Pol Espargaró: Bewegte Karriere in Marcs Schatten
Vor 17 Jahren gab Pol Espargaró sein Debüt in der 125-ccm-Weltmeisterschaft. In den vergangenen Tagen und Wochen starrte er in einem Krankenbett an die Decke und grübelt über seine Zukunft. Espargaros Highspeed-Sturz im zweiten MotoGP-Training beim Großen Preis von Portugal führte dazu, dass er in die ungeschützte Reifenbegrenzung flog und seine KTM RC16 der Marke GASGAS in ihn einschlug. Der Spanier erlitt schwere Prellungen an Brust und Rücken, war aber bei Bewusstsein und konnte Arme und Beine bewegen. Wie sich später rausstellte, hatte er sich den Kiefer gebrochen, Rückenwirbelverletzungen und ein schweres Lungentrauma erlitten.
Nach einem Besuch bei seinem jüngeren Bruder teilte Aleix Espargaró mit, dass Pol «ein langer Genesungsprozess» bevorstehe. Er enthüllte auch, dass Pol eine «komplizierte» Rückenverletzung hat, die ihn «für einige Zeit vom Rennsport abhalten wird». Während sich der jüngere Espargaró von den Verletzungen erholt, wird ihn im GASGAS Factory Racing Tech3 Team ab dem Grand Prix in Austin/Texas Jonas Folger ersetzen.
Lange Karriere
Bis zu seinem 32. Lebensjahr hat Espargaró mehr als die Hälfte seines Lebens mit Grand-Prix-Motorrädern verbracht. Sein erster Start war ein Wildcard-Einsatz auf einer Derbi beim Großen Preis von Katalonien 2006, bei dem er 13. wurde. Im Alter von 15 Jahren und acht Tagen war er damit der jüngste Grand-Prix-Fahrer, der in die WM-Punkte fuhr.
Seit seinem Grand-Prix-Debüt ist der jüngere der Espargaró-Brüder bei 278 Rennen gestartet, stand bei 52 GPs auf dem Podium, von denen er 15 gewann, stand 20 Mal auf der Pole-Position, fuhr 16 Mal die schnellste Rennrunde und trägt den Titel Moto2-Weltmeister 2013.
Seine Anfangsjahre
Wie die meisten Weltmeisterschaftsanwärter begann auch Espargaró seine Karriere im Grand-Prix-Sport mit der 125-ccm-WM. Die Rennen, bei denen es hart zur Sache ging, schärften die jungen Talente für ihre spätere Karriere. Espargaró arbeitete hart und holte 2007 seinen ersten Podiumsplatz, bevor er 2008 von einem Youngster namens Marc Márquez in der 125er-Klasse abgelöst wurde. In seinem fünften Jahr in der 125er-Klasse war Espargaró ein Titelanwärter und gewann drei Rennen, zusätzlich zu den beiden, die er 2009 gewonnen hatte. Außerdem erreichte er neun weitere Podiumsplätze. Aber es war Márquez, der 2010 Weltmeister wurde, Nicolas Terol wurde Zweiter und Espargaró Dritter.
2011 wechselte Márquez in die Moto2, ebenso wie Espargaró, der nun in der gleichen Klasse wie sein älterer Bruder Aleix fuhr. Márquez griff sofort ins Titelgeschehen ein, aber ein schwerer Sturz in der vorletzten Runde in Malaysia brachte Stefan Bradl den Moto2-Titel ein. Márquez wurde Zweiter, Espargaró 13. Ein Jahr später holte sich Márquez den Moto2-Titel, während Espargaró Vizeweltmeister wurde. Zweifelsohne hat Márquez' aufsteigender Stern seinen spanischen Landsmann verdrängt; 2013 holte Marc Márquez seine erste MotoGP-Krone, während sich Pol Espargaró den Titel in der Moto2-Klasse sicherte. Bis dahin stand er 44 Mal auf dem Podium und hatte 15 Grand-Prix-Rennen gewonnen. Keine schlechte Bilanz für einen 22-Jährigen.
