Was für ein Champion
Jenson Button jubelt mit Vater John
Ich war dabei, als Ayrton Senna 1990 in Suzuka im McLaren-Honda Weltmeister wurde, per Rammstoss gegen Alain Prosts Ferrari, sass neben ihm in der Sonne. Das Rennen lief noch. Er war nicht glücklich. Die Absicht des Unfalls, der ihn krönte, gab er kurz danach zu.
Ich war in Budapest, als er Brite Nigel Mansell im Williams-Renault 1992 frühzeitig seinen ersten und einzigen Titel einfuhr. Was für ein emotionaler Murks.
Ich war dabei, als Prost 1993 im überlegenen Williams-Renault seinen vierten Titel einfuhr. Kalte Routine.
Ich war in Adelaide, als Michael Schumacher 1994 im Benetton-Ford Damon Hill rausboxte und danach in einem Kreis von Leibwächtern feierte: Was für eine zwanghafte, freudlose Veranstaltung. Er widmete den Sieg dem zuvor verstorbenen Senna, um sein Foul mit Edelmut zu überdecken. Es war nicht seine Idee, aber er setzte sie gekonnt um.
Ich war dabei, als er 1995 alles klar machte, aber Schumi blieb Schumi. Er freute sich lieber im kleinen Kreis.
Ich war dabei, als Jacques Villeneuve 1997 im Williams-Renault Schumi die Stirn bot. Das war schon besser. Jacques liess die Sau raus, später sogar mit Schumi, der ihn gefoult und verloren hatte. Dessen Gattin Corinna fotografierte die beiden, damit jeder sehen konnte: alles wieder gut. Nichts war gut. Villeneuve fühlt sich bis heute hintergangen.
Und 1998 in Japan, als Mika Häkkinen im McLaren-Mercedes triumphierte. Mika hat die Kuh fliegen lassen bis zur Zungenlähmung. Aber der Finne war keiner für die Massen, gab sich später im Hotelzimmer im kleinen Kreis den Rest.
2000 dann in Japan: wieder Schumi. Eine Erlösung, ein Luftsprung, endlich der erste Titel mit Ferrari. Aber irgendwie arbeitete er nur sein Programm ab, versteckte sich, wurde gesucht, fuhr dann mit Gabelstapler durchs Fahrerlager. Da war er dann schon breit. Später flog ein Fernseher durch das geschlossene Fenster eines kleinen Raums, in dem er mit Bruder Ralf feierte. Überall Scherben, Torte, nasse rotte Gesichter. Endlich liess er es mal krachen. Aber ein bisschen gewollt wirkte es schon.
Die Jahre 2001 bis 2004 sind – sorry – bei mir verschwommen. Man hatte sich an Schumi-Titel gewöhnt. Er selbst wohl auch. Ich glaube, er tafelte danach immer im Fahrerlager mit Teamchef Jean Todt bei Kerzenlicht. Ausgelassenheit konnte man das nicht nennen.
2005 und 2006, mit Fernando Alonso in Interlagos: Das war starke Emotion, zumindest im Fahrerlager. Seine Renault-Mechaniker programmierten tatsächlich einen V10 auf den Song: «We are the Champions», bis er gewollt hochging. Queen aus dem Krümmer, originell und prickelnd. Hier allerdings sah ich Schumi nach seinem letzten Rennen, ein Fahrer, der ein Jahr lang und nochmals zwei Stunden im Finale gegen alle Wetten einen Ferrari mit einer Minimal-Chance über diese knüppelharte Piste geprügelt hatte.
Eine Vorführung von hoher Kunst, absoluter Entschlossenheit und Willenskraft. Ein Kampf bis zur letzten Sekunde, aus dem er den ganzen Spass und die volle Härte dieses Sports herausdestillierte, als wolle er sie auf ewig in sich einkapseln, um später immer wieder von der dieser Erinnerung zu naschen. Es war eine verlorene Hoffnung, aber er hat mehr Herzblut in dieses Rennen gesteckt als in jedes andere zuvor. Kurz danach sah ich ihn im hinteren Bereich der Ferrari-Box in einer intimen Minute mit seiner Corinna zwischen Motorenkisten: sich gegenseitig festhaltend, wortlose Blicke, ein langer Kuss. Wow! Schumi war in diesem Moment restlos befreit und erleichtert, ein freier und glücklicher Mann.
