KTM: Im Werk gingen die Lichter aus

Tragödie/3. Juni 2016: Der Tag, als Luis Salom starb

Von Günther Wiesinger
Der 3. Juni war der traurigste Tag in der Motorrad-GP-Saison 2016. Heute vor sieben Jahren verunglückte Luis Salom im Moto2-FP2 beim Catalunya-GP tödlich.

Luis Salom war im Fahrerlager allseits beliebt. Nach seinem Tod machte sich tiefe Betroffenheit breit, die Kollegen forderten sofort eine Entschärfung der Unfallstelle, tatsächlich wurde der Streckenverlauf für Samstag und Sonntag geändert.

Nach dem Tod von Luis Salom herrschte im Paddock Totenstille. Gleichzeitig wurde nach der Sturzursache geforscht, die Hintergründe des Drams sind bis heute rätselhaft geblieben. Aber erstmals seit Marco Simoncelli im Oktober 2011 hatte ein Rennfahrer auf der Rennstrecke sein Leben verloren. Es fiel allen Betroffenen schwer, in dieser Situation die richtigen Worte zu finden.

Mit Luis Salom war einer der nettesten, fröhlichsten und liebenswürdigsten Rennfahrer von uns gegangen, ein Athlet, der im Fahrerlager keine Feinde hatte.

Der Mallorquiner Luis Salom war ein Fahrer, den alle schätzten, der immer freundlich und ansprechbar war, er wirkte gut erzogen, seine attraktive Mutter Maria Horrach war immer dabei, denn der Papa musste meistens daheim bleiben, um sich um den behinderten Bruder zu kümmern und um das Motorradgeschäft auf Mallorca.

Wir haben Luis Salom im Red Bull Rookies-Cup kennengelernt. Er war in jeder Kategorie und Rennserie schnell und erfolgreich.

Ich erinnere mich, wie mich Red Bull KTM-Teambesitzer Aki Ajo am Abend des Brünn-GP 2012 anrief und sich bei mir nach der Mobiltelefonnummer von Marco A. Rodrigo erkundigte, dem Schweizer Manager von Luis Salom, der damals auf einer privaten Kalex-KTM bei RW Racing die WM als Zweiter beendete.

In diesem Moment ahnte ich, wer bei Red Bull KTM 2013 die neue Nummer 1 werden würde – statt Sandro Cortese, der als kommender Weltmeister den Aufstieg in die Moto2-WM beschlossen hatte.

Schon damals wunderte ich mich, wie der immer gut gelaunte Luis an seinem schmächtigen Körper immer wieder neuen Platz für prächtige und immer buntere Tattoos fand.

Marco Rodrigo, ein ehemaliger Immobilienunternehmer aus Zürich mit spanischen Wurzeln, übernahm 2012 das persönliche Management von Salom. Rodrigo war 2011 als Gründer des Grand Prix Team Switzerland in die Moto2-WM gekommen, als Teamchef von Randy Krummenacher. Er fand aber bald Gefallen an Salom und seiner Familie und unterstützte den sympathischen Spanier, er brachte ihn 2012 im niederländischen RW-Racing-Team unter, für das auch Krummenacher mit Sponsorgeld von Rodrigo vorher zwei Jahre unterwegs war.

Dann verunglückte Luis Salom an diesem schwarzen Freitag, dem 3. Juni 2016, im zweiten freien Moto2-Training zum Catalunya-GP in der Kurve 12 schwer, das ist die Kurve vor der Zielkurve, die letzte im Stadion.

Da das Training nicht mehr gestartet wurde, war allen Menschen im GP-Paddock bewusst, dass der Kalex-Pilot aus dem SAG-Team lebensgefährlich verletzt war. Dr. Giancarlo di Filippo, der Medical Director der FIM, konnte am Freitag um 17.20 nur noch den Tod von Luis Salom melden.

Luis Salom: Die Ärzte konnten ihn nicht retten

«Mit grosser Traurigkeit geben wir Nachricht über das Ableben von Luis Salom», seufzte er mit tränenerstickter Stimme. «Die FP2-Session wurde mit der roten Flagge gestoppt, es waren noch 25 Minuten zu fahren. Einige Sanitäter und Ärzte und zwei Ambulanzfahrzeuge waren sofort an der Unfallstelle, um den 24 Jahre alten Fahrer medizinisch zu betreuen und zu versorgen. Auch der Rettungshelikopter wurde in Marsch gesetzt. Durch die Ernsthaftigkeit der Verletzungen wurde die Entscheidung getroffen, Salom ins nahe Hospital de Catalunya zu transportieren. Als er dort eintraf, wurde der Fahrer operiert, aber das Trauma-Team konnte um 16.55 Uhr nur mehr den Tod von Luis Salom feststellen.»

