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Jeddah Corniche Circuit Saudi-Arabien: Rätsel gelöst

Von Mathias Brunner
​Saudi-Arabien hat vor ein paar Jahren in Rekordzeit den schnellsten Straßenkurs der Welt aus dem Boden gestampft, den Jeddah Corniche Circuit. Ein exklusiver Blick hinter die Kulissen.

Der Jeddah Corniche Circuit – mit 6,172 Kilometer drittlängster GP-Kurs im 2024er Programm nach Spa-Francorchamps (7,004) und Las Vegas (6,201), vor allem aber sündhaft schnell.

Man muss sich das mal vor Augen führen: In der Quali werden hier auf einem Straßenkurs Durchschnittstempi gebolzt wie sonst im Tempel des Speed, in Monza, nämlich mehr als 250 Sachen.

Wir haben uns mit Rennstrecken-Projektleiter Oliver Liedgens unterhalten, um einen Blick hinter die Kulissen des schnellsten Straßenkurses der Welt zu werfen und einige Rätsel dieser ungewöhnlichen Rennstrecke zu ergründen.

Diplom-Ingenieur Liedgens, für den wunderbaren Circuit of the Americas (COTA) in Texas verantwortlich und dafür zwei Jahre lang in Austin wohnhaft, erzählt: «Nie ist eine Rennstrecke schneller gebaut worden als der Jeddah Corniche Circuit, nämlich innerhalb von nur acht Monaten. Sonst bezeichnen wir eine Bauzeit von einem Jahr als flott. Ich habe nie ein ehrgeizigeres Projekt geleitet. Im Schnitt waren von Tilke fünfzehn Leute permanent hier unten, um das zu stemmen.»

«Einen Straßenkurs zu bauen, ist komplexer als der Bau einer permanenten Strecke. Denn dort kannst du auf einem Gelände alles neu machen, hier musst du dich den Gegebenheiten anpassen. Der Boden, auf welchem diese Rennstrecke liegt, wurde dem Roten Meer abgewonnen, daher ist der Untergrund weniger stabil. 12 Prozent der Strecke, wie ihr sie seht, sind zuvor benützte Straßen der Corniche, also der Küstenstraße von Dschidda, 88 Prozent sind neu.»

Keine Ruhe für die Fahrer

«Der Grund für diese 88 Prozent: Wir wollten keinen öden, flachen Straßenkurs, sondern eine Strecke mit leichten Neigungen und Höhenunterschieden. Wir wollten es für die Fahrer so schwierig als möglich machen. Wir haben nur zwei Geraden, auf welchen sich der Fahrer kurz erholen kann, die Start/Ziel-Gerade, dazu die Passage zur überhöhten Kurve 13 am Nord-Ende. Sonst muss der Pilot ständig Kurven und Bögen fahren, das erfordert ein hohes Maß an Konzentration, weil die Pistenbegrenzung sehr nahe steht.»

«In Kurve 1 steht der so genannte Royal Overlook, eine Lounge für den Kronprinzen von Saudi-Arabien. Dieser Bau mit den drei Säulen ist eines der markantesten Bauwerke an der Strecke.»

«Wenn die Formel 1 das Gelände eines Tages verlässt – und bei Riad wird ja eine permanente GP-Strecke entstehen – dann soll das Gelände von den Menschen in Dschidda genutzt werden können. Mit diesem Gedanken im Hintergrund haben wir das alles gebaut. Der Royal Overlook etwa könnte später als Museum dienen.»

«Kurve 1 ist zudem als Stadionteil ausgelegt, nicht ganz unähnlich einer entsprechenden Passage des Autódromo Hermanos Rodríguez in Mexiko-Stadt. Es handelt sich um einen komplett geschlossenen, U-förmigen Gastbereich, in der Formel 1 einzigartig.»

«Die Fans sehen hier auf die Start/Ziel-Gerade, sie sehen die Bremszone, sie sehen auch Autos, die aus der Boxengasse kommen. Wenn ich ein Ticket kaufen würde, dann für einen Platz an dieser Stelle.»

Oliver Liedgens arbeitet seit 18 Jahren für Rennstreckenbauer Hermann Tilke. «Ich habe die Formel 1 immer gemocht, und mit Aachen hast du natürlich Spa-Francorchamps beinahe vor der Tür. Ich habe als kleiner Junge auf den Schultern meines Vaters das erste Mal einen Grand Prix gesehen und war sofort fasziniert. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages in der Formel 1 arbeiten würde.»

«Nach dem Studium habe ich in Stuttgart gearbeitet, hatte aber einen Kumpel, der schon bei Tilke tätig war. Die suchten einen Bauleiter. Austin war dann meine erste Strecke, ich habe auch den Umbau des Kurses in Mexiko-Stadt geleitet.»

Tückische Stahl-Kerbs

Zurück zum Jeddah Corniche Circuit. Liedgens weiter: «Die ganze Bahn ist mit Stahl-Kerbs ausgestattet, die abmontierbar sind. Auf einer permanenten Strecke arbeitest du mit Beton-Randsteinen.»

