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Pierre Gasly und Jo Leberer zum Mythos Ayrton Senna

Von Mathias Brunner
​Der Franzose Pierre Gasly spazierte in Interlagos mit einer Ayrton Senna-Kappe ins Fahrerlager. Er ist einer jener Fahrer, die vom unvergessenen brasilianischen Rennfahrer schwärmen.

Für viele Formel-1-Fans sind die modernen GP-Piloten Vorbilder. Aber welches Idol hat ein Idol? Lewis Hamilton trug einen leuchtend gelben Helm, weil der grosse Ayrton Senna das ebenfalls tat. Charles Leclerc bezeichnet Senna als «mein einziges Vorbild», und Pierre Gasly kam mit einer Senna-Kappe ins Fahrerlager von Interlagos.

Der Franzose sagt dazu: «In Brasilien habe ich eine stattliche Fangemeinde, ich erhalte sehr viele Nachrichten von brasilianischen Fans. Ich war sehr stolz auf die Zusammenarbeit mit der Ayrton-Senna-Stiftung 2020, als ich in Imola einen besonderen Helm trug und Ayrtons Schwester Viviane kennenlernte. Wir haben später mit dem Helm Spenden für seine Stiftung gesammelt.»

Die Formel 1 gastiert in Interlagos (São Paulo), und auch dieses Mal wird der GP-Tross auf Schritt und Tritt an Ayrton Senna erinnert: Schriftbänder, Flaggen, Fotos, T-Shirts, Kappen. Dieser Mythos ist einmalig.

Jo Leberer, Formel-1-Urgestein, seit 35 Jahren in der Branche, heute in Diensten von Alfa Romeo und dort für das physische und manchmal auch psychische Wohl von Valtteri Bottas und Guanyu Zhou zuständig. Vor allem jedoch war Jo Leberer einer der wenigen engen Vertrauten des grossen Ayrton Senna.

Jo erinnert sich: «Das erste gemeinsame Rennen war 1988 der Brasilien-GP in Rio de Janeiro. Zu meinem Job in der Formel 1 kam ich über Professor Willy Dungl, der in den 1970er Jahren Niki Lauda betreut hatte. McLaren-Teamchef Ron Dennis sprach Dungl an, er wolle einen Betreuer für seine beiden Fahrer, ob er, Dungl, da vielleicht jemanden wüsste. Willy, in dessen Reha-Klinik ich damals tätig war, hat dann mich vorgeschlagen.»

«Im Grunde war es also ein Zufall. Ich war einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort, wenn du so willst. Willy sagte mir: ‘Du bist prima geeignet, du hast in Sachen Betreuung alles drauf, du bist kommunikativ, das ist dein Job.’ Und schon sass ich im Flieger Richtung Brasilien! Ich selber fragte mich eher: Pack ich das?»

Leberer merkte schnell: Senna ist wie kein anderer Fahrer.

«Alle in der Formel 1 arbeiten sehr erfolgsorientiert und zielstrebig, und Senna war das beste Beispiel dafür. Er war extrem fordernd, aber er gab auch enorm viel. Er hatte eine unfassbar tolle Einstellung – willensstark, hingebungsvoll, positiv, kämpferisch, unglaublich diszipliniert, detailtreu, leidenschaftlich, natürlich auch kompromisslos. Was viele jedoch erst im Laufe der Zeit kennenlernten, das war eine extreme Menschlichkeit, eine tiefe Wärme.»

«Zu Beginn war er vielleicht körperlich nicht so gut vorbereitet. Prost war fitter. Dafür war Ayrton schon damals von der mentalen Seite her der Massstab. Senna hat dann sehr bald begriffen, dass er eine weitere Stufe erklimmen kann, wenn er mehr an sich arbeitet und hat dies mit der ihm eigenen Konsequenz begonnen. Er wusste, er sitzt in einem Siegerauto, aber er merkte, er muss körperlich stärker werden, und das hat von Jahr zu Jahr umgesetzt, bis er auch in dieser Hinsicht der Beste war.»

Es entstand ein freundschaftliches Band. Jo Leberer weiter: «Ich bin ein Jahr vor Ayrton geboren, also ungefähr gleich alt. Ich glaube, er hat an mir geschätzt, dass ich auch, auf meine Weise, versuche, das Beste zu geben. Er war kein Mensch, der schnell jemandem vertraut hat. Aber es dauerte nicht lange, bis wir ein Vertrauensverhältnis hatten. Das ist gerade bei der Arbeit mit einem Fahrer ganz wichtig. Als Mensch hat er sich zusehens geöffnet, und ich lernte mehr kennen als den Racer Senna.»

«Ich wusste, dass es die andere Seite von Senna gab. Wir er sich schon bald um Kinder in Brasilien zu kümmern begann, seine Unterstützung für Krankenhäuser, seine Arbeit als Menschenfreund. Aber er sagte mir oft: ‘Das will ich alles nicht publik machen. Ich habe noch zu wenig Macht, um wirklich etwas zu bewegen. Aber es ist meine Absicht, die Dinge in Brasilien zum Positiven zu wenden.’ Diese Seite also kannte ich von Senna schon früh, und ich fand sie extrem bewegend.»

«Im Team wurde er vergöttert. Die Mechaniker und Ingenieure spürten und sahen, wie viel er zu geben gewillt war. Das hat alle mitgerissen. Das war schon faszinierend, diese zwei Gesichter, wenn du so willst – auf der einen Seite der zu allem entschlossene Rennfahrer, auf der anderen Seite ein scheuer, fast zurückhaltender Privatmann, dem das Wohl seiner Landsleute über alles ging. Dem Land ging es damals schlecht. Alle zwei Wochen gab ihnen Senna Hoffnung, dass das Leben besser sein kann.»

«All diese Facetten haben mich schon sehr fasziniert. Und ich war nicht der Einzige: Ich habe es oft erlebt, dass ihn Menschen trafen, auch solche, die mit Rennsport überhaupt nichts am Hut haben, und von diesen Augen, von diesem tiefgründigen Wesen, von dieser magnetischen Art in den Bann gezogen wurden. Das ist Charisma, das ist Ausstrahlung, das ist die Grundlage für den heutigen Mythos.»

«Natürlich hat sich Senna als Rennfahrer verwirklicht und zwar in aller Extremität. Aber gleichzeitig hat er schon früh beschlossen, dass das Leben nicht daraus bestehen kann, immer nur zu raffen und zu nehmen. Er baute ein Gerüst, um sehr viel zurückzugeben, um seine Berühmtheit dafür zu nutzen, aus der Welt einen besseren Ort zu machen. Das hat mich irrsinnig beeindruckt: dass jemand ganz konsequent plant, seine Popularität zum Wohle eines Volkes einzusetzen. Die Menschen haben gespürt, dass dieser Wunsch von ganz innen kommt.»

«Was ich schön finde – Ayrton Senna ist präsent geblieben, die ganzen Jahre ist immer und rund um den Globus die Rede auf Senna gekommen. Die Erinnerung an Ayrton ist frisch. Bis heute sind an den Rennstrecken all diese Fans mit Senna-Flaggen oder Spruchbändern zu sehen, die Verkaufsstände mit Senna-Fanartikeln brummen. Nicht nur in Interlagos. Das ist einmalig.»

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