Ein Hoffnungsschimmer bei der KTM AG

Marc Márquez liess Honda-Kundenteams verstummen

Von Günther Wiesinger
LCR-Honda-Teambesitzer Lucio Cecchinello erklärt, warum sein Team in diesem Jahr unter den Erwartungen geblieben ist und warum Marc Márquez dafür sorgte, dass sich die Honda-Kundenteams nicht beschweren konnten.

LCR-Honda feierte in der Saison 2016 das 20-jährige Teamjubiläum, Teambesitzer Lucio Cecchinello trat in der Anfangsphase selber noch für sein LCR-Team in der 125-ccm-Klasse an. Der Italiener gewann 1996 die 125er-Europameisterschaft gegen Valentino Rossi und insgesamt sieben Grand Prix in der Achtelliter-Klasse.

?LCR erlebte eine sehr erfolgreiche Saison, denn Cal Crutchlow feierte als Honda-Fahrer aus diesem Kundenteam zwei GP-Siege – in Brünn und auf Phillip Island.

?Dabei musste Lucio Cecchinello mit Cal Crutchlow recht viel Geduld aufbringen. Der Teamchef hoffte, der Brite würde 2015 im ersten Jahr gleich unter die Top-5 der Gesamtwertung fahren und ähnlich viele Podestplätze wie 2013 bei Tech-3-Yamaha erringen, als er bei Saisonhalbzeit in Sachsenring schon zum vierten Mal auf dem Podest stand.

?Aber Cal Crutchlow schaffte in der Saison 2015 als Dritter in Las Termas nur einen Top-3-Platz, in der Gesamtwertung kam er über den achten Platz nicht hinaus – mit 125 Punkten.?In der Saison 2016 stand Crutchlow mit 30 Jahren unter Druck. Erstens wollte er sich wieder für ein Werksteam empfehlen, zweitens gab es bei LCR für 2017 eine Ausstiegsklausel, falls Cal nach dem Deutschland-GP in der WM-Tabelle nicht unter den Top-7 liegen würde.?So legte der Honda-Pilot eine abenteuerliche Sturzserie hin – vier Nuller bei den ersten fünf Rennen 2016, dann nur die Plätze 11 in Jerez und Mugello – Crutchlow stürzte auf den 18. WM-Rang ab.

?Trotzdem versicherte Cecchinello schon beim fünften Grand Prix in Le Mans, er werde die Option für 2017 mit einen Wahrscheinlichkeit von «99,9 Prozent» einlösen.?

Warum war Lucios Glaube an Crutchlows Können und Durchschlagskraft so unerschütterlich? Oder gab es gar keine sinnvolle Alternative??

Immerhin schaffte Crutchlow am Jahresende noch den starken sechsten WM-Rang, als bester Fahrer aus einem Kundenteams, er sammelte insgesamt 141 Punkte ein, sieben mehr als Pol Espargaró auf der Tech-3-Yamaha.?

«Ich war mit unserer Performance bis zum Brünn-GP überhaupt nicht happy, auch nicht mit den Leistungen im Jahr 2015», räumte Lucio Cecchinello im Interview mit SPEEDWEEK.com ein. «Unsere Hoffnungen und Erwartungen waren definitiv höher. Wir müssen aber berücksichtigen, dass wir unsere Ziele für 2015 festgelegt haben, als niemand ahnte, dass Ducati so stark werden würde. Und als wir uns neue Ziele für 2016 vorgenommen haben, hat niemand mit der erhöhten Konkurrenzfähigkeit von Suzuki gerechnet. Wir müssen also berücksichtigen, dass wir vier Top-Fahrer haben, ihre Namen brauche ich nicht speziell zu erwähnen. Dann haben wir 2016 die zwei Werks-Ducati und Suzuki gehabt, wir haben es hier bereits mit sieben oder acht Werkspiloten zu tun. Dazu kam, dass auch die Kunden-Ducati oft sehr stark waren. Und dazu ist es kein Geheimnis, dass bei Honda technisch ein kleiner Schritt zurück gemacht wurde. Dieser Rückschritt ist auch darauf zurückzuführen, dass wir überhaupt nicht gewöhnt waren, mit dem Elektronik-System von Magneti Marelli zu arbeiten. HRC hat diese Aufgabe, das Marelli-System zu installieren und sich damit vertraut zu machen, eventuell unterschätzt.»

?Aber Honda hatte zwei Jahre lang ein Open-Team in der MotoGP-Klasse – zwei Bikes 2016 bei Aspar Martinez, eines bei LCR-Honda (Jack Miller), eines bei AB Motoracing mit Karel Abraham. Doch die Japaner scherten sich im Gegensatz zu Ducati und Yamaha nicht um die neue Einheits-Elektronik. Man konzentrierte sich ganz auf die Factory-Fahrer mit der hauseigenen Honda-Software – und verschlief die Umstellung gewaltig.?

Diese Fehleinschätzung von Honda sollte sich zum Saisonbeginn 2016 rächen. Beim ersten Sepang-Test im Februar stand Marc Márquez und Dani Pedrosa die Ratlosigkeit ins Gesicht geschrieben.?

Selbst beim Mugello-GP 2016 sagte ein namhafter Marelli-Manager noch: «Honda und Aprilia haben nie die Türe zu uns geöffnet.»?

Honda-Kenner Lucio Cecchinello wundert sich nicht über diese Politik. «Honda war in ihrer ganzen Geschichte immer eine sehr konservative Firma. Sie öffnen nicht gerne ihre Türen für andere Leute, es werden keine Geheimnisse ausgebreitet», weiss Cecchinello. «Honda will ihre Technologie im Haus behalten. Man hat wohl auch gedacht, es ist sinnlos, sich 2015 mit der Open-Software zu beschäftigen, weil sie 2016 ohnedies ganz anders aussehen wird, was sich auch bewahrheitet hat. Als dann die Einheits-Software für 2016 eingetroffen ist, hätten wir uns damit sicher rascher anfreunden können, wenn wir einen Marelli-Ingenieur befragen hätten können. Aber Honda glaubte, die Software wäre einfach zu begreifen. Dann haben sie begriffen, dass es viel mehr Aufwand braucht als erwartet... Doch die ersten Fortschritte stellten sich bald ein. Und da Marc Márquez von Anfang an in der Weltmeisterschaft führte, sah es so aus, als sei Honda gar nicht so stark betroffen... Für uns Kundenteams war diese Situation nicht unbedingt von Vorteil. Denn als ein bestimmter Fahrer mehr als 40 Punkte Vorsprung in der WM hatte, konnten wir uns nicht so lauthals beschweren... Dieser Ausnahmekönner hat die Fähigkeit, das Motorrad vor vielen Stürzen zu bewahren und sich aus wilden Slides zu retten... Die Realität sah so aus, dass Honda in der WM führte – und wir nicht wirklich sagen konnten, es sei bei der Software-Entwicklung etwas verschlafen worden. Wäre Márquez nicht so stark gewesen, hätten die anderen Honda-Fahrer im ersten Halbjahr vielleicht mehr Support bekommen.»

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