Karl Wendlinger: «Das ist eine Reifenschon-WM»

Von Michael Noir Trawniczek
Karl Wendlinger

Karl Wendlinger

Ex-Sauber-Pilot Karl Wendlinger über die Formel 1: Die Reifen. Die Jungpiloten. Der Grosse Preis von in Monaco.
Karl Wendlinger und seine Schicksalsrennstrecke im Fürstentum Monaco – im Unglücksjahr 1994, als in Imola Roland Ratzenberger und Ayrton Senna ums Leben kamen, erlitt Wendlinger bei einem schweren Trainingsunfall in Monaco dermaßen schwere Kopfverletzungen, sodass er wochenlang im Koma lag. Doch der sympathische Tiroler sprang dem Tod von der Schaufel, kämpfte sich zurück, nach der Formel 1 wechselte er in den Tourenwagensport, wo er heute noch als Spitzenpilot gilt.


Der nunmehrige Markenbotschafter von AMG präsentierte am Mittwoch in der Wiener Zentrale der Nobelmarke Chopard eine spezielle Ennstal-Classic-Uhr, bei der von Helmut Zwickl und Michael Glöckner veranstalteten Kultrallye wird Karl Wendlinger beim «Grand Prix von Gröbming» jenen legendären Mercedes 6.3 pilotieren, der als «rote Sau» in die Geschichte einging.

Im Rahmen der Chopard-Präsentation nahm sich Karl Wendlinger die Zeit, um über die aktuelle Formel 1 zu diskutieren, Schwerpunkte waren: Die Reifenfrage, die Kräfteverhältnisse heute und zu Wendlingers Zeit, die Österreicher in der Formel 1, die Jungpiloten und die Chancen von Mercedes beim Grand Prix von Monaco.

Karl, ein heftig umstrittenes Thema sind die aktuellen Reifen in der Formel 1 – wie ist deine Meinung dazu?

Ich finde es schade, denn im Moment ist das eine Reifenschonmeisterschaft. Und wenn ich dabei bin im Fahrerlager, dann redet man auch das gesamte Wochenende über nur über die Reifen. Über das Reifenmanagement. Über die Reifenflüsterer. Über den Reifen, der auf welchem Auto am längsten hält…

Ich glaube: So sollte es nicht sein! Es ist in Ordnung, wenn du zwei Boxenstopps machen musst in einem Rennen – aber nicht so, dass sie, wie sie es ja sagen, zum Teil gar nicht am Limit des Autos fahren, weil sonst der Reifen nicht halten würde. Das ist nicht okay!

Das ist nicht richtig so – die Formel 1 ist die Königsklasse mit den schnellsten Autos und da sollten die Fahrer meiner Meinung nach auch Gas geben können, und nicht so auf das Reifenthema aufpassen müssen. Nur: Ich weiß nicht, ob sich da heuer noch etwas tut oder ob es bis zum Ende der Saison das gleiche Thema bleiben wird.

Lotus beispielsweise argumentiert so, dass sie schon im Vorjahr verstanden haben, dass dieses Reifenthema auch 2013 wieder wichtig sein wird und dass Pirelli sogar noch mehr auf dieser Linie weiterfahren wird und dass sie genau deshalb ein solch reifenschonendes Auto gebaut haben.

Wenn das so stimmt, dann kann das schon sein. Nur wenn Lotus diese Information erhalten hat, dass man die Reifen noch mehr in diese Richtung entwickelt, dann müssten ja alle anderen auch diese Information erhalten haben.

Haben sie auch, soviel ich weiß. Pirelli hat zumindest schon im Vorjahr gesagt, man werde noch kurzlebigere Mischungen bauen, die dafür schneller ihr Temperaturfenster erreichen.

Aber ein Adrian Newey (Technikdirektor bei Red Bull Racing) kann sich genauso auf die Reifen einstellen wie ein James Allison von Lotus. Ich glaube, dass es… – du hast schon Recht, im Endeffekt ist es so, dass ich sage: Okay, das sind jetzt die Reifen und wer am besten damit zurechtkommt, der gewinnt.

