Formel 1: Aus für Perez bei Red Bull Racing

Formel 1 2023: Was beim Rückblick auf- und einfällt

Kolumne von Gerhard Kuntschik
Las Vegas: Carlos Sainz und Charles Leclerc amüsieren sich über Show-Elemente in der Königsklasse

Las Vegas: Carlos Sainz und Charles Leclerc amüsieren sich über Show-Elemente in der Königsklasse

​Was behalten wir von dieser 74. Formel-1-Saison in Erinnerung? Neben der Dominanz von Max Verstappen und Red Bull Racing gab es einiges überaus Bemerkenswertes, wie unser Rückblick zeigt.

Die 74. Saison der Formel 1 ist Geschichte. Sie war geprägt von Rekorden und einer Dominanz wie selten zuvor. 21 Mal in 22 Rennen wurde die österreichische Bundeshymne für den «Winning Constructor» Red Bull Racing gespielt, das bedeutet eine Erfolgsquote von über 95 Prozent, noch mehr als 15/16 von McLaren 1988 (bei sechs Rennen weniger). Max Verstappens Titel-Hattrick stand de facto bei Saisonhalbzeit mehr oder weniger fest. Hier ein persönlicher Rückblick ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Die Laune des Maximalisten
Naja, meistens sehr gut, was bei den Erfolgen kein Zufall ist. Herr Verstappen konnte auch mürrisch sein, siehe Singapur und Las Vegas im Vorfeld. Und er sollte nicht singen. Seine Cover-Version von «Viva Las Vegas» auf der Auslaufrunde in Nevada passte zwar, klang aber fürchterlich. Wahrscheinlich schlechte Qualität am Funk. Aber dennoch: Zum Glück wurde Max Rennfahrer und nicht Sängerknabe. 40 Millionen im Jahr hätte er als Elvis-Kopie nie verdienen können.

Der Frust der Enttäuschten
Lewis Hamilton und Charles Leclerc werden seit Jahren als Titelanwärter gehandelt und blieben 2023 sieglos. Hamiltons letztes oberstes Podiumplätzchen steht in Jeddah im Herbst 2021 zu Buche, das von Leclerc auf dem Red Bull Ring im Juli 2022. Für beide gilt: 2024 kann nur besser werden. Wenn das jeweilige Auto besser wird und das Team Fehltritte unterbinden kann. Am besten beides.

Der Mann auf der Achterbahn
Sergio «Checo» Pérez. Bejubelt, abgeschrieben, aussortiert, einsortiert, bestraft, fehlerhaft, glänzend. Und am Ende erstmals WM-Zweiter. Wer hätte diese Saison an seiner Stelle so durchgehalten?

Aufgehende und verglühende Sterne
Aufgegangen ist jener von Oscar Piastri. Kurz geleuchtet hat sicher jener von Liam Lawson, doch im Red Bull-Firmament bleibt er in Reihe 2. Verglüht? Nun, Lance Stroll hat eigentlich nie geleuchtet. Neue Leuchtkraft bekam jener von Fernando Alonso. Glänzend auch Alex Albon und Nico Hülkenberg, ginge es beim Deutschen nur um Quali und nicht um Rennen (nicht seine Schuld). Der neue Superstar? Günther Steiner. Ein Südtiroler mit kauziger Art, eigenem Akzent und vielen Emotionen, das ist ein Vollblut-Unterhalter, nicht nur für den amerikanischen Markt.

Ein Wiener Grantler
Toto Wolff war stets – vielleicht mit Ausnahme Abu Dhabi 2021 und kurz danach – der Vorzeige-Teamchef. Immer freundlich, ansprechbar, witzig, analytisch, kurz: ein idealer Gesprächspartner, auch für Journalisten. Das Bild hat sich in diesem Jahr etwas verändert. Heftige Kritik an den eigenen Mitarbeitern («Dieses Auto hat sich keinen Sieg verdient»), Entschuldigungen vor allem bei Superstar Lewis wegen der Fahrbarkeit des Modells W14 E Performance und dann die Eruption gegen einen Journalisten in der Vegas-Presserunde. Nach den Verwöhnjahren 2014 bis 2020 muss Toto mit einer neuen Situation fertigwerden, was er bisher nicht ganz schafft.

