Reglement 2023: FIA-Maulkorb für Formel-1-Fahrer
Immer wieder hatten in den letzten Jahren Formel-1-Fahrer Rückgrat genug, zu unbequemen Themen Stellung zu nehmen. Mercedes-Star Lewis Hamilton trug in Mugello 2020 ein T-Shirt: «Verhaftet die Polizisten, die Breonna Taylor getötet haben». Sebastian Vettel prangerte im Juni 2022 die Ölförderung in Kanada an – mit entsprechenden Aussagen auf einem Hemd und auf seinem Helm. Damit ist jetzt wohl Schluss. Denn der Autosport-Weltverband FIA hat den so genannten Sportkodex verändert.
Im «International Sporting Code», gewissermassen dem Verhaltens-Leitfaden für Autosport-Wettbewerber, ist neu verankert: «Die Darstellung politischer, religiöser und persönlicher Ansichten ist untersagt, wenn sie die Grundsätze der Neutralität der FIA verletzen.» Keine Regel ohne Ausnahme: Es darf Stellung bezogen werden, wenn das Anliegen zuvor dem Verband schriftlich eingereicht wurde und von den Regelhütern gutgeheissen wird.
Das Verhalten von Hamilton und Vettel führte zu einer Aussage des FIA-Präsidenten Mohammed Ben Sulayem: «Fahrer wie Niki Lauda und Alain Prost ging es nur ums Fahren. Heute haben wir Vettel auf einem Rad in Regenbogenfarben, Lewis setzt sich für Menschenrechte ein, Norris spricht mentale Schwierigkeiten an. Jeder hat das Recht zu denken, was er will. Für mich geht es darum zu entscheiden, ob dieses Recht den Sport überwiegt.»
Die Aussagen des FIA-Chefs wurden als Kritik ausgelegt, worauf er sich zu einer Stellungnahme genötigt sah, in welcher er seine Bemühungen für Vielfalt und Einbindung betonte.
Ebenfalls neu im Sportkodex: Der Abschnitt über Fehlverhalten ist erheblich ausgebaut worden. «Es ist generell untersagt, sich mit Sprache oder Gesten abschätzig, angreifend, grob, unverschämt oder ausfällig zu äussern oder ein unangemessenes Verhalten zu zeigen, das bei anderen Menschen zu Beleidigung oder Erniedrigung führen kann.»
«Die FIA schützt die Menschenrechte und die Menschenwürde, sie duldet keine Diskriminierung punkto Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Ausrichtung, Herkunft, Sprache, Religion, philosophischer und politischer Ansichten, Familiensituation oder Behinderung. Sie wird bei Zuwiderhandlung entschlossen vorgehen.»
Seitens der FIA wird vertiefend erklärt, der Sportkodex sei lediglich in Einklang mit den Richtlinien des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) ergänzt worden.
Sebastian Vettel: «Dann bin ich ein Heuchler»
Worum ging es Sebastian Vettel im Rahmen des Kanada-GP? Der Heppenheimer trug in Montreal ein T-Shirt mit der Aufschrift «Stoppt den Teersandabbau – Kanadas Klimaverbrechen», ab Freitag fuhr er mit einem besonderen Helm-Design, um auf sein Anliegen aufmerksam zu machen. Es geht um Ölförderung im Bundesstaat Alberta, westlich von Québec.
Experten sagen: Die Vorkommen in Athabasca, Peace River und Cold Lake bilden das drittgrösste Erdöl-Depot weltweit. Aber es ist sehr aufwändig und umweltschädlich, das Öl aus dem Teersand zu gewinnen. Gemäss Greenpeace unterscheidet sich die Förderung von Öl aus einem Ton- und Sandgemisch markant von der herkömmlichen Erdöl-Förderung. Denn solche Ölsandschichten befinden sich in dreissig Metern Tiefe. Und um dahin zu gelangen, werden Kanadas Urwälder gerodet und der Mutterboden abgetragen. Erst dann kann das Gemisch aus Sand, Lehm und teerähnlichem Öl aus dem Boden gehoben werden.
Sebastian Vettel: «Viele Menschen wissen von all dem nichts, auch nicht in Kanada. Es geht darum, an künftige Generationen zu denken.»
Diese Worte brachten Sonya Savage auf die Palme, Energie-Ministerin von Alberta: «Ich habe ja schon Einiges an Heuchelei erlebt im Laufe der Jahre, aber das übertrifft nun wirklich alles. Ein Rennfahrer von Aston Martin, dessen Team von der saudischen Ölgesellschaft Aramco unterstützt wird, beklagt sich über Ölsand.»
«Saudi Aramco ist der grösste Ölförderer der Welt und angeblich der grösste Produzent von Karbon-Emissionen seit 1965. Statt den Ölsand-Abbau zu verteufeln, sollten die Leute lieber mal auf ihren Karbon-Fussabdruck achten. Vielleicht mit Tretautos für die Formel 1?»
Vettel erwiderte: «Dann bin ich halt ein Heuchler, wenn ich einen Job mache, den ich liebe, wenn ich aber gleichzeitig auf Umwelt-Belange hinweise. Wir werden alle von verschiedenen Leidenschaften getrieben, und ich werde mich nicht verbiegen. Ich finde es enttäuschend, wenn mich Politiker persönlich angreifen, denn hier geht es nicht um mich, es geht um ein viel grösseres Bild.»