Aber es ist ja derzeit auch nicht so, dass die Bedingungen konstant bleiben. Nach dem Bahrain-Grand Prix habe ich gedacht, dass es der Newey jetzt wieder im Griff hat, da hat der Vettel überlegen gewonnen, er war nicht einmal am Limit.

Da denkst du dir: Jetzt haben die was gefunden. Und dann kommt das nächste Rennen – und dann sind sie plötzlich wieder nirgends mehr, im Verhältnis zu dem überlegenen Sieg davor. Und das zeigt ja, dass die Grundvoraussetzungen nicht konstant bleiben – und ich finde: Das sollte nicht sein!

Das muss ein Level sein, auf das sich alle einstellen können, auch wenn dieser Level bedeutet, dass du viele Reifenwechsel hast. Aber dass dann wenigstens dieser Level konstant bleibt – aber wenn das nicht der Fall ist, dann ist es ein zu großer Einfluss des Reifens, finde ich.

In Barcelona war es so, dass es 2011 ebenfalls vier Stopps gab, der Sieger hieß Sebastian Vettel. Damals hat sich Red Bull Racing aber nicht über die vielen Boxenstopps beschwert. Dazu muss man sagen, dass Barcelona zudem eine ganz eigene Strecke ist, was den Reifenverschleiß anbelangt – das heißt ja nicht, dass man heuer mit diesen Reifen immer vier Boxenstopps benötigen würde…

Barcelona ist wegen der langgezogenen Kurven eine Strecke, die sehr schwierig ist für die Vorderreifen, das hat man auch immer wieder gesehen. In Monaco ist der Reifenverschleiß deutlich geringer. Da kommt es wirklich darauf an, wer schnell genug ist, damit er im Qualifying vorne sein kann. Und der hat dann auch große Chancen, das Rennen zu gewinnen.

Viele glauben, dass Mercedes aus der ersten Startreihe wegen der mangelnden Überholmöglichkeiten das Rennen gewinnen – nur hat man ja die Möglichkeit, mittels Strategie und Boxenstopps vorbeizukommen, man muss den Gegner ja nicht unbedingt auf der Strecke überholen….

Das stimmt schon. Aber ich glaube nicht, dass wir in Monaco wie zuvor in Barcelona vier Boxenstopps sehen werden. Ich glaube, dass wir in Monaco zwei Stopps sehen werden. Und dann ist das Thema schon wieder ein anderes.

Du musst es auch so sehen: Auch bei zwei Boxenstopps wird es einen großen Reifenverschleiß geben und es wird dann trotzdem Überholmanöver geben. Wenn du jetzt hinter einem Fahrer nachfährst, der verschlissene Reifen hat und du fährst eine Runde früher rein, dann machst du in der Runde, in der du mit frischen Reifen wieder rauskommst, so viel Zeit gut, dass du nach seinem Boxenstopp ohnehin vor ihm liegst. Es gibt immer noch Möglichkeiten, vorbeizukommen. Auch in Monaco, über den Boxenstopp. Echte Überholmanöver werden wir wahrscheinlich nicht sehen, oder wenn, dann nur ganz selten.

Kann Mercedes das Rennen gewinnen?
Schwierig zu sagen. In Bahrain stand Nico Rosberg auf der Poleposition und wurde Neunter, in Barcelona stand er wieder ganz vorne und wurde Sechster. Da muss der Reifenverschleiß also schon noch deutlich geringer werden, damit man das Rennen gewinnen kann.

So was hat es, glaube ich, noch nicht gegeben, dass jemand dauernd in der ersten Startreihe steht und niemand nimmt ihn als Gegner ernst. Oder gab es das schon einmal?

So extrem hat es das, glaube ich, noch nie gegeben, oder? Also ich verstehe den Unterschied nicht. Ich verstehe ihn sowieso nicht, denn ich war ja nicht dabei. Aber ich habe mit Nico Rosberg gesprochen auf dem Nürburgring am letzten Wochenende und er sagt, das Auto sei gut und der Reifenverschleiß könnte vielleicht nur eine Kleinigkeit sein. Eine Kleinigkeit, die sie aber noch nicht verstehen im Moment. Nur wenn sie es dann verstehen, dann geht es dahin. Und Nico sagt: Das Auto kann nicht schlecht sein, denn mit einem schlechten Auto kannst du keine Pole-Position fahren. Und sie fahren Poleposition mit Rennabstimmung, nicht mit Qualifying-Setup. Ich glaube: Wenn dort irgendwo ein kleines Licht aufgeht, dann haben sie es.