Die Passage 6 bis 9. Liedgens weiter: «Wenn man genau hinguckt, erkennt man eine Neigung von vier Prozent. Diese Stelle geht fast Vollgas und ist überaus schwierig. Wer hier Fehler macht, hat zwar den Raum, geradeaus zu fahren, aber er muss in Kauf nehmen, dass der Wagen hart auf die Stahl-Kerbs aufsetzt.»

«Von den Teams hören wir: Wenn ein Pilot im Simulator eine neue Strecke übt, dann hat er das Layout in der Regel innerhalb von vier, fünf Runden im Griff und fährt bereits anständige Zeiten. Bei dieser Bahn brauchten die Piloten ein Dutzend Runden, um auf Speed zu kommen.»

«Die Passage von Kurve 6 an ist auch wichtig, um den Schwung zur überhöhten Kurve 13 hin mitzunehmen. Wenn du hier als Fahrer patzt, verlierst du viel Zeit, und die holst du nicht mehr auf.»

«Die Bahn ist von 627 LED-Leuchten erhellt, mit einem für einen Straßenkurs komplett neuen System des US-amerikanischen Herstellers Musco. Was wir nicht wollten – ein System wie in Singapur, mit Leuchten über der Bahn. Das erzeugt einen Käfigeffekt. Wir wollten hier das Gefühl von Freiheit vermitteln.»

«Von hier können wir auf die andere Seite der Bahn blicken, auf die Passe 13, 14, 15, 16, und es fällt auf: Wir stehen hier ungefähr sechs Meter höher. Der Grund: Wenn es hier in Dschidda regnet, dann schüttet es. Wir haben ein komplettes System gebaut, damit Regenwasser so schnell als möglich ins Rote Meer ablaufen kann. Das ist auch einer der Gründe, warum die Bahn immer leicht geneigt ist.»

Geheimnisse des Belags

Nun zur überhöhten Kurve 13. Oliver Liedgens: «Klar drängt sich ein Vergleich mit der Zielkurve in Zandvoort auf. In den Niederlanden wollten wir mit der Überhöhung die Kurve schneller machen, damit auf der folgenden Geraden mehr Speed erreichen und eine DRS-Zone möglich wird. Die Strecke hier ist in Kurve 12 fast zwölf Meter breit, und ihr könnt keine einzige Asphaltnaht erkennen. Das liegt an einem besonderen System aus Amerika, um den Belag aufzubringen.»

«Beim Belag wollten wir mit lokalem Material arbeiten, wir fanden prima Baustoffe in Mekka. In Bahrain etwa wurde damals mit Stein aus Wales gearbeitet und Zuschlagstoffen aus Kanada. Aber das entspricht nicht nachhaltigem Bauen, finde ich.»

«Wir brauchten zudem sehr flexibles Bitumen, weil es am Tag hier extrem aufheizt, und wenn diese teerartige Masse als Dichtstoff nicht biegsam genug ist, dann wird der Belag rissig. Wir haben drei Schichten Asphalt, total 16 Zentimeter breit, in Schichten aus 8, 4 und 4 Zentimetern. Zum Vergleich: In Austin ist die Asphaltschicht 19 Zentimeter dick, in Mexiko 12. Die Dicke des Asphalts richtet sich nach dem Untergrund.»

«Ausserhalb Kurve 13 steht eine von drei Moscheen im Bereich der Strecke, die ‘Floating Mosque’, die Al Rahma. Hier hinten steht ein neues Siebenstern-Hotel, das innerhalb von sechs Monaten gebaut wurde und der Familie des Kronprinzen zur Verfügung steht. Dahinter eine ebenfalls komplett neue Marina.»

Die heisseste Stelle

Weiter zur Kurve 22, für Oliver Liedgens eine Schlüsselstelle. «Hier steht eine weitere Moschee, die ‘Island Mosque’. Der Eingang in Kurve 22 erfolgt blind, der Fahrer braucht hier wirklich Eier, um die Einfahrt perfekt hinzubekommen und den ganzen Speed mitzunehmen. Die Auslaufzone ist klein, daher haben wir hier – und nur hier – hinter der TecPro-Barriere zusätzliche Reifenstapel verbaut. Wenn ein Wagen hier einschlägt, muss sehr viel Energie vernichtet werden. Zudem haben wir hier mit SAFER-Elementen gearbeitet, bekannt aus dem NASCAR- und IndyCar-Sport in Amerika.»

«Hinter Kurve 24 folgt die Passage um die Ash Shati-Lagune herum, ich nenne das immer die romantischste Passage der Strecke, weil auch sie in der Formel 1 einzigartig ist – denn du hast links Wasser, mit der Bucht, und rechts Wasser, mit dem Roten Meer.»

Letzter Stopp ist Kurve 27, bevor es zu Start und Ziel zurückgeht.

«Hier fällt auf, dass der Eingang der Kurve sehr breit ist, der Ausgang aber sehr schmal. Wir beginnen mit 17 Metern am Eingang und haben 10 Meter am Ausgang. Hier mussten wir uns dem Gelände anpassen – denn am Ende der Laguna stand das Belajio-Resort, in dem heute das Medienzentrum untergebracht ist, und dahinter befindet sich die Farsi Plaza.»

Fazit von Oliver Liedgens: «Wir haben viel Herzblut investiert, und es war schön zu erleben, wie die Fahrer diese herausfordernde Strecke zu schätzen wissen.»

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