Ein Hoffnungsschimmer bei der KTM AG

Jack Miller (KTM): «Das ist die Story meines Lebens»

Von Günther Wiesinger
Red Bull-KTM hatte am Sonntag in Valencia den ersten Doppelsieg vor Augen, doch am Ende blieb nur Platz 3 durch Brad Binder, denn Jack Miller stürzte in Führung liegend.

Der Valencia-GP hinterliess mit Jack Miller einen unbelohnten Helden, der nach 18 Runden noch 0,801 sec vor seinem letztjährigen Ducati-Kollegen Pecco Bagnaia lag und dann in Turn 11 über das Vorderrad wegrutschte. «Ich hatte gerade das Gas zugedreht und die Vorderbremse noch nicht einmal berührt, ich war in der Rollphase, als das Vorderrad ohne Warnung wegrutschte. Ich war kein km/h schneller als in der Runde vorher. Aber das Rennen ist erst um 15 Uhr gestartet worden, wir haben Ende November, es ist kühler und kühler geworden. Eine Stunde nach dem Rennen war es fast finster», fasste Jack Miller zusammen. «Und ich war sechs oder sieben Runden lang allein an der Spitze, da ist der Vorderreifen extrem abgekühlt. Wir waren mit dem Vorderreifen am Limit. Brad hat sich ja auch verbremst, kurz nachdem ich ihn überholt habe.»

Aleix Espargaró pflichtete seinem Freund Miller bei. «Pecco ist ein schlauer Bursche. Er hat gewusst, dass es kühl ist, deshalb hat er sich lange nicht auf Platz 1 vorgedrängt», sagte der Aprilia-Star. «Jack ist mutig und tapfer, er hat es riskiert.»

Auch Jorge Martin hatte Verständnis für Miller. «Hast du vorne den Hard verwendet? Der war am Limit», seufzte der Vizeweltmeister.

Jack Miller hätte der erste Fahrer in der MotoGP-Viertakt-Ära werden können, der (nach Honda und Ducati) auf drei verschiedenen Fabrikaten gewinnt. Viñales bemüht sich schon seit zwei Jahren, dieses Kunststück zu verwirklichen.

«Was hätte sein können – das ist die Story meines Lebens», seufzte Jack Miller mit einer Portion Galgenhumor. «Macht euch keine Sorgen, das ist mir alles durch den Kopf gegangen. Ich bin eigentlich gemütlich rumgefahren und dachte, es sei alles unter Kontrolle. Aber in der MotoGP kommt oft etwas dazwischen. Dabei hatte ich das Gefühl, ich könnte diesmal nicht viel falsch machen. Ich bin mit Brad mitgefahren, er hatte eine gute Pace, dann hatte er diesen Moment, als er sich verbremst hat und in die Long-Lap-Spur ausgewichen ist. Dann dachte ich mir, ich muss das jetzt allein zu Ende bringen. Es fühlte sich alles in Ordnung an, aber ich spürte bald ein Problem auf der rechten Reifenseite. Ohne Windschatten ist der Reifen vorne etwas zu stark abgekühlt. In der Kurve 4 konnte ich stark pushen, aber es gab dort schon ein paar Rutscher. Ich habe trotzdem Druck gemacht und wieder mehr Temperatur in den Vorderreifen gebracht.»

«Dann habe ich den Richtungswechsel zwischen den Kurven 10 und 11 vollführt, und bevor ich den Bremshebel berührt habe, ist das Bike unter mir verschwunden.»

An dieser Stelle holte Jack sichtlich mitgenommen tief Luft. «Ich bin kurz in Tränen ausgebrochen. Aber ich habe mich rasch wieder erfangen. Ich habe es weggesteckt… Ich habe so heftig gepusht und viel riskiert. Es wäre eine schöne Belohnung für all die Anstrengungen und ein süsses Saisonende gewesen. Wir haben uns das ganze Jahr den Arsch aufgerissen. Aber wie gesagt: ‘It could have been...’»

Miller bedankte sich nach bei seiner Technikmannschaft mit Crew-Chief Christian Pupulin an der Spitze. «Das Team hat das ganze Jahr über fantastische Arbeit geleistet, die Mechaniker, die Data-Jungs, die Elektronik-Spezialisten, sie alle haben Erstaunliches geleistet und immer wieder bis spät in die Nacht hinein gearbeitet, um mich glücklich zu machen. Unser Motorrad beweist es. Es gibt keinen Zweifel, die KTM ist in den letzten zwölf Monaten deutlich besser geworden. Das haben wir geschafft, indem wir jede Woche die Mappings umgeschrieben und alles auf den Kopf gestellt haben. Das war eine Herausforderung. Ich habe ihnen mein bestmögliches Feedback gegeben.»