Wenn du diese schnelllebige Formel 1 betrachtest, mit ihren wechselhaften Kräfteverhältnissen, wo auch ein Sauber vorne stehen kann…

Heuer nicht. Aber es stimmt: Im letzten Jahr waren sie vorn dabei…

Denkst du dir dabei nicht, dass diese Zeit eigentlich die bessere Zeit wäre für einen jungen Piloten, wie du es damals warst…

Nein.

In dem Sinne, dass es heute nicht mehr diese über Jahre hinweg eingefrorenen Kräfteverhältnisse gibt, wo nur eine Handvoll an Piloten ein Auto zur Verfügung hatte, um damit um den Sieg zu kämpfen…

Das stimmt. Das ist heutzutage besser als zu unserer Zeit. Aber es ist halt so! Heutzutage bin ich nicht dabei. Aber es stimmt schon: Früher war das ziemlich starr eingeteilt, da hat es auch größere Zeitunterschiede gegeben.

1993 zum Beispiel, da hatten wir eine recht gute Saison, in der ersten Saisonhälfte bin ich im Sauber zwei- oder dreimal auf dem fünften Startplatz gestanden. Nur: Der Alain Prost war im Williams schon mal eineinhalb Sekunden schneller als der Ayrton Senna auf Platz drei. Und dann gab es nochmal vier Zehntelsekunden Abstand auf den viertplatzierten Michael Schumacher und ich lag nochmal vier Zehntel hinter ihm. Aber trotzdem war ich zufrieden mit der Leistung…

Diese Zeit- und Technik-Unterschiede, die es damals gab, die gibt es heutzutage nicht mehr. Und deswegen kann man heutzutage, so denke ich mir, sogar leichter auffallen mit einem ganz besonders guten Qualifying, denke ich, aber vielleicht liege ich auch falsch.

Ich möchte jetzt nicht in alten Zeiten schwelgen und mich selbst schon gar nicht loben, in einem größeren Ausmaß als dem entsprechend, was ich zusammengebracht habe. Aber ich bin 1992 im March fünf- oder sechsmal in den Top 10 gelandet, im Qualifying, warum auch immer…

Und das war damals, bei den starren Kräfteverhältnissen sicher mehr wert als es heute der Fall ist…

Warum bringt das heutzutage keiner zusammen? Heute sind ja die Zeitabstände viel enger. Da müsste doch mal einer dabei sein, der im Qualifying eine halbe Sekunde herausreißt, oder? Denke ich mir zumindest – mit einem Auto, das eben nicht für die Top 10 geeignet ist. Aber das passiert heuer zumindest trotzdem nicht.

Stimmt. Aber im vorigen Jahr hat es durchaus solche Überraschungen gegeben. Pastor Maldonado als Spanien-Sieger zum Beispiel, sieben verschiedene Sieger in den ersten sieben Rennen…

Oder in Spa mit einem Sauber in der ersten Startreihe. Da gab es den Startcrash und dann war das alles wieder Makulatur. Also da hast du schon Recht, so was hat es im Vorjahr gegeben…

Aber ich möchte jetzt einmal einen jungen guten Piloten sehen, solche gibt es ja in der Formel 1. Ich möchte sehen, dass der im Qualifying alles niederreißt. Dass er eine Zeit hinlegt, die keiner von ihm erwartet hat.

Die Jungpiloten der Saison 2013 haben es schwer…

Die sitzen in Autos, mit welchen so eine Glanzleistung nicht möglich ist.

Gerade 2013 stellt sich die Frage: Sind die Formel 1-Neueinsteiger wirklich jene Jungpiloten, die in den Nachwuchsklassen als Fahrer aufgefallen sind? Oder sind es nicht doch jene Piloten, die mit einem prallen Geldkoffer aufgefallen sind?

