GP-Saison 2024: Frisch verpackte Formel-1-Lügen
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Es gab eine Zeit, da konnten wir zu einem Formel-1-Fahrer hingehen, einfach so, und ihm rasch eine Frage stellen, und wir haben tatsächlich so etwas wie eine brauchbare Antwort erhalten.
Heute hetzen die meisten Piloten zwischen Box und Team-Gebäuden davon, als sei der Leibhaftige hinter ihn her, um auch ja nicht von aufsässigen Berichterstattern angesprochen zu werden. «Iceman» Kimi Räikkönen hat gerne mal das Handy ans Ohr gehalten, wenn er seine Ruhe haben sollte – auch wenn überhaupt niemand dran war. Funktionierte jedes Mal.
Wir leben im Zeitalter der Medienbehinderer. Diese Damen und Herren haben (aus mir teilweise nicht nachvollziehbaren Gründen) die Arbeit eines Pressedelegierten erhalten, aber statt ihre Fahrer in die Auslage zu stellen, wird für sie geredet, oder sie zerren die bevormundeten Piloten gleich zum nächsten Termin weiter. Ab und an wird uns sogar gesagt, auf welche Fragen wir bitteschön verzichten wollen. So viel zur Pressefreiheit.
Unvergesslich die Szene, als ein GP-Sieger (dessen Name mir soeben entfallen ist) eine wirklich gute Antwort gab, und mitten in der Antwort meinte die schräg hinter ihm stehende Mediendame, ohne von ihrem Social Media-Getippe aufzublicken: «Noch EINE Frage, bitte.»
Der Formel-1-Star drehte sich um und meinte mit hochgezogener Braue: «Hier entscheide immer noch ICH, wie lange ich rede. Wenn’s denn recht ist.» Die Gesichtsfarbe der Dame wechselte in ein tiefes Bordeaux, sie suchte verzweifelt am Boden nach einem Loch, das sich für sie auftun sollte. Leider erfolglos.
So ungefähr mit Michael Schumacher begann das Zeitalter der Verschleierung.
Auf Fragen nach Veränderungen der Abstimmung pflegte er zu sagen: «Hinten haben wir was verstellt.» – «Ja, okay, aber was, Michael?» – «An der Aufhängung.» – «Aha, und was an der Aufhängung?» – «Wir gingen mit den Dämpfern härter.»
Na also, geht doch, wieso nicht gleich?
Bei Michael galt gleichzeitig: Eine gute Frage erzeugte auch eine gute Antwort. Und der Rekord-Champion war geduldig genug, mit einem Medienvertreter behutsam umzugehen, wenn innerhalb weniger Sekunden offensichtlich wurde, dass der (oder die) wohl an seinem ersten GP-Wochenende weilt. Das Gleiche gilt heute für Stars wie Lewis Hamilton und Daniel Ricciardo. Die haben eben Klasse!
Viele Fahrer und Teamchefs haben das Herunterbeten von Worthülsen zur Kunstform erhoben. Sie reden, aber sie sagen nichts.
Einige geben an gewissen Tagen nur noch TV-Interviews, Zeitungs- und Internet-Journalisten gucken in die Röhre. Da hilft ein Medien-Communiqué des Rennstalls nicht die Bohne. «Heute war ein guter Tag», wird da einem Fahrer in den Mund gelegt, wo alle doch sehen konnten, dass er im Allgemeinen hinterherfährt und im Besonderen heute sein Auto mit Schmackes in die Botanik gepfeffert hat.
Ein Motorschaden wird da gern mal totgeschwiegen. Vielleicht merkt’s dann ja keiner!
Glaubt jemand bei einem Autohersteller, sie würden auch nur ein Strassenfahrzeug weniger verkaufen, wenn zugegeben wird, dass der Werksfahrer wegen Motorschadens ausgerollt ist?
Ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der gesagt hat: «So schade, dass Pierre Gasly wegen Motorschadens stehengeblieben ist. Jetzt kaufe ich mir eben doch keinen Renault, sondern lieber einen Kia.»
