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Gigi Dall’Igna (Ducati): Der menschliche Motor

Von Tammy Gorali und Günther Wiesinger
Gigi Dall'Igna und SPEEDWEEK.com-Mitarbeiterin Tammy Gorali

Gigi Dall'Igna und SPEEDWEEK.com-Mitarbeiterin Tammy Gorali

Nach neun anspruchsvollen Jahren hat Ducati-Rennchef Gigi Dall'Igna endlich das große Ziel erreicht und mit Bagnaia die Fahrer-WM gewonnen. Aber der Weg dorthin war steinig.

Gigi Dall‘Igna, der General Manager von Ducati Corse, der Rennabteilung der Ducati Motor Holding S.p.A., hat mit seinen Desmosedici-Bikes die MotoGP-WM 2022 dominiert: Vier Teams, acht Fahrer, zwölf GP-Siege, 16 Pole-Positions, 32 Podestplätze, die Konstrukteurs-WM zum dritten Mal in Serie gewonnen, in der Fahrer-WM vier Fahrer in die Top-8 befördert.

SPEEDWEEK.com Mitarbeiterin Tammy Gorali hat sich beim Ducati-MotoGP-Launch im Schnee von Madonna di Campiglio mit dem erfolgreichsten Rennchef und Konstrukteur der Gegenwart zu einem sehr persönlichen Interview getroffen.

Er heisst eigentlich Luigi, aber alle nennen ihn Gigi. Und er hat immer davon geträumt im Rennsport tätig zu sein. Dall’Igna hat an der Universität in Padua einen Abschluss gemacht, bei dem es um das Thema «Karbon Monocoque Chassis» ging. Er wechselte danach direkt von der Uni zu Aprilia Reparto Corse in Noale. Er erlebte die goldene Ära von Aprilia mit, er führte Aprilia nach dem Abgang von Renndirektor Jan Witteveen zu WM-Titel in den Klassen 125 ccm, 250 ccm und in der Superbike-WM. Gigi erlebte in mehr als zwei Jahrzehnten bei Aprilia Fahrer wie Valentino Rossi, Loris Capirossi, Tetsuya Harada, Jorge Lorenzo, Álvaro Bautista, Marco Melandri, Manuel Poggiali und natürlich Max Biaggi mit.

Gigi Dall'Igna überraschte dann die Motorsportwelt, als er im Oktober 2013 ein Angebot von Ducati annahm, weil er hoffte, in Borgo Panigale sein letztes Ziel erreichen zu können – den Gewinn der MotoGP-Weltmeisterschaft.

Aprilia war nach den finanziellen Schwierigkeiten vor ca. 20 Jahren in der Besitz der Piaggio Group übergegangen, zu der seither Marken wie Piaggio, Vespa, Derbi und Gilera und Moto Guzzi gehören.

Seit dem Uni-Abgang hatte Dall’Igna ausschließlich für Aprilia und die Piaggio Group gearbeitet. Er war bei Piaggio auch für die Renneinsätze von Gilera (250) und Derbi (125 ccm) verantwortlich. Dort wurden aber identische Bikes eingesetzt – wie heute bei der Pierer-Gruppe.

Als die Saison 2014 losging, kümmerte sich der bärtige Italiener um die MotoGP-Bikes aus Bologna, die seit 2007 (Casey Stoner) keinen WM-Titel gewonnen hatten.

Gigi galt 2013 längst als unbestrittene Technik-Legende, als Zauberer, als Gehirn, als extrem kluger Kopf.

Er setzte bei Ducati Corse radikale Änderungen und sorgte vom ersten Tag an für eine engere Zusammenarbeit der Techniker an der Rennstrecke mit jenen aus der Entwicklungsabteilung und dem Testteam in Borgo Panigale.

Ducati befand sich in einer MotoGP-Krise, denn nach 2007 war der Stahlrahmen zuerst durch ein Karbon-Monocoque und in der Rossi-Ära (2011 und 2012) durch ein Alu-Chassis ersetzt worden. Aber die Desmosedici war nie gut genug, um wieder um einen WM-Titel fighten zu können.

Das gelang erst in den Jahren 2017 bis 2019, als Andrea Dovizioso dreimal Vizeweltmeister wurde.

Der Höhepunkt der Krise entstand in den zwei Jahren, als selbst die «himmlische Hochzeit» mit Rossi kläglich scheiterte. Und auch Jorge Lorenzo, 2017 und 2018 für insgesamt 25 Millionen Euro zu Ducati gelotst, erfüllte die Erwartungen nicht. Die Desmosedici war nicht auf allen Pisten konkurrenzfähig, sie war widerspenstig und schwer zu bändigen. 