Bei den Teams ganz hinten sind es vielleicht eher die Piloten, die einzahlen müssen. Aber zum Beispiel der Jules Bianchi ist gut, der ist im hinteren Starterfeld oft der schnellste Mann. Und der eine oder andere fällt schon noch auf, auch heuer – Daniel Ricciardo ist in China auf dem siebten Startplatz gestanden.

Caterham und Marussia sind seit ihrem Formel 1-Einstieg im Jahr 2010 die «neuen Teams» – warum schaffen sie es nicht, sich im Mittelfeld zu etablieren?

Weil sie kein Geld haben. Weil sie nicht genug Infrastruktur haben, nicht genug Personal mit der nötigen Erfahrung beschäftigt haben.

Mike Gascoyne gilt doch als eine Konstrukteurs-Ikone…

Gascoyne hat vor einiger Zeit glänzen können – aber er kann halt auch nur das ausrichten, was mit dem Geld, das ihm zur Verfügung steht, möglich ist. Bei Jordan war er sehr gut, da gab es Geld. Dann war er bei Toyota, da hat es unendlich viel Geld gegeben. Er hat aber auch, viel früher, bei Tyrrell eine Menge bewirken können, wo es kein Geld gab.

Nur mit dem Caterham gelingt es ihm offensichtlich nicht – denn eigentlich hatte der Caterham schon im letzten Jahr den Renault-Motor und das KERS. Und der Abstand zu den Teams unmittelbar vor ihnen wurde nicht weniger. Im Gegenteil: Heuer haben sie sich zunächst sogar noch schwerer getan, da war ja der Marussia noch besser. Aber es stimmt: Es tut sich nichts am hinteren Ende der Startaufstellung.

Doch liegt es wirklich nur am Budget? Sauber hat in etwa gleich viel Budget wie Caterham, auch Force India und Toro Rosso haben nur geringfügig mehr Geld zur Verfügung, Williams hat etwa ein Drittel mehr Budget als Caterham…

Williams hatte im letzten Jahr ein sehr gutes Auto, im Sommer 2011 kam Mike Coughlan neu ins Team. Und der hat eine super Arbeit geliefert, das Vorjahresauto hat sogar ein Rennen gewonnen. Und heuer geht gar nichts mehr. Warum? Da denkst du ja eher, dass heuer eigentlich der nächste Schritt kommen müsste. Aber sie sind heuer schlechter geworden…

Bei Williams ist der neue Mercedes-Rennleiter Toto Wolff ein mittlerweile stiller Teilhaber – das bringt uns zum nächsten Thema: Die Österreicher in der Formel 1. Es gibt so viele wie schon lange nicht oder vielleicht sogar wie noch nie. Allein bei Mercedes haben wir Niki Lauda und Toto Wolff, das österreichische Red Bull Racing-Team, Monisha Kaltenborn als Teamchefin bei Sauber – doch was fehlt, ist ein Österreicher als Grand Prix-Pilot…

Das stimmt, wir sind auf den Kommandobrücken vertreten, aber im Auto haben wir keinen Österreicher sitzen. Das liegt vielleicht daran, dass es derzeit keinen Österreicher gibt, der das Potential für die Formel 1 hat. Im Moment zumindest…

Der Lucas Auer leistet eine sehr, sehr gute Arbeit – und es ist nicht so, dass ich da jetzt etwas Nettes sagen will, nur weil der Gerhard (Berger) sein Onkel ist. Der Lucas fährt gut. Er ist im letzten Jahr im deutschen Formel 3-Cup sehr gut gefahren, heuer ist er in der neuen Formel 3-Europameisterschaft sehr gut unterwegs, fährt Podiumsplätze ein, zuletzt hat er sogar ein Rennen gewonnen, auch wenn bei diesem Lauf der Sieger disqualifiziert wurde. Egal, er ist vorn dabei. Er ist der Nächste und in meinen Augen derzeit, in nächster Folge auch der einzige Österreicher, der das Potential für die Formel 1 hat.

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