MotoGP mit Tech3
Der Franzose Hervé Poncheral erkannte das Talent und verpflichtete Espargaró 2014 bei Tech3 Yamaha. In seiner Debütsaison in der MotoGP beendete Espargaró die Meisterschaft auf dem sechsten Platz und wurde mit 136 WM-Punkten zum «Rookie of the Year» gekürt. Nach weiteren acht Saisons in der MotoGP ist das immer noch die höchste Punktzahl, die Espargaró in einer Saison in der MotoGP erreicht hat und sein zweitbestes MotoGP-Endergebnis.
Hervorragende Leistung im Nassen
Es ist kein Geheimnis, dass Espargaró bei KTM zu kämpfen hatte, doch ein herausstechender Moment war das Saisonfinale in Valencia 2018 unter schwierigen Bedingungen. Dort kämpfte der Spanier Rad-an-Rad mit dem MotoGP-Weltmeister Marc Márquez. Auf nasser Strecke war es klar, dass die KTM mit der Repsol-Honda bei der Beschleunigung aus den Kurven heraus mithalten konnte und aufgrund der rutschigen Bedingungen ging keiner der beiden Fahrer beim Anbremsen zu sehr ans Limit. Das war das ewige Problem der KTM. Auf trockener Strecke ließ sie sich auf der Bremse nicht anständig in die Kurven einlenken. Aber im Nassen bremst niemand so stark wie im Trockenen, also war die Schwäche der KTM kein großes Thema.
In einem Rennen, in dem nur noch 15 der 24 Starter unterwegs waren, als 14 Runden vor Schluss die rote Flagge geschwenkt wurde, belegte Espargaró den achten Platz, nachdem er im Kampf mit Márquez um den dritten Platz von der Strecke abgekommen war. Von Platz 16 kämpfte er sich wieder auf Platz 8 vor, als das Rennen mit der roten Flagge abgebrochen wurde. Márquez war einer der zahlreichen Stürze und nahm am neu gestarteten zweiten Rennen nicht teil. In diesem wurde Espargaró Dritter hinter Andrea Dovisioso (Ducati) und Alex Rins (Suzuki).
Zumindest zeigte Espargaró in seinem Duell mit Márquez, dass die KTM der Honda in Sachen Beschleunigung ebenbürtig ist. Während seiner vierten Saison mit KTM bot ihm Alberto Puig den zweiten Platz bei Repsol Honda an, um Alex Márquez zu ersetzen, der zu LCR Honda wechselte. Espargaró nahm das Angebot an.
Im Vergleich zur KTM war die Repsol Honda eine noch größere Herausforderung. Trotz seines zweiten Platzes beim drittletzten Rennen der Saison 2021 (Misano), der Repsol Honda den ersten Doppelsieg seit vier Jahren einbrachte, war Espargaros erste Saison bei Repsol Honda eher enttäuschend. Er fiel vom fünften Platz in der Weltrangliste im Jahr 2020 auf den zwölften Platz im Jahr 2021 zurück und seine Saisonbilanz von 100 Punkten war exakt die gleiche, die er 2019 auf der KTM erreicht hatte.
Die Saison 2022 begann etwas besser, als der Spanier beim Saisonauftakt in Katar den letzten Podestplatz holte. Von da an ging es nur noch bergab. Seine einzige Top-10-Platzierung nach Katar kam in der fünften Runde im portugiesischen Portimão. Das war seine schlechteste Saison in seiner neunjährigen MotoGP-Karriere, in der er auf Platz 16 der Weltrangliste abrutschte. In seinem letzten Rennen für Repsol Honda, in Valencia am 6. November 2022, stürzte er nach nur vier Runden.
Aber er hatte sich bereits einen Platz in der MotoGP für 2023 gesichert, indem er sich mit dem Teambesitzer, der ihn neun Jahre zuvor in die Königsklasse geholt hatte, Hervé Poncheral, wiedervereinigte. Der Deal wurde am 19. August 2022 auf dem Red Bull Ring am Vorabend des Grand Prix von Österreich bekannt gegeben. Espargaró würde nicht nur zu Tech3 zurückkehren, sondern auch 2023 wieder auf einer KTM fahren, wenn auch unter dem Namen GASGAS.
Jetzt kämpft er darum, sich von seinen Verletzungen zu erholen und wieder renntauglich zu werden, bevor er in die MotoGP zurückkehrt.