Die Kunst der Ärzte konnte Luis Salom nicht retten. Der Spanier krachte mit rund 180 km/h ungebremst gegen sein von den Airfences zurückgeschleudertes Motorrad. Beim Eintreffen der Ärzte in Turn 12 wurde sofort ein Herzstillstand festgestellt. In Anbetracht der schweren lebensbedrohlichen Verletzungen wurde durch eine Intubation und eine Herz-Lungen-Reanimation (CPR) versucht, Luis Salom wieder zum Leben zu erwecken. Dem Spanier wurde eine Nackenstütze angelegt, dann wurde er intravenös versorgt, in der Zwischenzeit wurden weitere Herzmassagen durchgeführt.

Die Mediziner setzten in Turn 12 des Circuit de Barcelona-Catalunya die hemodynamischen Stabilisierungsmaßnahmen fort, die Herz-Lungen-Reanimation (CPR) des Medical Teams der FIM dauerte insgesamt 18 Minuten an.

Aber angesichts der lebensbedrohenden Situation wurde von den Ärzten die Entscheidung getroffen, Luis Salom mit dem Ambulanzfahrzeug ins Krankenhaus zu transportieren. Ein Transport mit dem RACC-Rettungshelikopter erschien zu gefährlich, weil nicht genug Personal und Equipment Platz gefunden hätte. Die Behandlung des Moto2-Piloten dauerte im Rettungsfahrzeug 40 weitere Minuten, Salom wurde künstlich mit Sauerstoff beatmet.
Während des Transfers wurde das Hospital General de Catalunya in höchste Alarmbereitschaft versetzt und das Team der Intensivstation über den Zustand des Patienten informiert. Aber die Sauerstoffsättigung nahm immer mehr ab, deshalb wurde sofort eine eine Öffnung in der Thoraxwand angelegt.

Luis Salom traf um 16.10 Uhr im Krankenhaus ein und wurde sofort auf die Intensivstation und in den Operationssaal gebracht, wo er weiter notversorgt wurde. Es wurde ein Bauchwandschnitt nötig, um die extrem schweren inneren Verletzungen untersuchen und behandeln zu können.

Aber um 16.55 Uhr musste der Patient für tot erklärt werden, berichtete Dr. Angel Charte, der MotoGP Medical Director.
Die Ärzte waren einhellig der Ansicht, bei der Erstversorgung an der Unfallstelle, beim Transport ins Krankenhaus und bei den Eingriffen in der Intensivstation seien höchste medizinische Standards angewendet worden.

Nach diesem schwarzen Freitag war alles sinnlos

Gespenstische Ruhe hatte sich schon eine Stunde vor diesem ärztlichen Statement im Fahrerlager und an den Boxen breit gemacht. Man erblickte weinende Frauen und Männer, spürte tiefe Betroffenheit auch in den Gesichtern jener Mitglieder des GP-Zirkus, die Luis Salom nicht persönlich gekannt hatten.

Luis liebte den Motorradrennsport von ganzen Herzen, er opferte alles dafür, trainierte verbissen den ganzen Winter in Cartagena mit Kollegen wie Axel und Edgar Pons, mit Randy Krummenacher und Jesko Raffin.

Luis Salom hatte in der Moto2-Klasse nicht an die Erfolge aus der Moto3-WM anschließen können, in der er neun Rennen gewann und die er 2012 als WM-Zweiter und 2013 als WM-Dritter abschloss.

Luis Salom war im ersten Moto2-Jahr in Barcelona in der ersten Schikane schwer gestürzt. Er brauchte nach solchen Zwischenfällen manchmal einige Zeit, bis er so einen Rückschlag überwand und wieder zur alten Form fand.

Luis störte sich an der Tatsache, dass in der Moto2-WM nicht mit den alten Moto3-Rivalen wie Rins und Viñales mithalten konnte, er schaffte in 41 Moto2-Rennen zwar drei Podestplätze, zuletzt einen grandiosen zweiten Platz beim Saisonauftakt 2016 in Katar. Er war WM-Zehnter nach dem Mugello-GP. Aber das genügte seinen hohen Ansprüchen beileibe nicht.

