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Riccardo Patrese: Vom Buhmann zum Gentleman

Von Mathias Brunner
​Selten hat ein Racer einen solchen Wandel durchlaufen: In der Frühphase seiner GP-Karriere zum Buhmann der Fahrerkollegen gemacht, entwickelte sich Riccardo Patrese zum tollen Botschafter des Sports.

Buon compleanno, Riccardo Patrese: Der Italiener aus Padua ist am 17. April 2024 siebzig Jahre jung geworden. Selten hat ein Grand-Prix-Ass im Laufe seiner Karriere solche Veränderungen mitgemacht wie Riccardo Gabriele Patrese, der Mann, der 19 Jahre lang den Rekord für die meisten WM-Einsätze hielt (256 Grands Prix, noch heute in den Top-Ten der F1-Dauerbrenner).

Mit reifen 38 Jahren wurde er hinter seinem Williams-Stallgefährten Nigel Mansell WM-Zweiter, das war 1992. Ein Jahr später hängte er seinen Helm an den Nagel, weil ihm Michael Schumacher bei Benetton die neuen Grenzen aufgezeigt hatte.

Patrese kam als italienischer Formel-3-Champion 1977 in die Königsklasse, unterstützt vom undurchsichtigen Geschäftsmann Franco Ambrosio, als Ersatz für den glücklosen Renzo Zorzi. In Japan eroberte Patrese als Sechster seinen ersten WM-Punkt.

1978 seilte sich eine Kerntruppe von Shadow ab, um den neuen Arrows-Rennstall zu gründen, Ambrosio und Patrese waren dabei. Um ein Haar hätte Patrese den zweiten GP von Arrows gewonnen, in Südafrika.

Riccardo galt als risikofreudig und sauschnell, die Gegner murrten, so wie sie es Jahre später über die jungen Senna, Schumacher und Verstappen taten.

Nach der Startkollision von Monza 1978 und dem Tod von Lotus-Star Ronnie Peterson (Fett-Embolie in der Nacht auf Montag) wurde Patrese zum Buhmann gemacht. Die Stars Hunt, Andretti, Fittipaldi, Lauda und Scheckter forderten eine Sperre für Patrese, andernfalls sie in den USA nicht fahren würden.

Der amerikanische Rennorganisator knickte ein und ließ den Italiener nicht auf die Bahn. Patrese erwirkte eine einstweilige Verfügung eines Richters in Watkins Glen, aber Arrows zog um des Friedens Willen die Nennung von Patrese zurück.

Später stellte sich heraus: Hauptschuldiger für die Massenkollision von Monza war nicht Patrese, sondern die Rennleitung, die den Start freigab, als das hintere Felddrittel noch rollte. Dadurch schlossen die Nachzügler schnell zum Mittelfeld auf, und als die Piste zur ersten Schikane hin enger wurde, waren Fahrzeugberührungen nicht mehr zu vermeiden.

Monza-Rennleiter Gianni Restelli und Patrese mussten sich sogar wegen Totschlags vor Gericht verantworten, das Verfahren wurde aber eingestellt.

Es ging aufwärts mit der F1-Karriere von Patrese, als ihn Bernie Ecclestone zu Brabham holte: Erster GP-Sieg (Monaco 1982), Stallgefährte des ersten Turbo-Weltmeisters 1983, Nelson Piquet, bei Brabham-BMW.

Dann eine Flaute: Das neue Engagement von Alfa Romeo war ein Fehlschlag, die Rückkehr zu Brabham ebenfalls, weil die großen Tage des Teams längst vorbei waren. Erst mit Williams ging es wieder aufwärts, und Patrese hatte den Wandel vollzogen zum geachteten Piloten und zu einem tollen Botschafter des Formel-1-Sports.

Heute tauchte Patrese gerne bei Anlässen mit historischen Rennwagen auf, wie 2023 in Goodwood (unser Foto), auch bei den Grands Prix auf italienischem Boden, also in Imola und Monza, ist er Stammgast.

In Imola erlebte Riccardo alle Höhen und Tiefen eines Italieners vor eigenem Publikum. Es war 1983 beim Großen Preis von San Marino in Imola. Patrese hatte sich im Brabham an den führenden Ferrari von Patrick Tambay herangepirscht und überholt den Franzosen in der 55. von 60 Runden. Dann aber rutschte er in der Variante Alta von der Bahn. Die Fans tobten vor Freude, denn nun lag wieder ein Ferrari vorne. Tambay gewann.

Patrese sagte nachher: «Als Italiener bist du im eigenen Land nichts wert, wenn du nicht in einem Ferrari sitzt.»