2007: Kimi Räikkönen in Interlagos. Winke winke, dann hoch die Tassen im Separée. Und ab in die Arktis (gähn). Räikkönen ist der unabhängigste, eigenständigste und vielleicht härteste Typ im Fahrerlager. Ich hatte höllischen Respekt vor der Beharrlichkeit, mit der über Monate seine Chancen gesucht und gefunden und genutzt hatte.
Das Natur-Ereignis war damals aber nicht Kimi Räikkönen, sondern Mercedes-Sportchef Norbert Haug, der ganz hinten im Teambereich sass und plötzlich nicht mehr sprechen konnte. Er wollte. Und brachte kein Wort mehr heraus in der Niederlage Hamiltons (mit einem Punkt Rückstand im McLaren-Mercedes). Nach einer endlosen Pause, wir hockten mangels Stühlen in brütender Hitze etwa zu fünft um ihn herum, brockte er heraus: «Tut mir leid, auch ein Sportchef ist manchmal sprachlos.» Ein Moment ergreifender Menschlichkeit.
2008, Hamilton in Interlagos: Der Junge ist ja in Ordnung, sehr jung, durchaus wild und auch sehr schwarz, wenn es ums Feiern geht. Da soll ein Kompliment sein. Hamilton kann die Puppen tanzen lassen, aber der Erfolg war zu mühsam. Er war eher erlöst als erfreut. Für mich war Massa Weltmeister, der Sieger dieses Wahnsinnsrennens und knapp gescheiterte Vizeweltmeister. Vor allem wegen seiner Reaktion trotz der masslosen Enttäuschung: «Ich bin todtraurig, aber Lewis ist ein würdiger Champion, er hat es voll verdient.»
Massa, von alles als kindlich eingestuft, bewies damals weltmeisterlichen Charakter und Sportsgeist. Sein Verhalten war pure Werbung für den Sport, für die Formel 1. Die Kraft seines Rückgrats trieb mir in diesem Moment einen dicken Kloss in den Hals.
Nun Jenson Button. Ich muss sagen: Hut ab vor diesem Mann. Denn er freute sich wie ein Kind. Wie er, Helm auf dem Kopf, aus dem Parc Fermé federte mit ungeheurer Dynamik und leichten Schritten und die Welt umarmen wollte: reine Gänsehaut. Da kam jede Umarmung, und es waren derer viele, aus tiefstem Herzen. Man muss sich nur seine Augen anschauen. Und musste sich mit ihm freuen. Er kam dann hoch zu uns Journalisten und sprudelte und sprudelte. Ein Redefluss ohne Ende. Immer wieder unterbrochen von dem Satz: «Hey, I am the world champion!» Er betonte jedes Wort, als müsste er sich selbst klar machen, was er geleistet hat.
Und das nach Wochen bitterer Selbstzweifel, wie er freimütig einräumte. Und die er versteckt hatte. Nun zeigte er den ganzen, echten Button. Und dann die Fahne mit dem diesem Union Jack als Umhang. Aufschrift: Great Button. Er verlieh dieser manchmal peinlichen Saison und dem Sport als solchem einen unvergesslichen Höhepunkt. Da passte alles. Ich habe selten so echte Freude gesehen. Und selten so gelacht. Einige Kollegen wischten sich Tränen aus den Augen.
Button ist alleine mit dieser Aufführung ein würdiger Weltmeister geworden, denn sie war nicht gespielt, in keiner Sekunde. «Wir werden die Hölle von einer Party machen», sagte er strahlend. Kein Zweifel. Da wäre ich nun wirklich gerne hingegangen, aber der feiert sicher neun Tage durch.