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Jorge Lorenzo: Besuch der Steuerfahnder im Paddock

Von Günther Wiesinger
Jorge Lorenzo wohnt seit dem Sommer 2013 im Schweizer Tessin. Das hinderte aber die spanische Steuerbehörde nicht, in Montmeló an seine Motorhometüre zu klopfen.

Jorge Lorenzo, Vorjahressieger auf dem Circuit de Catalunya-Barcelona, erlebte am Freitagfrüh im Paddock in Montmeló ein böses Erwachen. Sechs Beamte der örtlichen Steuerfahndung in Zivil suchten den überraschten Honda-Star in seinem feudalen Motorhome auf. Diese skandalöse Neuigkeit sprach sich im Paddock in Windeseile herum, denn die MotoGP-Kollegen aus den benachbarten Motorhomes wurden hellhörig; bald kursierten Fotos und Videos von dem Rummel. Manche Rennfahrer-Kollegen berichteten von einer lautstarken Auseinandersetzung und sogar von Handgreiflichkeiten.

Der Hintergrund: Jorge Lorenzo übersiedelte 2013 von Spanien zum Zwecke des Steuersparens in die Schweiz; er schlug seinen Hauptwohnsitz im Tessin auf. Dieses Domizil kam ihm damals gelegen, denn das Yamaha-Racing-Hauptquartier in Gerno di Lesmo bei Monza lag sozusagen vor der Türe, die Flughäfen in Mailand (Malpensa und Linate) brachten ihn in die weite Welt.

Wegen der lukrativen Pauschalbesteuerung sind viele Großverdiener in der Schweiz ansässig geworden, das begann einst mit den Formel-1-Piloten Joakim Bonnier und Jackie Stewart sowie Jochen Rindt und setzte sich in der Neuzeit mit Michael Schumacher, Kimi Raikkönen, Jacques Villeneuve, Nick Heidfeld und Sebastian Vettel fort. Auch Fernando Alonso lebte eine Weile offiziell im Tessin, in der Schweiz als «Sonnenstube» bekannt.

MotoGP-Fahrer wie Laconi, Stoner, Pedrosa, Hofmann, Rolfo, Gibernau und Redding schlugen ebenfalls ihre Zelte in der Schweiz auf. Dazu etliche DTM-Stars sowie Radprofis von Jan Ullrich über Alberto Contador bis zu Tony Martin. Sogar Andrea Iannone wohnt inzwischen offiziell im Tessin. Rallye-Rekordweltmeister Sébastien Loeb ist ebenfalls Wahlschweizer.

Aber die prominenten Sportler bleiben in der Regel auf den Radarschirmen der heimischen Steuerbehörden. Es wird genau aufgepasst, in welchem Land der betroffene Athlet den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen hat. Wer in der Schweiz statt in seinem Heimatland seine Steuern bezahlt, muss mindestens 90 Tage im Jahr in der Eidgenossenschaft verbringen. Die ausländischen Finanzämter kontrollieren dank Amtshilfe sogar den Stromverbrauch, den km-Stand der Privatautos, sie überprüfen die Anwesenheitstage und Steuerbescheide.

Etliche steuersparende Spanier weichen in den Zwergstaat Andorra aus, das ebenfalls als Steuerparadies gilt. Pol und Aleix Espargaró wohnen dort, dazu Alex Rins, Bradley Smith, Jack Miller und viele andere. Der Südafrikaner Brad Binder hat seinen Wohnsitz nach Dubai verlegt – wie Roger Federer.

Um die spanischen Auswanderer wachsam zu halten, verschaffen sich gelegentlich Steuerfahnder bei den Grand Prix Zutritt zum Paddock, um spanische Fahrer zu befragen. Das ist in Jerez schon passiert und auch in Valencia; Catalunya ist also kein Einzelfall.

Aus dem Umfeld von Jorge Lorenzo ist zu hören, dass er gewissenhaft alle Vorschriften erfüllt und nichts zu befürchten habe.

Die spanischen Ermittler schrecken vor großen Namen nicht zurück. Sie haben in den letzten Jahren vor Cristiano Ronaldo und Lionel Messi nicht Halt gemacht, und sie werfen der Pop-Rock-Sängerin und Song-Writerin Shakira (42) vor, in den Jahren 2012 bis 2014 ca. 14,5 Millionen am spanischen Fiskus vorbeigeschleust zu haben. Die Kolumbianerin ist mit dem FC-Barcelona-Star Gerard Piqué liiert.

Valentino Rossi war 2007 im Sommer von der italienischen Guardia di Finanzia überführt worden, er musste mehr als 20 Millionen Euro Steuern nachzahlen. Er hatte angegeben, gemeinsam mit seinem Manager Gibo Badioli in einer möblierten 45-Quadratmeter-Wohnung in London zu hausen. Damals galt England als Steueroase, auch Checa und Melandri wohnten dort. Heute siedeln sich die Stars wie Cal Crutchlow lieber auf der Insel Man an.

