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Schumacher: Das perfide Spiel der Klatschpresse

Von Andreas Reiners
Michael Schumacher

Michael Schumacher

Immer wieder sorgt die Klatschpresse in Deutschland für fragwürdige Geschichten und Schlagzeilen rund um das Schicksal von Michael Schumacher. Medienexperte Christoph Bertling erklärt das Phänomen und die Hintergründe.

Michael Schumacher grinst dem Leser entgegen. Neben ihm ist seine Frau Corinna, auch sie wirkt glücklich, auch sie lächelt. Traute Familienfreude, so scheint es. Dazu die Überschrift: «Glücks-Jubel. DAMIT hat KEINER gerechnet.»

Es ist das Cover von «Das Goldene Blatt» vom 22. April. Wenige Tage nur, nachdem das Fake-Interview mit Schumacher mittels einer KI in «Die Aktuelle» erschien, das hohe Wellen schlug. Nach dem Sturm der Entrüstung und einer Klage-Ankündigung der Schumacher-Familie gab es eine Entschuldigung der Funke-Mediengruppe, außerdem wurde die Chefredakteurin entlassen. Ironie des ganzen Dramas: «Das Goldene Blatt» ist ebenfalls Teil der Funke-Mediengruppe.

Und womit laut Schlagzeile keiner gerechnet hat, ist die Tatsache, dass sich Schumacher auch zehn Jahre nach seinem Skiunfall noch immer felsenfest auf seine Familie verlassen kann. Noch mehr als zuvor. Belege sind Zitate von Corinna aus der Netflix-Doku «Schumacher» aus dem Jahr 2021. Diese Art der «Berichterstattung» hat nicht ganz die Niedertracht des KI-Interviews, ist aber moralisch auf einer ähnlichen Stufe angesiedelt und gehört zudem Spiel der Yellow Press, also der Klatschpresse, mit der die Schumacher-Familie seit dem Unfall 2013 umgehen muss. Nicht immer mal wieder, sondern andauernd.

Machart, Motivation und Wirkung machen sprachlos

Das Portal «Übermedien» protokolliert und kritisiert dieses Spielchen schon länger, unter der Rubrik «Topf voll Gold» findet man viele Beispiele, nicht nur von Schumacher. Setzt man sich mit Machart, Motivation und Wirkung näher auseinander, macht die perfide Masche schnell sprachlos. Es sind zahllose Beispiele mit Überschriften wie «Aufgewacht!», «Abschied von der Hoffnung» oder «Im Juli endlich zurück im Leben», die mit der Krankheit Schumachers spielen.

Mehrere Faktoren kommen hier zusammen. An erster Stelle natürlich das immer noch enorme Interesse an dem Schicksal Schumachers. «Er ist ein ‚gefallener Held‘, es steht eine große Tragödie dahinter», sagt der Sportökonom und Kommunikationswissenschaftler Christoph Bertling von der Sporthochschule Köln SPEEDWEEK.com. Dazu kommt die Tatsache, dass der heute 54-jährige Schumacher seit dem Unfall von der Familie abgeschirmt wird, viel ist zu seinem Gesundheitszustand nicht bekannt. Dieser Mix trifft dann auf «Voyeurismus und Neugier, die ältesten Bedürfnisse, die es gibt. Und manche Medien versuchen, das riesige Interesse aus niederen Beweggründen auszunutzen», sagt Bertling.

Im Mittelpunkt steht nicht die Information, sondern die Auflage, die harte Währung der Zeitschriften wie «Die Aktuelle» oder «Das Goldene Blatt». Diese boulevardesken Wochenmagazine, die angeblich niemand liest, erleben in Deutschland seit Jahren zwar einen Sinkflug, haben aber immer noch eine Millionen-Auflage, und der Kampf um die Leser wird hart und unerbittlich geführt. Dabei heiligt der Zweck die Mittel, mit Taschenspieler-Tricks, Täuschungen und unlauteren Mittel wird die Kundschaft angelockt. Mit fragwürdigen journalistischen Kniffen wie Überschriften, die etwas Sensationelles suggerieren, obwohl inhaltlich nur heiße Luft herrscht. Mit Stories, die keine sind, sondern meist nur Aufgewärmtes, eine Mischung aus alten Zitaten, verdrehten Informationen und vermischten Fakten. Und die Skrupellosigkeit hinterlässt einen sehr faden Beigeschmack.

Es gibt eine Nachfrage

Doch neben der plumpen Machart ist da nun mal auch «die Nachfrage, die es dafür gibt», betont Bertling: «Die Leserschaft möchte die Sensation haben, den voyeuristischen Blick hinter die Kulissen. Es geht nicht um Fakten, sondern darum, mit den Gerüchten und Spekulationen Klatsch und Tratsch zu haben.»

Es sei immer nur die Frage, wie weit man gehe, so Bertling: «Und bei Schumacher werden zig Grenzen überschritten», so der Medienexperte, der das als «Tragik hinter der Tragödie» bezeichnet: «Dass man keinen Abstand halten und die Privatsphäre achten kann. Es fehlt der Respekt, aber auch die Sensibilisierung für Menschen allgemein.»