Miller hatte heute am Dienstag viel zu testen, auch eine neue Aerodynamik, deshalb war ein 2024-Prototyp heute mit einer Camouflage-Verkleidung ausgestattet. «Dieses Motorrad wird besser und besser werden», ist Jack überzeugt. «Und ich werde mich als Fahrer ebenfalls steigern. Vor zwölf Monaten wurde vermutet, ich würde keinen MotoGP-Vertrag mehr bekommen. Und jetzt sind wir beim letzten Rennen sieben Runden vor Schluss in Führung liegend gestürzt.»

Nachsatz des Australiers: «Ich denke, wir können stolz sein auf die Saison 2023. Ich bin überglücklich mit der Position, in der ich mich befinde. Denn ich kann mit einem großartigen Motorradwerk zusammenarbeiten. Ich freue mich auf unsere gemeinsame Zukunft.»

Ergebnisse MotoGP-Rennen Valencia (26.11.):

1. Pecco Bagnaia (I), Ducati, 27 Runden in 40:48,525 min
2. Johann Zarco (F), Ducati, +0,360
3. Brad Binder (ZA), KTM, +2,347
4. Fabio Di Giannantonio* (I), Ducati, +3,176 sec
5. Raúl Fernández (E), Aprilia, +4,363
6. Alex Márquez (E), Ducati, +4,708
7. Franco Morbidelli (I), Yamaha, +4,736
8. Aleix Espargaró (E), Aprilia, +8,014
9. Luca Marini (I), Ducati, +9,486
10. Maverick Viñales (E), Aprilia, +10,556
11. Fabio Quartararo (F), Yamaha, +12,001
12. Takaaki Nakagami (J), Honda, +21,695
13. Lorenzo Savadori (I), Aprilia, +43,297
14. Pol Espargaró (E), KTM
– Alex Rins (E), Honda, 19 Runden zurück
– Jack Miller (AUS), KTM, 18 Runden zurück
– Enea Bastianini (I), Ducati, 9 Runden zurück
– Augusto Fernández (E), KTM, 9 Runden zurück
– Marc Márquez (E), Honda, 5 Runden zurück
– Jorge Martin (E), Ducati, 5 Runden zurück
– Marco Bezzecchi (I), Ducati, erste Runde nicht beendet

*= 3-Sekunden-Strafe (Reifendruck-Vergehen)

Ergebnisse MotoGP-Sprint Valencia (25.11.):

1. Martin, Ducati, 13 Runden in 19:38,827 min
2. Binder, KTM, +0,190 sec
3. Marc Márquez, Honda, +2,122
4. Viñales, Aprilia, +3,106
5. Bagnaia, Ducati, +4,253
6. Di Giannantonio, Ducati, +4,400
7. Bezzecchi, Ducati, +4,502
8. Alex Márquez, Ducati, +5,578
9. Zarco, Ducati, +5,910
10. Augusto Fernández, KTM, +6,095
11. Raúl Fernández, Aprilia, +7,674
12. Miller, KTM, +8,098
13. Aleix Espargaró, Aprilia, +9,513
14. Pol Espargaró, KTM, +12,453
15. Bastianini, Ducati, +12,599
16. Nakagami, Honda, +13,787
17. Marini*, Ducati, +13,887
18. Morbidelli*, Yamaha, +14,943
19. Rins, Honda, +20,378
20. Savadori, Aprilia, +25,017
– Quartararo, Yamaha, 9 Runden zurück

*= 3-Sekunden-Strafe (Reifendruck-Vergehen)

MotoGP-WM-Endstand nach 39 Rennen:

1. Bagnaia, 467 Punkte. 2. Martin 428. 3. Bezzecchi 329. 4. Binder 293. 5. Zarco 225. 6. Aleix Espargaró 206. 7. Viñales 204. 8. Marini 201. 9. Alex Márquez 177. 10. Quartararo 172. 11. Miller 163. 12. Di Giannantonio 151. 13. Morbidelli 102. 14. Marc Márquez 96. 15. Bastianini 84. 16. Oliveira 76. 17. Augusto Fernández 71. 18. Nakagami 56. 19. Rins 54. 20. Raúl Fernández 51. 21. Pedrosa 32. 22. Mir 26. 23. Pol Espargaró 15. 24. Savadori 12. 25. Folger 9. 26. Bradl 8. 27. Pirro 5. 28. Petrucci 5. 29. Crutchlow 3.

Konstrukteurs-WM:

1. Ducati, 700 Punkte. 2. KTM 373. 3. Aprilia 326. 4. Yamaha 196. 5. Honda 185.

Team-WM:

1. Prima Pramac Racing, 653 Punkte. 2. Ducati Lenovo Team 561. 3. Mooney VR46 Racing 530. 4. Red Bull KTM Factory Racing 456 5. Aprilia Racing 410. 6. Gresini Racing 328. 7. Monster Energy Yamaha 274. 8. CryptoDATA RNF 134. 9. Repsol Honda 122. 10. LCR Honda 116. 11. GASGAS Factory Racing Tech3, 95.

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