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Jorge Navarro: «Der schlimmste Moment meines Lebens»

Von Friedemann Kirn
Jorge Navarro stürzte in der 4. Runde des Moto2-GP von Australien und wurde von Simone Corsi überrollt, wobei er links einen Oberschenkelbruch erlitt. Stars wie Márquez bis Rins wunderten sich, wo die rote Flagge blieb.

Denn es hätte noch schlimmer kommen können: Zwei Runden lang lag Jorge Navarro in der Siberia-Kurve innen schutzlos einen Meter neben der Phillip-Island Piste, bevor er endlich von den Sanitätern abtransportiert wurde. Auf die Idee, den Lauf abzubrechen, kam die Rennleitung nicht.

«Unter den Umständen geht es mir gut. Ich bin mit Prellungen übersät, mein Rücken und meine Hüfte tun weh, doch ich mache Fortschritte», erklärte er in einem Telefoninterview mit der spanischen Sporttageszeitung «AS». Die Operation im «Alfred»-Hospital in Melbourne sei gut verlaufen. «Ich hatte einen stark verschobenen Bruch im Oberschenkelknochen, den die Ärzte in einer dreistündigen Operation mit einem langen Nagel von der Hüfte bis zum Knie wieder zusammenfügen konnten. Auch die Oberschenkelarterie, eine der größten im Körper, war beschädigt, und das Gewebe im Bein mit Blut durchtränkt. Das ganze Bein ist schwarz. Es wird eine Zeitlang dauern, bis das Ödem zurückgeht und ich darangehen kann, die Muskeln wieder aufzubauen. Zum Glück steht der Knochen wieder richtig, ich bin hier in guten Händen«, gewann der Spanier seiner Situation positive Seiten ab.
Das Saisonfinale in Valencia, den letzten Auftritt in der Moto2-Klasse, hatte der 26-jährige Pilot des Flexbox-Teams von Sito Pons bereits abgehakt. «Meine Gesundheit macht Fortschritte, ich sehe Licht am Ende des Tunnels. Doch ein Oberschenkelknochen heilt nicht in zwei Wochen. Als sich Pedro Acosta nach dem Sachsenring-GP verletzte, konnte er erst in Österreich wieder fahren, etwas mehr als anderthalb Monate später. Deshalb habe ich an das Rennen in Valencia keinen Gedanken verschwendet.»

Den Phillip Island-Unfall hat sich Navarro immer wieder im Video angeschaut. «Ich wollte genau wissen, an welcher Stelle mich Corsi überrollte. Es war, als sei ich unter einen Zug geraten. Ich spürte aber nicht genau, wo er mich traf, außer, dass mein Bein in Richtung Sydney zeigte», zeigte Navarro Galgenhumor. «Es war ein seltsamer Sturz, denn ich hatte bereits beschlossen, keine Risiken einzugehen, weil ich kein Gefühl für das Motorrad und nichts zu gewinnen hatte. Ich fing dann an, ein bisschen mehr Druck zu machen, sah eine Lücke und überholte Corsi. Am Ausgang der Kurve 4 rutschte aber das Vorderrad weg. Noch während ich am Stürzen war, merkte ich, wie etwas über mich hinwegbrauste und ich kein Gefühl im Bein mehr hatte. Es war, als wäre es abgetrennt. Als ich hinschaute und sah, dass ein Teil des Beins in diese und das andere in jene Richtung schaute, wusste ich, dass es etwas Schlimmeres war. Ich war in schlechter Verfassung, konnte kaum atmen und war sehr nervös. Corsi kam angerannt und nahm mir den Helm ab, weil ich keine Luft bekam. Dabei tropfte Blut von seinem beschädigten Finger auf mein Bein. Ich dachte, es sei mein eigenes Blut und bin endgültig kollabiert.»

Navarro winkte verzweifelt, um die Streckenposten auf seine Situation aufmerksam zu machen und einen Rennabbruch herbeizuführen. Doch von der Rennleitung kam kein entsprechendes Signal. Zwei beängstigende Runden lang liefen die Streckenposten durcheinander und hantierten mit ihren Walkie-Talkies, bis Navarro aus der Gefahrenzone gebracht wurde.
Während dieser Minuten dachte Navarro an seinen Landsmann Tito Rabat, der nach einem Sturz in Silverstone 2018 ebenfalls überrollt worden war und eine Oberschenkelfraktur erlitten hatte. Er befürchtete noch Schlimmeres. «Hier war ich am Boden, einen Meter neben der Piste, die Motorräder rasten zum Greifen nah und sehr schnell an mir vorbei, und ich wälzte mich in Schmerzen. Das war der schlimmste Moment meines Lebens!»

