. Beim C4 und C5 verwendeten wir erstmals ein Aluminium-Monocoque, das wir ebenfalls in Eigenregie herstellten. Für den Bau der Karosserie war ab dem C3 die Firma Paucoplast verantwortlich, die auch heute noch für uns arbeitet. Es war eine sehr intensive Zeit.
Und dann folgte schrittweise die Zusammenarbeit mit Mercedes-Benz.
Ja, es begann 1984 und war am Anfang sehr delikat, weil Motorsport bei Mercedes damals ein Tabu-Thema war. Diese Haltung ging auf den schweren Unfall 1955 in Le Mans zurück. Eine verschworene Truppe von Mercedes-Ingenieuren hat uns damals in ihrer Freizeit unterstützt, bis wir dann 1988 offiziell Werksteam von Mercedes-Benz wurden.
Dabei spielte Professor Werner Niefer eine besondere Rolle.
Der damalige Vorstandsvorsitzende war ein Unternehmer alter Schule, wie man sie heute in grossen Unternehmen kaum mehr findet. Ich hatte mit Mercedes in jener Zeit keinen Vertrag, sondern ein Handschlagabkommen mit Professor Niefer, das mehr wert war als jedes vielfach unterschriebene Dokument.
Wie war das mit den Silberpfeilen?
Die Sauber-Mercedes C9 waren im März 1989 dunkelblau lackiert und bereit für den ersten Renneinsatz in Suzuka. Professor Niefer wollte die Autos jedoch silbrig lackiert haben. Aber es gab viel Gegenwind von seinen Vorstandskollegen, denen die Erfolgsaussichten zu unsicher waren. Professor Niefer bat mich, ein Modellauto silbrig zu lackieren und zum Autosalon nach Genf zu bringen, wo das entscheidende Meeting stattfinden sollte. Es verlief harzig. Dann legte er plötzlich seinen Arm um meine Schultern, nahm mich etwas zur Seite und sagte: Alles Angsthasen. Lackieren Sie um! – Was wir dann in einer Nacht-und-Nebelaktion taten. Es war die Wiedergeburt der Silberpfeile. Wir feierten in Suzuka einen Doppelsieg, gewannen die Weltmeisterschaft für Fahrer und Teams und landeten in Le Mans einen Doppelsieg. Wir zahlten ihm sein Vertrauen zurück.
Welches war denn die schönste Zeit im Laufe der 40 Jahre?
Auf Anhieb bin ich geneigt zu sagen, die erfolgreiche Zeit mit Mercedes. Aber wenn ich heute zurückblicke, dann stehen natürlich die 18 Jahre Formel 1 im Vordergrund. Eigentlich möchte ich nichts herausheben, denn die 40 Jahre waren als Ganzes einzigartig, und auch die schwierigen Zeiten sind ein Teil des Ganzen.
Sie haben Mercedes-Benz zurück in den Motorsport gebracht und BMW die Plattform für den Einstieg als Werksteam in die Formel 1 geboten. Sind Sie stolz darauf?
Ja, bin ich schon. Auch darauf, dass ich das aus der Schweiz heraus geschafft habe. Es sind ja doch zwei grosse deutsche Unternehmen mit einer langen Geschichte. Der deutsche Automobil-Club ADAC hat mich dafür 2005 geehrt. Das ist also nicht ganz verborgen geblieben.
Was waren für Sie die sportlichen Höhepunkte der Karriere?
In der «alten» Zeit war es sicher der Gewinn der Sportwagenweltmeisterschaft für Fahrer und Teams 1989 und der Doppelsieg beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans. In der «Neuzeit» war es der Doppelsieg durch Robert Kubica und Nick Heidfeld 2008 beim Grossen Preis von Kanada in Montreal.
Und die Tiefpunkte?
Das waren zweifellos die schweren Unfälle von Karl Wendlinger 1994 in Monaco, als er 19 Tage im Koma lag, und der furchterregende Crash von Robert Kubica 2007 in Montreal. Beide Unfälle gingen letztlich glimpflich aus. Robert fährt weiterhin in der Formel 1 und Karl bei den GT-Sportwagen. Dafür bin ich sehr dankbar.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich möchte das Team wieder in sichere Bahnen führen und sportlich auf einem guten Niveau etablieren. Wenn mir das gelingt, ist meine Mission erfüllt.