Schön auch, wenn den Medienvertretern vorgekäut wird, was sie eh schon wissen. Etwa bei Tests: «Fahrer XY ist heute 87 Runden gefahren und hat eine Bestzeit von 1:37,656 min erzielt.»
Haben die Rennställe vielleicht das Gefühl, die Berichterstatter hätten dem Tag in einer Kneipe verbracht? Das wissen wir doch längst! Warum verrät man uns dann nicht auch gleich, dass auch heute der Himmel blau war oder die Reifen rund und schwarz und auf welcher Strecke wir uns eigentlich befunden haben?
Am schlimmsten ist das Gesülze jeweils im Winter, und das wird auch in den kommenden Wochen und Monaten so werden – denken Sie von den ersten Präsentationen und dann bei den Wintertests an meine Worte.
Alle verströmen immer verhaltenen Optimismus. Wer 2023 wenige Punkte holte, will 2024 regelmässig punkten. Wer 2023 regelmässig gepunktet hat, spricht von Podesträngen 2024. Von Siegen traut sich abgesehen von Red Bull Racing, Ferrari und noch Mercedes keiner zu reden.
Oft faseln die Rennställe davon, dass es am folgenden Tag besser laufen soll. Stoppt die Druckpresse! Eine verblüffende Feststellung wäre mal, wenn jemand zugeben würde, dass am nächsten Tag erneut Kriechgang zu erwarten ist.
Das ist wie die Feststellung eines Rennfahrers, er werde «alles geben». Ja, um Himmels Willen! Bei flottem Jetset-Leben eines Millionärs und einem der geilsten Arbeitsplätze der Welt erwarte ich nichts Anderes.
Oder: «Ich freue mich auf das folgende Rennwochenende.» Das will ich doch schwer hoffen! Sonst hätte er den falschen Job. Auch hier würden wir nur aufhorchen, wenn einer mal erfrischend ehrlich wäre: «Mir graut vor Monte Carlo. Die verdammten Leitschienen stehen mir einfach zu nah.»
Noch ein paar Beispiele gefällig, was wir hören und was wirklich gemeint ist?
«Der Wagen ist noch in einem sehr frühen Stadium der Entwicklung.»
(Wir haben ein wirklich grottenschlechtes Auto gebaut und haben keine Ahnung, was wir damit anstellen sollen.)
«Wir hatten eine kleine technische Angelegenheit, die ins zwischendurch am Fahren hinderte.»
(Es brennt! Es brennt! Alle Mann an die Feuerlöscher!)
«Die Probleme haben uns an der Vorbereitung nicht gehindert.»
(Besser als jetzt wird es nicht mehr.)
«Die Zeiten von Freitag sind nicht aussagekräftig.»
(Die Zeiten sind überaus aussagekräftig, und am Samstag werden wir nicht über Quali 1 hinauskommen.)
«Das Feedback unseres neuen Fahrers XYZ ist exzellent.»
(Der Kerl ist nicht nur langsam, er ist auch ein wenig doof. Immerhin ist er reich.)
«Offenbar gibt es Raum für Verbesserungen.»
(Es gibt keine Chance auf Besserung.)
«Wir versuchen noch immer, die Reifen zu verstehen.»
(Wir verstehen die Reifen nicht und werden es auch nie.)
«Die Leistungsdichte im Mittelfeld ist sehr hoch.»
(Wir werden WM-Neunter, eher -Zehnter.)
«Die Strecke von Bahrain ist nicht repräsentativ.»
(In Barcelona werden wir noch schlechter sein.)
«Heute war ein guter Tag.»
(Heute war ein grauenvoller Tag.)
Würden wir mal 24 Stunden lang in der Formel 1 halbwegs ehrliche Aussagen hören, gut, das wird nicht passieren, aber einfach so als Denkmodell, DAS wäre ein guter Tag.