Riccardo rächte sich 1990 und gewann in Imola – im Williams.

Ebenfalls in Imola traf ich den Italiener und wollte von ihm wissen, wie ihm die heutige Flügelwagen-Generation munde.

Riccardo sagte: «Ich mag diese neue Formel 1, die Autos gefallen mir. Natürlich ist das etwas komplett Anderes als die Königsklasse zu meiner Zeit. Aber die Welt entwickelt sich weiter, und die Formel 1 ebenso. Die Formel 1 sollte eine glamouröse Show sein, und das ist sie zweifellos.»

Als wir uns trafen, war das große Thema der neuen Wing-Cars das Bouncing oder Porpoising – diese Stampfbewegung der Autos unter aerodynamischer Volllast.

Riccardo grinste: «Das hatten wir damals auch! Unsere Wagen lagen ebenfalls sehr tief, und die Autos haben die ganze Zeit aufgesetzt, das war schon sehr unangenehm, wie es deinen Kopf durchgeschüttelt hat. Den Technikern war das einerlei, Hauptsache, der Wagen war schnell. Und auf für uns Piloten galt: Speed kommt vor Komfort. Wie sich heute zeigt, hat sich daran nichts geändert.»

Zur modernen Formel 1 meinte Patrese weiter: «Weißt du, in der Vergangenheit war alles anders – wir konnten entwickeln auf Teufel komm raus. Theoretisch konntest du während der Saison ein komplett neues Auto bauen. Das ist beim heutigen Reglement und ganz besonders vor dem Hintergrund der Kostenobergrenze nicht mehr möglich. Früher hatten wir Teams, die kamen in den ersten drei Rennen unter ferner liefen ins Ziel, und im Sommer haben sie Rennen gewonnen.»

«Heute ist das kaum mehr möglich. Wenn du mit einem guten Auto in die Saison gehen kannst, dann hast du einen Vorteil. Umgekehrt gilt auch: Wenn du mit deinem Auto Probleme hast, ist es doppelt schwierig, Boden gutzumachen. Selbst wenn du gute Ideen hättest, wie der Wagen schneller gemacht werden kann, so bist du begrenzt, was du alles ans Fahrzeug bringen kannst.»

Was Riccardo damals verblüffte: «Ich hätte nicht damit gerechnet, dass Mercedes beim Schritt zu dieser neuen Rennwagen-Generation solche Schwierigkeiten haben würden. Eines ist mir klar – an Lewis Hamilton und George Russell liegt es nicht.»

Wir stehen vor einem Sprint-Wochenende. Riccardo meint: «Ich bin da ein wenig gespalten, einerseits erhalten die Fans ein Rennen mehr serviert, andererseits ist mir das ein wenig zu künstlich. Die Fahrer mussten auch höllisch aufpassen: Der Sprint definierte ja die Aufstellung für den Grand Prix, also reichte ein Patzer, und du bist für den WM-Lauf weg vom Fenster. Das hat dazu geführt, dass sich einige Piloten im Sprint doch eher zurückgehalten haben. Zum Glück wurde später das Reglement angepasst.»

Zum heutigen Programm mit 24 GP-Wochenenden meint Patrese: «Zu meiner Zeit hatten wir 16 Rennen im Jahr, mir hat das damals vollauf gereicht. Nun könnten es eines Tages doppelt so viele sein – das ist einfach verrückt. Wenn ich heute ein Fahrer wäre, dann wäre mir das zu viel.»

Riccardo Patrese in der Formel 1

256 Grands Prix
Von Monaco 1977 bis Australien 1993
8 Pole-Positions
13 beste Rennrunden
6 Siege
37 Podestplatzierungen
1977 mit Shadow: WM-20.
1978 mit Arrows: WM-12.
1979 mit Arrows: WM-20.
1980 mit Arrows: WM-9.
1981 mit Arrows: WM-11.
1982 mit Brabham: WM-10. (Sieg in Monaco)
1983 mit Brabham: WM-9. (Sieg in Südafrika)
1984 mit Alfa Romeo: WM-13.
1985 mit Alfa Romeo: nicht klassiert
1986 mit Brabham: WM-17.
1987 mit Brabham und Williams: WM-13.
1988 mit Williams: WM-11.
1989 mit Williams: WM-3.
1990 mit Williams: WM-7. (Sieg in Imola)
1991 mit Williams: WM-3. (Siege in Mexiko und Portugal)
1992 mit Williams: WM-2. (Sieg in Japan)
1993 mit Benetton: WM-5.

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