Die Ducati-Chefs merkten durch den Reinfall mit Rossi endgültig, dass es nicht an den Fahrern lag, denn auch Könner wie Melandri, Hayden und Gibernau waren gescheitert.

Ducati sattelte also das Pferd von einer anderen Seite auf. Gigi Dall'Igna sollte das Kommando in der Rennabteilung übernehmen und den Hersteller aus Bologna mit technologischen Innovationen wieder an die Spitze führen.

Verbesserungen am Alu-Chassis, an den Motoren, an der Aerodynamik (Winglets, Spoon) und die verschiedenen Devices (Holeshot, Front Ride Height Device und Rear Ride Height Device) sorgten für ein Umdenken, auch bei der Konkurrenz. Ducati übernahm eine technische Vorreiterrolle und setzte die siegreichen Japaner (Honda und Yamaha) immer stärker unter Druck.

2016 folgte der erste Ducati-Sieg seit der Stoner-Ära. Iannone siegte in Spielberg, Dovizioso triumphierte in Sepang.

Dall’Igna sorgte für einen besseren Informationsfluss zwischen den Abteilungen bei Ducati Corse, diese Methode zeigte ihre positiven Auswirkungen. Ingenieure, Teams und Fahrer arbeiteten enger zusammen. Alle Daten wurden zentral in Borgo Panigale gesammelt, auch von den Kundenteams. So wurde die Daten-Analyse vertieft, als Folge gab es mehr Antworten und Lösungsvorschläge. Rennchef Gigi gelangen all diese Verbesserungen, ohne die Anzahl der Mitarbeitenden deutlich zu erhöhen.

Man muss es deutlich sagen: Gigi Dall’Igna ist nicht nur ein Zauberer, er strahlt eine gewisse Magie aus. Der schlanke Mann mit dem weissen Haar und Bart versprüht viel Charisma.

Er sticht aus der Gruppe seiner Kollegen heraus. Er strahlt viel Ruhe aus, auch bei den Gesprächen mit den Fahrern, den Technikern – und Journalisten.

Er spaziert zielstrebig durchs Fahrerlager, von einer Ducati-Box in die andere. Er legt kein Chef-Gehabe an den Tag und ist für seine Teams und Mitarbeitenden immer ansprechbar.

Er ruft auch Fahrer an, die einen schlimmen Sturz hatten, auch solche, die nie für ihn gefahren sind. Er tröstet sie und erkundigt sich nach ihrem Befinden.

Gigi gibt seinem Gegenüber das Gefühl, sie oder er seien der Mittelpunkt der Welt.

Mit dieser Methode hat der CEO von Ducati Corse bisher zum Gewinn von insgesamt 25 Fahrer-WM-Titeln und fast 40 Team und Marken-WM-Titel beigetragen. 2022 dominierte Ducati neben der MotoGP-WM auch die Superbike-WM. 

Für unser Interview suchte Gigi in Madonna ein sonniges Plätzchen vor einer Almhütte, er nahm ein Glas Prosecco in die Hand, nippte aber in 30 Minuten nur einmal daran. Als Ingenieur wollte er auch bei diesem Gespräch alles am richtigen Platz sehen. Sogar ein wärmendes Lagerfeuer im Hintergrund durfte nicht fehlen.

Neun Jahre musste Gigi Dall’Igna bei Ducati auf den Gewinn der ersten MotoGP-Fahrer-WM warten. Wie schwierig war diese Phase?

«Ehrlich gesagt, bevor du das gewünschte Ergebnis erreichst, ist es nicht einfach», räumte er ein. «Aber die Performance der Ducati hat sich ab 2014 immer weiter verbessert. Die ersten Erfolge waren 2015 zu sehen. 2016 haben wir zwei Rennen gewonnen, 2017 ging der Aufwärtstrend weiter. Wir haben dann in jedem Jahr um Topresultate und um die WM gekämpft.

«Für die Marke Ducati ist es wichtig, in der Meisterschaft und in den einzelnen Rennen konkurrenzfähig zu sein», betont Dall'Igna. «Für das Team, für mich, für alle Beteiligten bei diesem Projekt war es entscheidend, dass wir dem endgültigen Ziel näher rückten, also dem Gewinn der Fahrer-WM. Wir haben unsere Aufgabe schon in den Jahren zuvor zufriedenstellend erledigt, nicht erst 2022.»

(Fortsetzung folgt)


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