MotoE: Lügen und Halbwahrheiten zur Nachhaltigkeit

Kolumne von Günther Wiesinger
Als der MotoE-Weltcup geplant wurde, sollte die ganze Rennserie mit erneuerbarer Energie betrieben werden. In Jerez wurde erzählt, fünf Bikes würden mit Solarstrom geladen. Aber das ist offenbar ein Märchen.

Ein Jahr vor dem Start des MotoE-Weltcups wurde verkündet, dank der Mitwirkung des italienischen Energiekonzerns Enel als Hautsponsor werde man die Einheits-Motorräder von Energica Ego Corsa immer und überall mit erneuerbarer Energie aufladen. Doch die Elektro-Rennserie stand vom ersten Tag an unter keinem guten Stern, denn beim ersten Test in Jerez brannte das MotoE-Zelt in der ersten Nacht bis auf die Grundfesten nieder. Der Saisonstart musste von Jerez im Mai bis zum Sachsenring im Juli verschoben werden, damit 18 neue Bikes gebaut werden konnten. Gleichzeitig entbrannte ein Zwist zwischen Promoter Dorna und Enel darüber, wer die Mehrkosten für den Neubau der Bikes bezahlen sollte, sie waren nämlich nicht versichert.

Die vermeintlich schadstofffreie Rennserie begann beim GP von Deutschland gleich mit einem Rennabbruch, weil sich wegen des möglichen Stromschlags kein Streckenposten getraute, das gestürzte Bike aus der Gefahrenzone zu befördern. Beim nächsten MotoGP-Wettkampf in Spielberg 2019 gab es bereits zwei Quads mit feuerfesten Behältern, in welche die gestürzten Bikes mit einem kleinen Kran verladen und abgekühlt wurden. Außerdem wurde 2019 aus Spanien ein ziemliches antiquiertes Feuerwehrauto mit Dieselmotor zu allen MotoE-Rennen gefahren. Das war offenbar billiger als vor Ort eines für vier Tage zu mieten. Über den ökologischen Fußabdruck sprach niemand.

Die MotoE-Verantwortlichen rund um den ehemaligen Michelin-Rennchef Nicolas Goubert und Enel schwindelten vom ersten Tag an über die Nachhaltigkeit des MotoE-Projekts, denn bei den Ladestationen waren schon 2019 nichts als Diesel-Generatoren zu sehen, welche die 100 kg schweren Akkumulatoren der Energica-Bikes luden. «Juice Roll Race Edition», ist auf diesen Dingern zu lesen.

Beim Österreich-GP im August 2019 inspizierte SPEEDWEEK.com diese Ladestationen und prüfte, wie es mit der erneuerbaren Energie aussah. Wurde mit Windenergie geladen? Oder mit Solarstrom?

Nein, es lagen zwar ein paar lose Solar-Panels verstreut auf den Dächern der Ladestationen herum, aber die Kabel liefen planlos nach unten und endeten einen Meter über dem Erdboden im elektrischen Nirwana.

MotoGP-Fahrer: Zum Narren gehalten?

Am Donnerstag letzter Woche fiel der Kommunikationsabteilung der Dorna, offenbar auf Wunsch von Enel, nichts besseres ein als den vier MotoGP-Fahrern (Marc Márquez, Aleix Espargaró, Fabio Quartararo und Alex Rins) bei der offiziellen Pressekonferenz um 17 Uhr einige Fragen zur grandiosen MotoE zu stellen.

Dazu gehörte die Frage: Wie viele der 18 MotoE-Bikes werden in Jerez zu 100 Prozent mit Solarstrom geladen? Die richtige Antwort gemäß Dorna und Enel lautete – fünf.

SPEEDWEEK.com begutachtete danach das MotoE-Camp aufmerksam. Aber es waren beim besten Willen auch in der weiteren Umgebung keine Solarzellen ausfindig zu machen, und es liefen auch keine überirdischen Stromkabel zu den 20 Ladestationen.

Übrigens: Laut den MotoE-Machern dauert das Laden einer Batterie nur 30 Minuten. Zwischenfrage: Warum braucht man dann 20 Ladestationen für 18 Bikes?

«Niemand von den Teams weiß, wie lange das Laden der Batterie braucht», erklärte uns ein MotoE-Teamtechniker. «Wenn die Batterien heiß sind, dauert das Laden sicher deutlich länger.»

Außerdem war das 20 Minuten lange FP1 am Freitag um 8.45 Uhr zu Ende, das FP2 begann erst 3 h 50 min später um 12.35 Uhr.

Falls die Angaben der MotoE-Macher stimmen würden, hätte man in dieser Zeit an jeder Ladestation sieben Bikes laden können und nur drei statt 20 «Juice Rolls» gebraucht.

«Naja, wir brauchen ja auch Zeit, um an den Bikes zu arbeiten, Reifen zu wechseln und die Abstimmung zu verändern», meinte ein Techniker aus dem MotoE-Team von Sito Pons.

Aber man könnte ja auch «time slots» zum Laden für alle Teams vereinbaren und festschreiben.

