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Die Formel Flavio

Kolumne von Peter Hesseler
Briatore erklärte zuletzt immer weniger

Briatore erklärte zuletzt immer weniger

Wieso ein unkonventioneller Italiener ohne Benzin im Blut für begrenzte Zeit ein erfolgreicher Formel-1-Teamchef wurde. Und mehr nicht.

Die Formel 1 hat ihren Paradiesvogel aus dem Nest geschubst: [* Person Flavio Briatore*] (59) ist weg. So bunt, so entschlossen, wie der Italiener 1989 – von Modemacher Luciano Benetton geschickt – 1988 in die Formel 1 kam, so ruhmlos und rigoros wurde er nun wieder entfernt.

Es war eine Operation. Und keine feine…

Nun muss der Renault-Teamchef gehen, weil er offenbar betrieben hat, dass Nelson Angelo Piquet 2008 in Singapur gegen eine Wand gefahren ist, zum Vorteil des anderen Renault-Fahrers (Alonso gewann). In den Augen der Londoner Times „der bösartigste Akt von Rennmanipulation in der Geschichte des Motorsports“.

Es ist keine Überraschung, dass Briatore sich dieses Superlativ sicherte. Er war von Beginn an ein meisterhafter Manipulator. Mit Milde hat die Schiller-Locke aus Cuneo (Norditalien) nie rechnen dürfen. Er galt als vorbe…lastet, als er 1988 im GP-Sport Einzug hielt, hatte in Italien angeblich Spielcasinos Gäste zugeführt und davon profitiert. Die Gäste nicht.

Er hat ab 1982 in den USA 196 Filialen für Benetton aus dem Boden gestampft und gerne dazu erwähnt: „Willkommen waren wir nicht.“

Briatore roch nach Pulverdampf und dem alten Chicago. Neben ihm wirkten Teamchefs wie Frank Williams und Ken Tyrrell wie biedere Formel-1-Beamte. In seiner Biografie fehlten zwischen Stationen in New York und den Virgin Islands irgendwie aber zwei volle Jahre. «Schreibt einfach, ich war auf Karibik-Urlaub», lachte er damals.

Der Playboy aus dem italo-amerikanischen Milieu verfolgte seine kommerziellen Ziele mit erstaunlicher Konsequenz. Er aquirierte mit seinen grellen, auffallenden Benetton-Boliden aggressiv Sponsorengelder und investierte sofort in Top-Personal: Der beste Designer (John Barnard), der beste Taktiker (Ross Brawn), der beste Fahrer (Michael Schumacher), der gerissenste Sportchef (Tom Walkinshaw), der schlauste Ingenieur (Pat Symonds), der listigste Elektroniker (Tad Szapski) – 1994 war Benetton dem Traditionsteam Williams in den meisten Belangen überlegen.

Briatore ließ dabei nachhelfen: Manipulation der Bodenplatte bei Schumi 1994, Manipulation der Tankanlage 1994, Manipulation der Elektronik (illegale Traktionskontrolle 1994, nach Verschwindens von Beweismitteln nicht geahndet), Manipulation des Finals durch Schumi in Adelaide (Crash mit Hill). Dieser Titelgwinn stank zum Himmel, aber egal. Er bedeutete Briatores zweiten Durchbruch.

Sein Imperium von Schlitzohren wurde danach grösstenteils von Ferrari abgeworben, lernte fleissig dazu und hatte dann dort Erfolg. Benetton darbte. Briatore überlebte 1997 einen Rauswurf bei den Benettons, die plötzlich 10 oder 15 Millionen Dollar vermissten und kehrte 2001in allen Ehren zurück, als Chef des offiziellen Renault-Teams.

Er war auch gesellschaftlich etabliert. Erfolg genügt dafür in der Formel 1 vollkommen, und kommt er auch noch so umstritten zustande.