Der Anti-Pensionist
Helmut Marko, sonst für Medien durchaus ein Ansprechpartner in Sachen Red Bull (Racing) wollte zu seinem 80. Geburtstag keine Bewertung, keinen Ausblick, keinen Rückblick abgeben. Marko wird 2024 ins 16. Jahr nach dem Erreichen des österreichischen Pensionsalters gehen. Als ich ihn 2012, nach Vettels drittem Titel, fragte, wann er sich das Aufhören vorstellen könnte, meinte der Doktor: «Na ja, Ende 2014 laufen die Verträge von Vettel und Horner aus. Das wäre ein Zeitpunkt.» Wir lernen: Es kommt meist anders, als viele denken.

Der wahre Pensionist
In Pension geht, nach 18 Jahren als Chef von Toro Rosso/AlphaTauri, Franz Tost. Der Tiroler, von Angestellten wie Freunden als Arbeitstier beschrieben, das in Faenza in der Früh das Licht auf- und am Abend abdreht, sagte noch vor einem Jahr in einem Gespräch mit mir, er wolle noch länger weiterarbeiten, es gäbe viel zu tun. Nun erhält er mehr Freizeit.

In Halb-Pension
Unser Pensi-Botschafter ist Josef Leberer. Dass man mit 64 als Hand-Werker, sprich Physio und Masseur, nach 35 Jahren in der Formel-1-Hektik, einmal ruhigere Zeiten verdient hat, liegt auf der gefühlvollen Hand. Dass ihn Sauber zum Botschafter macht, ist eine wohlverdiente Transition für den überall beliebten Salzburger.

Das Dilemma der FIA
Wenn die einzelnen Gremien der Formel 1, von der Technischen Beratergruppe über die Formel-1-Kommission bis zum FIA-Weltrat, zusammensitzen und immer neue Regeln und Bestimmungen aushecken, dann kann es schnell mal ein wenig unübersichtlich werden. Die Leidtragenden sind die unabhängigen, von der FIA nominierten Rennkommissare, die dafür gebeutelt werden, dass sie das Regelwerk, das eben andere entwarfen, umsetzen müssen. Das kann zur Lächerlichkeit vor einem Millionenpublikum führen – siehe Unwort des Jahres, Pistengrenzen. Und es kann zu bodenloser Ungerechtigkeit führen, siehe Strafversetzung von Carlos Sainz nach dem Kanaldeckenunfall in Vegas. Dass das Reglement keine Höhere Gewalt für einen solchen Zwischenfall vorsieht, gehört korrigiert.

Sport oder Geschäft?
Die Illusion, die Formel 1 sei Sport und Technik und sonst nichts, wurde spätestens in diesem Jahr zerstört. Die Maxime ist eine TV- und Streaming-gerechte Show, der Erfolg der Formel 1 in den nun drei US-Rennen spricht dafür, dass sie so – zumindest drüben – notwendig ist. Es wird keiner dagegen aufbegehren, solange er selbst mitverdienen kann. Auch wenn die letzten Angestellten physisch und psychisch schon vor dem Saisonende am Ende sind. Dazu passt auch die gnadenlose Erweiterung des Kalenders. Es gibt weder eine Rücksichtnahme auf klimatische Bedingungen (Stichwort Katar 2023) noch eine intelligente Terminplanung.

Die Zeit des Entzugs
Und jetzt Formel-1-Entzug? Welcher Formel-1-Fan nun daran leiden sollte, dem sei Hoffnung mitgegeben: Vom WM-Finale 2023 in Abu Dhabi bis zum WM-Auftakt in Bahrain sind es nur 97 Tage. The Show must go on.


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