Immerhin werden inzwischen die Motorräder jener zwei Fahrer, die vom Q1 ins Q2 aufsteigen, innerhalb von zehn Minuten mit einem Schnellladesystem MU (= Mobile Unit) neu geladen.

Die Feuerwehr ist allgegenwärtig

Im Fahrerlager werden die MotoE-Teilnehmer trotz ihrer redlichen Bemühungen belächelt. Denn ihre Rundenzeiten blieben trotz der erheblichen Kilowatt-Leistungen mit den 250-kg-Gefährten 2,5 Sekunden über der Q2-Bestzeit in der 250-ccm-Einzylinder-Moto3-Klasse – und das im vierten Jahr!

Die Szenen im Fahrerlager tragen teilweise zur Belustigung bei. Wenn die MotoE-Fahrer nach den Trainings oder nach dem Rennen in einer sauberen Kolonne lautlos aus der Boxengasse zum mobilen MotoE-Boxengebäude zurückrollen, fügt sich ein Feuerwehrmann in feuerfester Bekleidung auf einem E-Scooter in die Reihe der Fahrer ein, um im Brandfall blitzartig löschen zu können.

Und damit diese lautlosen Maschinen keinen Fußgänger über den Haufen fahren und alle beweglichen Hindernisse aus dem Weg scheuchen, ertönt während der gesamten Fahrt ein lästiger, unüberhörbarer auf- und abschwellender Hupton.

Das mag alles ein bisschen gewöhnungsbedürftig sein, nachhaltig ist es nicht.

Es lungern auch den ganzen Tag Feuerwehrleute um die MotoE-Boxen herum, die seit dem Brand vor drei Jahren in Sicherheitsabstand zum Rest des Paddocks aufgestellt werden. Nicht zuletzt auf Wunsch der japanischen MotoGP-Teams, die nicht erleben wollten, wie durch einen weiteren MotoE-Brand auch ihr kostbares Material abgefackelt wird. 

Abschließend möchte ich festhalten: Ich bin absolut kein Gegner der E-Mobility. Ich verfolge diese Entwicklung mit starkem Interesse und erhöhter Aufmerksamkeit.

Aber ich habe etwas dagegen, wenn die MotoE-Macher um Nicolas Goubert jahrelang scheinheilig das Blaue vom Himmel herunterlügen und die Öffentlichkeit, die Medien und jetzt sogar die MotoGP-Stars zum Narren halten.

Es ist ja wunderbar, wenn in den MotoE-Reifen von Michelin durch den Einbau von Zitronen- und Orangenschalen der Planet gerettet wird. Die Vorderreifen bestehen angeblich zu 33 Prozent aus nachhaltigen Ressourcen, die Hinterreifen zu 40 Prozent.

Unabhängig überprüfen lässt sich das freilich nicht.

Und: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.

Zumal die Dorna vor dem Start der MotoE-Rennserie vor vier Jahren inbrünstig überzeugt war, man werde diese Serie schadstofffrei über die Bühne bringen.

Enel hat es nie geschafft und wahrscheinlich nie ernsthaft probiert.

Trotzdem hat Enel bei der Dorna-Kommunikationsabteilung durchgesetzt, dass sogar die MotoGP-Piloten mutwillig belogen wurden und ihnen die Zeit gestohlen wurde.

MotoE-Rennen 2, Jerez, 1. Mai

1. Eric Granado (LCR E-Team), 14:36,321 min
2. Miquel Pons (LCR E-Team), + 0,217 sec
3. Mattia Casadei (Pons Racing 40), + 0,394
4. Dominique Aegerter (Dynavolt Intact GP MotoE), + 0,488
5. Hikari Okubo (Avant Ajo MotoE), + 1,182
6. Matteo Ferrari (Felo Gresini MotoE), + 1,715
7. Jordi Torres (Pons Racing 40), + 2,701
8. Alex Escrig (Tech3 E-racing), + 4,202
9. Niccolò Canepa (WithU GRT RNF MotoE Team), + 5,471
10. Kevin Manfredi (Octo Pramac MotoE), + 5,755
11. Xavi Forres (Octo Pramac MotoE), + 7,061
12. Lukas Tulovic (WithU GRT RNF MotoE Team), + 10,497
13. Kevin Zannoni (Ongetta SIC58 Squadracorse), + 10,880
14. Maria Herrera (Openbank Aspar Team), + 18,274
15. Alessio Finello (Felo Gresini MotoE), + 26,343
Out:
Hector Garzo (Tech3 E-racing), Sturz
Yeray Ruiz (Avintia Esponsorama Racing), Sturz
Marc Alcoba (Openbank Aspar Team), Sturz

MotoE-Weltcup, WM-Stand nach 2 von 14 Rennen

1. Granado, 50 Punkte. 2. Aegerter, 33. 3. Pons, 28. 4. Ferrari, 26. 5. Okubo, 21. 6. Torres, 20. 7. Escrig, 17. 8. Casadei 16. 9. Garzo, 13. 10. Canepa, 12. 11. Tulovic, 10. 12. Manfredi, 9. 13. Alcoba, 7. 14. Fores, 7. 15. Zannoni, 7. 16. Herrera, 3. 17. Finello, 1.

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