Und es gab niemanden, der ihm erklären konnte, warum er vergebens auf den Rennabbruch wartete. «Ich verstehe das nicht. Ich weiß nicht, was noch passieren muss, damit rote Flaggen geschwenkt werden. Ich lag einen Meter neben der Piste, die Motorräder fuhren anderthalb Meter an mir vorbei. Es mag schon sein, dass an dieser Stelle normalerweise keine Stürze passieren, doch zwei Runden vorher war mir genau das zugestoßen. Außerdem blies an dieser Stelle der Seitenwind. Es gab alle Zutaten für eine Tragödie, und es war Glück, dass mich das Schicksal an diesem Tag verschont hat», so Navarro. «Doch so etwas darf sich nicht wiederholen, und wir müssen in dieser Sache Stellung beziehen. Wir dürfen nicht über diesen Vorfall hinweggehen, als sei nichts geschehen.»

Zum Glück habe er nun das Schlimmste überstanden und könne nach vorne schauen. «Ich habe Lust und Motivation, aufs Motorrad zu steigen und weiterzufahren», erklärte Navarro, der zwei Moto3-GP-Siege gefeiert hat und 2023 in die Supersport-WM wechselt und dort im Ten Kate-Yamaha-Team um den Titel kämpfen will. «Das ist ein Top-Projekt und ich sehe mich immer noch als Siegfahrer. Ich habe ein schwieriges Jahr hinter mir, in dem ich vom ersten Moment an mit Verletzungen kämpfte und in dem ich mich nie richtig auf dem Motorrad wohl fühlte. Doch ich kämpfe weiter, weil ich weiß, dass mein Niveau höher ist als das, was ich in diesem Jahr zeigen konnte. Alles, was ich will, ist das richtige Material und Umfeld, um glänzen können. Nächstes Jahr habe ich die Chance und werde 100 Prozent geben, um sie zu nützen!»

(Die Statements von Race Director Mike Webb und Carlos Ezpeleta, Chief Sporting Officer von Dorna Sports S.L., zum Vorfall lesen Sie heute um 20.30 Uhr auf SPEEDWEEK.com)

Ergebnis Moto2, Sepang, Rennen (23.10.):

1. Arbolino, Kalex, 18 Rdn in 38:25,233 min (= 155,8 km/h)
2. López, Boscoscuro, + 11,411 sec
3. Dixon, Kalex, + 11,802
4. Augusto Fernandez, Kalex, + 13,206
5. Gonzalez, Kalex, + 14,770
6. Schrötter, Kalex, + 17,166
7. Beaubier, Kalex, + 20,222
8. Canet, Kalex, + 24,279
9. Alcoba, Kalex, + 24,407
10. Aledeguer, Boscoscuro, + 24,482
11. Salac, Kalex, + 30,636
12. Dalla Porta, Kalex, + 33,595
13. Arenas, Kalex, + 34,448
14. Bendsneyder, Kalex, + 34,927
15. Hada, Kalex, + 43,757

Moto2-Fahrer-WM (nach 19 von 20 Grand Prix):

1. Augusto Fernández 251,5 Punkte. 2. Ogura 242. 3. Canet 200. 4. Arbolino 175,5. 5. Vietti 165. 6. Dixon 159,5. 7. Lopez 155,5. 8. Acosta 152. 9. Roberts 130. 10. Chantra 128. 11. Schrötter 117,5. 12. Navarro 83. 13. Bendsneyder 82. 14. Arenas 79. 15. Beaubier 73. 16. Aldeguer 67. 17. Gonzalez 66. 18. Alcoba 64. 19. Lowes 55. 20. Salac 42. 21. Baltus 30. 22. Dalla Porta 19. 23. Manzi 9. 24. Zaccone 9. 25. Kubo 7,5. 26. Fenati 7. 27. Rodrigo 6. 28. Kelly 5,5. 29. Ramirez 5. 30. Hada 3,5. 31. Pasini 1.

Konstrukteurs-WM:
1. Kalex 452,5 Punkte. 2 Boscoscuro 187,5. 3. MV Agusta 5.

Team-WM:
1. Red Bull KTM Ajo 403,5 Punkte. 2. Idemitsu Honda Team Asia 370. 3. Flexbox HP40 283. 4. GASGAS Team Aspar 238,5. 5 Elf Marc VDS Racing 230,5. 6. Beta Tools Speed up 229,5. 7. Liqui Moly Intact GP Team 181,5. 8. Mooney VR46 Racing 165. 9. Italtrans Racing 149. 10. Pertamina Mandalika SAG 91,5. 11. Yamaha VR46 Master Camp 82,5. 12. American Racing 78,5. 13. Gresini Racing 51. 14. RW Racing GP 30. 15. MV Agusta Forward 5.


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