95 Jahre Nürburgring – Eifelkurs zog heute nach

Von Thorsten Horn
Hermann Paul Müller 1955 auf dem Nürburgring

Hermann Paul Müller 1955 auf dem Nürburgring

Während heute der zweite Tag des Liqui Moly Motorrad Grand Prix Deutschland 2022 auf dem seit dem 26. Mai 95 Jahre alten Sachsenring über Bühne ging, zog der Nürburgring nach und wurde ebenso alt.

Nach der Solitude (1952 und 1954) und Schotten (1953) war der Nürburgring 1955 die dritte deutsche Rennstrecke, die als Gastgeber für einen Motorrad-WM-Lauf fungierte. Der Ursprung motorsportlicher Aktivitäten in der wirtschaftsschwachen Eifel liegt sogar im Jahr 1922. Damals fand in deren nördlichen Teil auf einem 33 km langen Rundkurs das 1. Eifelrennen für Motorräder und Automobile statt. Um den Geldfluss kontinuierlich auch durch diese Region zu leiten, wurde wenig später die Renn- und Versuchsstrecke Nürburgring innerhalb von nur zwei Jahren aus dem Boden gestampft. Einer der Fürsprecher war der damalige Oberbürgermeister von Köln und spätere Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer.

Die feierliche Einweihung des 28,3 km langen Nürburgrings (Nord- und Südschleife zusammen) fand im Juni 1927 statt, wobei der Samstag, 18. Juni den Motorrädern vorbehalten war. Neben anderen sicherten sich so bekannte Fahrer wie Toni Ulmen, Toni Bauhofer und Paul Rüttchen einen Eintrag in den ersten Siegerlisten des Nürburgrings.

Nur zwei Wochen später kamen 550.000 Zuschauer zum ersten in der Eifel ausgetragenen Großen Preis von Deutschland. Das Rennen diente gleichzeitig als Lauf um die Europameisterschaft. Der Chemnitzer Willy Henkelmann und der Hockenheimer Arthur Geiß bescherten DKW einen vielumjubelten Doppelsieg in der kleinen Klasse bis 175 ccm. In der Viertelliterklasse belegte DKW-Fahrer Walfried Winkler den zweiten Platz hinter dem Engländer C. T. Ashby. Bei den 500ern gewann Graham Walker auf Sunbeam nach einer Fahrzeit von über 5,5 Stunden vor Stanley Woods.

1929 hob der 500er Sieger H. G. Tyrell-Smith den Durchschnitt als Erster auf über 100 km/h. In der kleinen Klasse errangen Arthur Geiß und Walfried Winkler wieder einen Doppelsieg für den Zschopauer Hersteller. Nach einjähriger Pause wurde der Große Preis von Deutschland 1933 auf der Berliner AVUS ausgetragen, welche nun weiß Gott keine prädestinierte Motorradstrecke war, um schließlich bis zum Kriegsausbruch 1939 am Sachsenring seine Heimstätte zu finden. Am Nürburgring dröhnten Motorräder von da an nur noch beim Eifelrennen, dafür setzten hier die Rennwagen jährlich die Akzente.

Die Rückkehr des Deutschland-GP

Wie überall waren nach dem Krieg auch am Nürburgring umfangreiche Reparaturarbeiten von Nöten. Doch schon 1947 feierte man mit dem Eifelpokal-Rennen auf der kürzeren Südschleife seine Wiederauferstehung. Ab 1949 konnte man am Nürburgring dann wieder von einem regelmäßigen Rennbetrieb sprechen. Ein Jahr später wurde das Eifelrennen wieder auf der legendären Nordschleife ausgetragen.

Nach 24-jähriger Pause kehrte der Große Preis von Deutschland für Motorräder 1955 als Lauf zur 1949 eingeführten Motorrad-Weltmeisterschaft an den Nürburgring zurück. Das Rennen der 125-ccm-Klasse dominierten die MV Agusta-Fahrer Carlo Ubbiali, Luigi Taveri und Remo Venturi auf ihren schnellen luftgekühlten Einzylinder-Viertakt-Motorrädern. Hinter dem MV-Privatfahrer Karl Lottes erreichten die IFA-Fahrer (erst später wurde daraus MZ) Bernhard Petruschke und Erhard Krumpholz die vielbeachteten Plätze 5 und 6. In der Viertelliterklasse kam Hermann-Paul Müller auf NSU zu seinem einzigen WM-Sieg. Der Vorkriegs-Motorrad- und Autorennfahrer für DKW bzw. Auto Union legte damit im zarten Alter von 45 Jahren den Grundstein zu seinem WM-Titel im gleichen Jahr. Bei den 350ern gewann der Brite Bill Lomas auf Moto Guzzi vor August Hobl (DKW) und John Surtees (Norton). Geoff Duke gewann auf Gilera das Rennen der Halbliterklasse. Durch Walter Zeller (BMW) ging hier Platz 2 ebenfalls an einen Deutschen. Bei den Seitenwagen hatte Deutschland den Engländern inzwischen den Rang abgelaufen. Durch den Sieg von Willy Faust/Karl Remmert (ebenfalls BMW) siegten beim ersten WM-Lauf auf dem Nürburgring ausschließlich Fahrer, die am Jahresende auch Weltmeister werden konnten.