Übrigens: Von den acht spanischen MotoGP-Piloten leben nur Márquez, Rabat und Mir in Spanien. Als Márquez vor drei Jahren nach Andorra auswandern wollte, weil er daheim 55 Prozent der Einnahmen an den Fiskus abliefern muss, ging ein Aufschrei durchs Land. Der Honda-Star blieb in Cervera wohnhaft.

Lorenzo: Steuerärger wegen England

Jorge Lorenzo hatte schon einmal Ärger mit den Finanzbehörden. Denn in seiner 250-ccm-WM-Zeit 2006 und 2007 hatte er mit seinem damaligen Manager Dani Amatriain die Behörden bei der Angabe seines steuerrelevanten Hauptwohnsitzes getäuscht und England statt Spanien angegeben. Lorenzo flog auf und musste eine Nachzahlung leisten.

Nachher betonte Jorge im Freundeskreis immer: «Ich habe meine Lektion gelernt. Ich werde in der Schweiz alle Voraussetzungen gewissenhaft erfüllen.»

Die Steuerbehörden in ganz Europa sind auf der Suche nach neuen Einnahmequellen einfallsreich geworden, in der EU sollen etliche Schlupflöcher gestopft werden. Die «Panama Papers» haben viele Steuersünder überführt und die Behörden wachgerüttelt.

Im vergangenen Winter gab es in Sachsen Forderungen an alle GP-Teams. Sie sollten die beim Deutschland-GP erzielten Einnahmen über mehr als zehn Jahre hinweg nachversteuern. Manche MotoGP-Teams hätten bis zu 1,3 Millionen bezahlen müssen. Inzwischen ist dieses Thema aus der Welt geschafft worden.

Manche Steuerexperten vermuten, das spanische Ministerio de Hacienda könnte bei den ausgewanderten GP-Stars neue Begehrlichkeiten anmelden. Vier Grand Prix pro Jahr finden in Spanien statt. So könnten die Steuerbehörden auf die Idee kommen, den ausgewanderten Spaniern zumindest die Steuern für die in Jerez, Barcelona, Aragón und Valencia erzielten Einnahmen abzuknöpfen. Also quasi ein Fünftel des Jahreseinkommens.

Das könnte eine Ursache für den Besuch der Hacienda-Beamten bei Jorge Lorenzo gewesen sein, wurde am Freitag spekuliert. Es ist jetzt die Aufgabe seines Managers Albert Valera, diese möglichen Begehrlichkeiten zu beseitigen und aufzuklären.

Denn grundsätzlich unterliegt Jorge Lorenzo den Steuergesetzen in seiner Schweizer Wahlheimat. Daran ist nicht zu rütteln.

Das neue Domizil mit Blick auf den See

Der fünffache Weltmeister Lorenzo übersiedelte in seiner erfolgreichen Yamaha-Zeit in die Schweiz, nach dem zweiten Titelgewinn im Sommer 2013 wurden diese Pläne publik. Reizvoll an der Schweiz: In manchen Kantonen gilt die Pauschalbesteuerung, wenn man als Ausländer kein Geld durch Tätigkeiten im Inland verdient.

Lorenzo wohnte anfangs im Zentrum von Lugano, damals hatten sich auch Tour de France-Sieger Alberto Contador und Ferrari-Star Fernando Alonso in der Gegend niedergelassen. Jorge kaufte später eine Wohnung in der Via Calprino 16b in Paradiso bei Lugano. Im vergangenen März bezog er ein neues Appartement in Cassarate mit Blick auf den Luganer See. Er posierte für ein Foto und veröffentliche es auf seinem Instagram-Account jorgelorenzo99.

Der 32-jährige Mallorquiner liebt es, im Tessin unerkannt durch die Straßen flanieren zu können. Als prominenter Sportler gab er im März 2019 ein Interview für die Website fanpage.it. Auch der «Corriere del Ticino» berichtete über den neuen feudalen Wohnsitz des MotoGP-Stars.

2019 begann für Lorenzo nicht nur ein neuer Karriereabschnitt bei Repsol-Honda. Bei ihm ist in diesem Jahr alles neu, auch das Haus. Er zog im März in seine neue Schweizer Residenz am Luganersee. In dieser Gegend lebt er inzwischen seit fast sechs Jahren. Jorge sagt, dass es dort «weniger Ablenkung als in einer Stadt wie Mailand» gibt.

Vor dem Umzug in die Schweiz besaß Lorenzo in Barcelona eine dreistöckige Villa, die er vor einigen Jahren zum Preis von 8 Millionen Euro zum Verkauf angeboten hat.

«Welcher Platz ist für euch der friedlichste auf der Welt? Meiner ist am Luganersee», erklärte Jorge seinen Fans auf einem Social Media-Account.

Bleibt zu hoffen, dass auch die Steuerbehörden diesen Frieden nicht stören.

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