Im Gegenteil: Die Achtung vor Briatore stieg mit dem Masse seiner Skrupellosigkeit. Fahrer benutzte er eiskalt: Der Österreicher Alexander Wurz wurde immer wieder vor Publikum brüskiert, ins Chefzimmer gebeten, zusammengebrüllt, -gefaltet und schliesslich ad acta gelegt. Jean Alesi versuchte vergeblich, ihm zustehendes Gehalt in Millionenhöhe einzutreiben. Giancarlo Fisichella musste sich in Indianapolis 2000 per Pressemitteilung darüber informieren, was für eine amateurhafte Vorbereitung er absolviert habe. Jarno Trulli wurde 2004 mitten in der Saison trotz Vertrags und ohne juristische Grundlage entsorgt, er passte nicht ins Konzept, weil er mit seinem Tempo an Fernando Alonsos Shooting-Star-Image kratzte. Alonso war damals FB-Fahrer, also aus dem Pool von Flavio Briatore. Dem schloss man sich besser an, wenn man Renault-Fahrer werden wollte.

Briatore wurde mit seiner Doppelfunktion als Manager und Teamchef immer grösser und mächtiger und schillernder. Der Typ hat ja Charme. Macht hat Charme. Kohle hat Charme. Das vibrierende Umfeld der Formel 1 mitsamt dem Talentschuppen GP2, in dem er seine Finger auch noch drin hat, sowieso.

Also eröffnete Briatore einen Laufsteg, mitten durchs Fahrerlager. Er schleppte Naomi Campbell ein, bis Handtaschen flogen. Er präsentierte die Tschechin Eva Herzigova, er führte die unbarmherzige TV-Sensenfrau Heidi Klum ein, glänzte sogar mit ihr im Kölschen Karneval. Sie wurde First Lady bei Renault, dann wurde sie Mutter, dann war sie weg.

Zwischendurch gründete er den Club of Millionaires (Edeldiscos), pendelte zwischen Portifino und Sardinien und St. Tropez – immer auf der Yacht, immer braun gebrannt, immer entspannt. Er kaufte sich bei den Queens Park Rangers ein. Er wurde Ecclestones Freund, was immense Vorteile barg.

Das muss man Briatore lassen: Er vereinigte Business, Glamour und sportlichen Erfolg zu einem 24stündigen Privat-Job und führte Renault dabei zu zwei WM-Titeln (2005 und 2006). Sein Boot war sein Büro. Wenn nötig, liess er aber den Schampus stehen. Nach Erfolgen schnappte er sich Alonso und flog mit ihm heim ins Werk, sofort. Er wusste: Besser kann man seine Leute nicht bei Laune halten.

Und er kokettierte offen mit seinem Mangel an Benzin im Blut: «Wir brauchen 800 Leute, um zwei Autos schnell zu machen, verrückt. 100 reichen.» Die Botschaft dahinter lautete: Ich würde ja gerne sparen, aber die anderen sind alle blöd.

Sein prägnantester Vorschag bis heute war der, die Reihenfolge von der Qualifikation für den Rennstart umzudrehen. Der Letzte sollte zuerst losfahren und so weiter. Dann würde man schon genügend Überholmanöver und Spektakel sehen.

Seine Rolle als Möchtegern-Erneuerer und Verschlanker des GP-Sports hat er nie mit brauchbaren Konzepten und Taten unterlegt, ausser einer straffen Führung des Renault-Teams. Und dies, obwohl er seit Jahren in Ecclestones Windschatten lief.

Oder gerade deswegen?

Man hört, Briatore hatte höhere Ambitionen: Er attackierte Weltverbands-Präsident Max Mosley, bis er – vorsichtig ausgedrückt – in Ungnade fiel. Er wurde zu gross und merkte es nicht und wollte noch weiter wachsen, er wollte «meinen Job», wie Ecclestone unlängst aussprach. Aber aus Big Bernies Windschatten kam FB nie heraus.

Stattdessen gelangte Piquets Anklageschrift, die Briatore zur Legende macht, wundersamerweise in der Öffentlichkeit. Nach dem Informationsleck wird beim Weltverband noch lange (vergeblich) gesucht.

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