Mit der Solitude und nun auch Hockenheim gab es gleich drei Rennstrecken, die um die Ausrichtung der deutschen WM-Runde buhlten. Der Nürburgring, der sich inzwischen die Formel 1 gesichert hatte, war 1958 wieder an der Reihe. Neben Carlo Ubbiali (125 ccm) und Tarquinio Provini (250 ccm) gewann John Surtees, wie die zuvor Genannten auf MV Agusta, die beiden großen Klassen. Diesen beiden Siegen ließ Surtees in den Jahren 1963 und 1964 zwei weitere am Ring folgen. Da allerdings auf vier Rädern und zwar für Ferrari in der Formel 1, wo er als einziger Motorradweltmeister ebenfalls zu höchsten Ehren kam. Bei den Seitenwagen gab es durch Walter Schneider/Hans Strauß einen weiteren BMW-Triumph.

Der Rekordweltmeister in der Eifel

Den nächsten Auftritt der Motorrad-WM am Nürburgring gab es 1965. Dieser ist daher besonders erwähnenswert, weil ein gewisser Giacomo Agostini im Rennen der 350-ccm-Klasse seinen ersten Grand Prix-Sieg feierte. Nun ja, irgendwo muss ja ein erster Sieg gefeiert werden. Doch da es der Erste von sage und schreibe 122 war, darf man durchaus von einem Meilenstein in der Motorrad-Historie sprechen. Um die Sache rund zu machen, fuhr Ago Nazionale auch seinen 122. und letzten auf dem Nürburgring ein. Das war dann 1976 in der Halbliterklasse.

Der eine geht, der andere kommt. Getreu dem Motto ging im gleichen Jahr der Stern von Toni Mang ebenfalls in der Eifel auf. Am Nürburgring gewann er auf einer 125er-Morbidelli seinen ersten Grand Prix.

Die Nürburgring-Nordschleife war trotz zahlreicher Retuschen besonders für Motorradrennen inzwischen nicht mehr zeitgemäß. 1974 schrieb man zum Beispiel ein weniger erfreuliches Kapitel am Ring. Die gesamte Weltspitze schätzte die Nordschleife als zu gefährlich ein und boykottierte die Rennen, sodass der WM-Lauf zur «offenen Deutschen Meisterschaft» verkam. Ende der 70er Jahre wurde der Nürburgring dann aus dem WM-Kalender genommen. Auch die Formel 1 machte einen Bogen um die Eifel, so dass etwas Neues her musste.

1984 war der neue Grand-Prix-Kurs fertiggestellt. Stefan Dörflinger (80 ccm), Angel Nieto (125 ccm), Freddie Spencer (500 ccm) und Egbert Streuer/Bernard Schnieders (Seitenwagen) hießen die ersten Sieger an jenem 27. Mai. Das spannendste Rennen des Tages war das der Viertelliterklasse. Manfred Herweh war wohl von der Rückkehr in die Eifel so angetan, dass er seine Begeisterung Martin Wimmer bei Höchstgeschwindigkeit auf der Start- und Ziel-Geraden per Schulterklopfen mitteilte. Diese Überheblichkeit nutzte der Franzose Christian Sarron und enteilte zum Sieg.

Der Abschied von der großen Motorrad-Tribüne

In den 90er Jahren war dann auch der Nürburgring vom extremen Zuschauerschwund im Motorradsport betroffen. Bevor der Motorrad Grand Prix von Deutschland mit dem neuen Sachsenring ab 1998 eine neue Heimstätte fand, zeigten die WM-Stars 1997 am Nürburgring letztmals ihr Können. Valentino Rossi (125 ccm), Tetsuya Harada (250 ccm) und Mick Doohan (500 ccm) hießen die Sieger.

Nach mehreren gescheiterten Versuchen, der Superbike-WM eine dauerhafte Heimat am Nürburgring zu geben, fristet dieser inzwischen in Sachen Motorradrennsport ein kümmerliches Dasein.

Morgen vor 95 Jahren zogen die Automobile in Sachen Einweihung des Nürburgrings nach. Aber das ist eine andere Geschichte.

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