20. Mai: Der Tag, als Saarinen und Pasolini starben
Der 250-ccm-WM-Lauf im Königlichen Park von Monza beim Gran Premio delle Nazioni 1973 endete in einer Tragödie: Der Schwabe Dieter Braun lag auf der Yamaha TZ250 in Führung, als Renzo Pasolini auf der Harley Davidson zu Sturz kam und Yamaha-Pilot Jarno Saarinen keine Chance zum Auszuweichen hatte. Der 27-jährige Finne, der wohl beste Fahrer dieser Zeit, knallte gegen die Leitplanke und wurde wieder auf die Strecke geschleudert, wo auch er von den nachfolgenden Piloten überrollt wurde.
Saarinen hatte 1972 die Viertelliter-WM für das Yamaha-Werksteam gewonnen und lag vor dem Monza-GP in den Klassen 250 ccm und 500 ccm auf Platz 1 der Fahrer-Weltmeisterschaft. Für viel Aufsehen hatte auch Saarinens Triumph beim 200-Meilen-Rennen in Daytona 1973 gesorgt. Denn Yamaha hatte die Entwicklung der neuen Vierzylinder-TZ700 und TZ750 noch nicht abgeschlossen. Also wurde der Finne bei diesem prestigeträchtigen AMA Grand National Race mit einem Yamaha TZ 350-Twin gegen die hubraumstarken Bikes von Kawasaki (sie setzten die 750-ccm-Dreizylinder ein) und die 750er-Suzuki in die Schlacht geschickt.
Das Team Green setzte gleich sechs Fahrer ein; darunter Daytona-200-Sieger Gary Nixon, Yvon DuHamel, Cliff Carr sowie Hurley Wilvert. Suzuki vertraute auf vier Topfahrer, darunter der neuseeeländische Champion Geoff Perry und Don Emde, der beim Daytona 200 bereits 1972 triumphiert hatte. Wenige Wochen später siegte Saarinen im April 1973 auch beim traditionellen und stark besetzen 200-Meilen-Rennen von Imola.
Der zweifache Motorrad-Weltmeister Dieter Braun (79) hat seine eigenen Ansichten zur Diskussion, ob damals ein Kolbenklemmer oder ein Ölfleck die Ursache des grausamen Massensturzes mit insgesamt 14 GP-Piloten gewesen sei. «Nicht nur, sondern auch. 'Non solum sed etiam', würde ich sagen, wenn mich meine spärlichen Latein-Kenntnisse nicht im Stich lassen. Damit will ich sagen, dass eventuell das Öl und das Blockieren des Motors zusammengewirkt haben.»
«Im vorausgegangenen 350-ccm-WM-Rennen war ich zunächst im Spitzenpulk, er bestand aus Agostini, Pasolini, Länsivuori; mit circa 30 Metern Abstand folgte meine Gruppe mit Kent Andersson und John Dodds», erinnert sich der deutsche Ex-Weltmeister. «Die gefährliche High-Speed-Kurve ‘Curva Grande' am Ende der Zielgeraden war damals ohne Schikane für die Spitzengruppe eine Vollgaskurve, aber nur unter optimalen Bedingungen. Bei Halbzeit des Rennens bemerkte ich, dass meine Yamaha in besagter Kurve hinten total unruhig lag, worauf ich an dieser Stelle ein wenig mit gebremstem Schaum fuhr.»
Braun weiter: «Ich konnte eine Kampfgruppe also nicht mehr halten und rutschte somit auf den siebten Platz ab. Nach dem 350-ccm-Rennen sah ich an der Benelli von Walter Villa, dass die Hochschulter-Felge randvoll mit Öl gefüllt war, was mir auch die dunkle Spur auf der Ideallinie erklärte. Er könnte also die Ölspur gelegt haben. Des Weiteren fehlten an meinem Hinterreifen ganze Profilblöcke, was sich anfühlte, als wäre das Hinterrad nicht ausgewuchtet gewesen. Slicks waren ja damals noch nicht im Einsatz, sie kamen erst 1976... Die mögliche Ursache bei meinem Hinterreifenproblem war wahrscheinlich, dass durch den starken Schlupf bei hoher Geschwindigkeit die Reifentemperatur zu hoch wurde. Ich habe jedoch nach dem Crash von inoffizieller Seite erfahren, dass die Harley Davidson von Renzo Pasolini festgegangen war. Das ist meines Erachtens die Ursache von dem Horror-Crash. Die Harley-Davidson-Motorräder, die von Aermacchi abstammten, sind immer schon häufiger festgegangen als die Yamaha. Aber wir fuhren zu dieser Zeit zum Grossteil mit Zweitaktern – deshalb war das Festgehen oft eine Sturzursache. Deshalb bin ich mit 99,9-prozentiger Sicherheit davon überzeugt, dass der Massensturz durch einen Kolbenklemmer an der Harley von Pasolini ausgelöst worden ist.»
«In einer so schnellen Kurve wie der 'Curva Grande' stand ja ein Rennmotorrad nach einem Kolbenklemmer nicht sofort quer, sondern der Wind stabilisierte das Motorrad so, dass es es hinten etwas langsamer ausbrach und ins Rutschen kam. In einer Erste-Gang-Kurve bist du nach einem festgehenden Kolben viel blitzartiger abgestiegen wie in der 220 km/h schnellen Curva Grande.»
«Die Erinnerung an dieses Bild ist heute noch genau in meinem Kopf präsent», versichert Dieter Braun, der als Privatfahrer 1970 die 125er-WM (auf der Ex-Anscheidt-Suzuki) und 1973 die 250er-WM (auf Yamaha) gewann. «Immer noch sehe ich den Australier John Dodds, wie er wild gestikulierend Richtung Start/Ziel gerannt kam und dadurch mich in Führung liegend auf die Katastrophe aufmerksam gemacht hat.»
Ergänzung des 14-fachen-GP-Siegers: «Das nächste Mal unterhalten wir uns lieber wieder über andere Themen, die angenehmere Erinnerungen mit sich bringen.»