Nur noch ein Rennen Wahnsinn
Zum Glück hatten die Schutzengel in Interlagos Dienst.
«Motorsport is dangerous», so steht es auf jedem Ticket, das man an der Rennstrecke um den Hals hat. Das leuchtet gleich auf den ersten Blick ein, denn der Sinn eines Autorennens ist es nun einmal, eine vorgegebene Strecke so schnell wie möglich mit einem motorisierten Vehikel zu absolvieren. Und schnell fahren ist gefährlich.
Doch musste man die Formel 1 deshalb gefährlicher machen, als sie eh schon ist? Bis heute ist mir ein Rätsel, weshalb die FIA 1994 das Tanken wieder eingeführt hat. Man wollte für mehr Action sorgen, weil das Überholen in der Formel 1 so selten geworden ist. Wenn es das war, dann ging der Schuss nach hinten los, denn durch das taktische Element Boxenstopp wurde vor allem eins geraubt, was fürs Überholen eine wichtige Voraussetzung ist: nämlich Überholen zu müssen, weil man sonst eben nicht vorbeikommt. Jedenfalls hat die Tankerei mehr packende Duelle auf der Piste verhindert als Spannung erzeugt.
Dort, wo Tanken unerlässlich ist, nämlich auf der Langstrecke, wird seit Jahrzehnten versucht, die Gefahr so weit wie möglich zu reduzieren. Schon in der Gruppe C war die Durchflussmenge des Tankschlauches kaum grösser als an jeder Zapfsäule um die Ecke. Inzwischen fliesst der Sprit in Le Mans etc. zwar etwas schneller, wenn auch noch nicht mal halb so schnell wie in der Formel 1. Aber dafür sind während des Tankvorgangs praktisch alle anderen Arbeiten am Auto untersagt. Nur in der Formel 1 toben sich während des Tankens rund 15 Personen am Auto aus, der Sprit wird mit Hochdruck in den Tank gepumpt.
Auch wenn es bald Routine war, die Angst im Nacken war bei jedem Tankstopp in der Formel 1 immer da. Dass es in all den Jahren nie zu Verletzungen kam, ist aus technischer Sicht sicher kein Wunder, realistisch gesehen aber ein unglaubliches Glück. Verstappen, Irvine oder Diniz sehen das sicher ähnlich.
Dieses Glück hatte auch Kimi Raikkönen in Interlagos. Dabei geht es weniger um die Gefahr von Verbrennungen, dagegen ist der Schutz schon sehr hoch. Aber es kann nicht gesund sein, plötzlich völlig unvorbereitet mehrere Hundert Grad heisse, feurige Luft einzuatmen. Und ich will mir gar nicht ausmalen was hätte passieren können, hätte sich das Benzin nicht in die Fast Lane der Boxengasse verteilt, sondern in eine Box oder Kommandostand, wo sich viele Menschen ohne feuerfeste Kleidung aufhalten.
Zum Glück ist es nun bald vorbei, nach Abu Dhabi kommen die Tankanlagen auf den Schrott, ins Museum oder Ebay. Im nächsten Jahr wird die Formel 1 am Start genug Benzin an Bord haben müssen, um ins Ziel zu kommen. Die grössere Spritmenge birgt in meinen Augen kein zusätzliches Gefahrenpotential. Piercarlo Ghinzanis Unfall mit seinem Osella 1984 in Kyalami war der letzte Formel 1-Crash, bei dem der Tank so beschädigt wurde, dass Sprit austrat und sich entzündete. Beim Unfall von Gerhard Berger 89 in Imola war es «nur» Benzin aus beim Aufprall abgerissenen Leitungen, was zum Inferno führte. Und das war noch weniger Sprit, als Kovalainen am Sonntag in Interlagos versprühte.
Wie gesagt, ich bin froh, dass es bald vorbei ist. Denn mich interessierte schon immer mehr, wie sich ein Pilot mit dem schwereren Auto die Reifen einteilt, als wer am Kommandostand den besten Rechner hat.