Miguel Oliveira berichtete als Augenzeuge des Salom-Unfalls, Luis sei ohne Reaktion mit hohem Tempo von der Strecke geraten. Sein Motorrad krachte mit hoher Wucht in die Airfences, dahinter standen Reifenstapel, erst dahinter die Betonmauer. Da der Sturzraum asphaltiert war, schlitterte die Kalex des gestürzten Salom viel schneller Richtung Airfences als der Fahrer, die Maschine wurde nach dem Aufprall zurückgeschleudert – und krachte gegen den rutschenden Moto2-Piloten. Natürlich wurde nachher kritisiert, man hätte im Sturzraum ein Kiesbett statt Asphalt haben sollen.

Dem GP-Tross fiel es schwer, nach so dieser Tragödie zur Tagesordnung überzugehen. Der einzige, schwache Trost: Luis Salom ist bei seiner Lieblingsbeschäftigung gestorben.

Niemand hätte ihn davon abhalten können, sich seinen Traum von der großen GP-Karriere zu erfüllen.

Die Funktionäre und Rennfahrerkollegen mussten trotzdem zur Tagesordnung übergehen. Allen Beteiligen war bewusst: Das Leben geht weiter, der Rennsport geht weiter, die Show geht weiter.

Auch wenn an diesem Freitagabend am liebsten auf dem Circuit de Catalunya alle eingepackt und heimgefahren wäre.

Es schien, als hätten die nächsten beiden Tage des Barcelona-GP ihre Sinnhaftigkeit verloren. Aber es blieb wenig Zeit für Trübsinn. Der GP-Sport war von einer Katastrophe heimgesucht worden, aber es war im Sinne von Luis, den Wettkampf fortzusetzen – auch im Andenken und zu Ehren dieses großartigen Sportlers.

Ich wünschte mir, dass die Familie Salom und alle Freunde des verunglückten Luis diese Tragödie so vorbildlich und ohne Bitterkeit verkraften wie Paolo und Rosella Simoncelli, die Eltern von Marco. Paolo betreibt 2017 sogar ein Moto3-Team in der Weltmeisterschaft.
Die Mitglieder des GP-Zirkus’ sorgten für den Rest des Catalunya-Wochenende für eine neue Streckenführung, der Grand Prix wurde fortgesetzt. Den Fahrern, Mechanikern, Sponsoren, Funktionäre und Berichterstatter und Fans half das, diesen grausamen Schock zu überwinden.

Viele Teams verzichteten am Freitag in Bacelona auf die üblichen Press Releases mit Statements ihrer Fahrer. Sie bedauerten hingegen den Tod des beliebten Rennfahrerkollegen und drückten den Angehörigen ihr Beileid aus. Auch Yamaha Motor Racing und die Fahrer Lorenzo und Rossi kondolierten in einer Pressemitteilung, dazu Repsol-Honda, Tech3-Yamaha, das Suzuki Ecstar-Team und viele andere drückten ihr Beileid und Mitgefühl aus.

Das Bike mit der Nummer 39 in der Box des SAG-Teams stand später verwaist in der Box. Saloms Teamkollege Jesko Raffin verzichtete auf die Fortsetzung des Grand Prix.

Nach wie vor ist das Rätsel zur Sturzursache von Luis Salom nicht restlos gelöst. Eduardo Perales, der langjährige Besitzer des Stop and Go-Teams, das sich abgekürzt SAG-Team nennt, kennt natürlich die Daten aus der letzten Runde des 24-jährigen Mallorquiners.

«Luis ist aus der Box gekommen und ist nachher den ersten und zweiten Sektor sehr langsam gefahren», schilderte Perales. «Er hat dann im dritten Sektor nicht progressiv beschleunigt und das Tempo allmählich erhöht, sondern man sieht auf dem Data Recording deutlich, dass zweimal die Drehzahl in die Höhe gejagt wurde, was sehr seltsam ist. Und beim Anbremsen der Kurve 12 hat Luis den Bremshebel mit doppelt so viel Kraft betätigt wie üblich.»

Die unausgesprochene Vermutung: Durch dieses extrem abrupte und ungewöhnlich harte Bremsmanöver könnte das Vorderrad eingeklappt und weggerutscht sein.

Interessante Daten förderte die Auswertung des Dainese-Airbag-Systems ans Tageslicht. Luis Salom fiel bei einem Speed von 156 km/h von seiner Kalex und krachte dann am Ende der Auslaufzone noch mit 80 km/h ungeschützt gegen sein Motorrad, das nach dem wuchtigen Einschlag von den Airfences zurückgeschleudert wurde.

Adios, Luis.

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