Der Journalismus hat hier ein gewaltiges Problem mit der Mischung aus Fake News, unmoralischer Machart und Clickbait, denn er ist dann «eine Maschinerie, die mit menschlichen Schicksalen handelt, ohne sie noch überhaupt zu verstehen. Man sieht nur noch die Medienfigur, aber nicht mehr die Person», so Bertling. Das richtige Maß ist längst verloren gegangen.

Das Problem: Personen aus dem öffentlichen Leben haben ein eingeschränkteres Privatrecht, Promis sind weniger geschützt. Die Verlage kalkulieren zudem Kosten für Anwälte und Entschädigungen beim Verkaufspreis ein. «Offensichtlich sind die Entschädigungssummen zu gering», sagte Severin Riemenschneider, Partner in der «Media Kanzlei», dem RND. «Es funktioniert seit Jahrzehnten genau gleich und wird auch weiter so gemacht, so lange der repressive Effekt von Gerichten derart stiefmütterlich behandelt wird.»

Selbst wenn gerichtlich eine Unterlassung durchgesetzt werden kann, ist die Geschichte in der Welt. In der ePaper-Ausgabe werden die entsprechenden Passagen zwar geschwärzt, der Titel darf mit der Aussage nicht mehr verkauft werden, hohe Geldstrafen für die Verlage sind aber selten. «Betroffene überlegen sich da schon gut, ob sie wirklich dagegen vorgehen», sagt Riemenschneider. Und: «Jeder einzelne muss gegen jeden einzelnen Bericht vorgehen», fügt der Anwalt hinzu. Eine Vorgeschichte, oder ein wiederkehrendes Muster wird dann vor Gericht nicht mit einbezogen. Für die Kläger ist das mühsam, aufwändig, und sorgt zudem für noch mehr Aufmerksamkeit.

«Es gibt ein Recht auf Gegenwelt»

Vertreter der Yellow Press selbst sehen das Ganze wenig überraschend etwas anders. So erklärte Funke-Pressesprecher Tobias Korenke beim «PR-Report», man erfülle «eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Gerade in Krisenzeiten wie diesen gibt es ein Recht auf Gegenwelt. Da kotzt mich der intellektuelle Hochmut mancher Leute wirklich an.» Die in «Deutschlands Bildungselite verbreitete Abwertung von Klatschblättern» hält er für «überheblich».

So falsch ist die Ansicht, es gebe ein Recht auf Gegenwelt, auf den ersten Blick nicht. «Unterhaltung ist ein normales Bedürfnis des Menschen, und es ist nicht falsch, in Krisenzeiten in eine Parallelwelt zu schlüpfen», sagt Bertling. Doch natürlich gibt es ein dickes Aber: «Das Bedürfnis kann niemals als wichtiger erachtet werden als die Verletzung der Menschenwürde.» Die wichtige Grenze zwischen dem normalen Spiel, auf das man sich als Promi ein Stück weit einlässt, also dem eher harmlosen Klatsch und Tratsch, und der Verletzung der Würde «kennt die große Mehrzahl der Yellow Press nicht», so Bertling.

Warum schaffen die Schumachers keine Fakten?

Was man sich automatisch fragt: Ist es dann aus der Sicht der Familie Schumacher strategisch nicht sinnvoller, mit einem Statement die offenen Fragen zu klären und dann immer mal wieder Updates zu veröffentlichen? Dann würde man der Regenbogenpresse doch theoretisch die Grundlage für ihre Geschichten nehmen? «Es steht aber die Familie im Vordergrund, und man muss akzeptieren, wie diese damit umgeht», so Bertling. Schumacher war auch während seiner Karriere immer auf seine Privatsphäre bedacht. Er stand als Sportler in der Öffentlichkeit, hat auch von ihr profitiert, sie sich aber nicht ausgesucht, sondern sich, wenn er konnte, dagegen entschieden. Hinzu kommt, so Bertling: «Es kann sein, dass die Medien diese neuen Informationen stärker nutzen, um noch weitere Spekulationen anzuheizen oder an weitere Informationen ranzukommen.»

Was bleibt dann noch, damit die Grenzen nicht mehr überschritten werden? Ein moralisches Verständnis aufbauen, den moralischen Kompass richtig ausrichten, journalistische Standards in der Ausbildung nachhaltig setzen. «Natürlich sind Reichweiten wichtig. Es ist aber niemals gekoppelt an Medienethik und moralische Vorstellungen. Die moralische Ebene müssen die Leute für sich selbst entdecken, sie müssen es in Unternehmen aber auch leben können», sagt Bertling, der weiß, dass dies der richtige Weg, aber leider auch eine romantische Vorstellung ist: «Da müssen viele Zahnräder ineinandergreifen. Deshalb bin ich eher skeptisch.» Denn die nächste Schlagzeile kommt bestimmt.

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