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MotoGP – körperlicher Extremsport Teil 1

Von Thomas Kuttruf
Die Königsdisziplin der Motorrad-WM hat sich zu einem Sport der Extreme entwickelt. In einer Serie befassen wir uns mit der Körperlichkeit der MotoGP. Erster Teil des Gesprächs mit Fitness-Experte Erwin Göllner.

Dass Motorradrennen weit mehr als nur eine verrückte Aktivität, sondern durchaus eine körperlich intensive Sportart sind, das haben auch Außenstehende spätestens bemerkt, als sich der Hang-off-Fahrstil als effektivste Steuermöglichkeit eines modernen Renngerätes etabliert hatte.

«Knie am Boden» - schaut spektakulär aus und erinnert an Zweirad-Yoga, ist aber vor allem ein Ringen mit den Spielregeln der Physik. Hinzukommt die fürs sportliche Motorradfahren unabdingbar gebückte Grundhaltung. Auf den Geraden heißt es «Hintern hoch – Fußspitzen auf die Rasten – Kinn auf den Tank». Sobald der Pilot beim Bremspunkt aus der flachliegenden Position gerissen wird, gilt es, den Körper geschmeidig, aber bestimmt auf die extreme Kurvenfahrt einzustimmen. Am Scheitelpunkt sind nur Hände, Füße und eine Schenkelpartie mit dem Renngerät verbunden.

Ein Kunstakt der Körperspannung – der für das Gefühl des Piloten aber ohne Verspannungen stattfinden soll. In der Beschleunigungsphase gilt es dann, Herr der unfassbaren Kräfte zu werden, das Motorrad spannungsfrei auf Kurs zu bringen und mit dem ganzen Körper die vorhandene Traktion zu erfühlen.

Wie in vielen anderen Sportarten auch hat sich die Körperlichkeit in in der MotoGP rasant weiterentwickelt. Mitverantwortlich ist der unaufhörliche Technologie-Schub in allen Disziplinen einer Grand Prix Maschine. 300 PS Motorleistung bedeuten einen Anstieg der Power von 30 Prozent in 20 Jahren.
Auch bei den Bremsen wurde nachgelegt. Zwar sind Scheiben aus Karbon keine Neuerfindung der MotoGP, der gesamte Verzögerungscocktail hat dennoch deutlich an Intensität gewonnen.
Dazu addieren sich neu entwickelte Chassis-Konzepte für gewaltige Traktion auf der Bremse als auch unter Last. Plus natürlich als entscheidender Übersetzer der Haftung – die ebenfalls auf ein irres Gripniveau gezüchteten Rennreifen.

All das hat dazu geführt, dass die Piloten auf den Geraden Geschwindigkeiten in Richtung 370 km/h ausgesetzt sind. Auf der Bremse werden deutlich größere Abstützkräfte, sprich mehr Muskeln, gefragt. In den Kurven wird der gesamte Körper in einer extremen Form des Hang-off zur Umsetzung der mechanischen Haftung für maximale Kurvengeschwindigkeiten gefordert.
Gefragt ist ein extremer Mix aus körperlicher Dehnfähigkeit und partiell überdurchschnittlichen Muskelreserven.

Nicht zu vergessen, der Faktor «Ausdauer». Ein MotoGP-Rennen dauert über eine Länge von knapp 120 km gute 40 Minuten. Dazu addieren sich die Sitzungen der Trainings und Qualis. Über ein GP-Wochenende sitzt ein Pilot rund 250 Minuten auf dem Renngerät. Phasen des Bummels oder Orientierung gibt es nicht mehr. Jede Minute bedeutet körperliche Vollbelastung, die in kurzen Sequenzen wie der letzten Runden im Q2 nochmals durch extremen körperlichen und mentalen Stress aufgepeitscht wird.

Bereits bis hierhin ist jedem klar: Eine MotoGP-Maschine lässt sich nicht ohne spezielle körperliche Vorbereitung pilotieren. Ein MotoGP-Rennen ist nochmals eine andere Hausnummer. Weder Talent noch lockere Runden auf dem Trimm-dich-Pfad sind ausreichend für das Berufsbild des MotoGP-Piloten.

Um noch besser zu verstehen, was hinter der einzigartigen Kombination aus technischem Renngerät und reinster Athletik steckt, haben wir den bekannten Physiotherapeuten Erwin Göllner um ein Gespräch gebeten.
Der Salzburger, einst selbst passionierter Motorradfahrer, arbeitet seit 35 Jahren als Physiotherapeut. Als Fitnesscoach mit neuen Ansätzen etablierte sich Erwin Göllner im Profisport. Vor allem die Formel 1 entwickelte sich zum Kerngeschäft. Drei Jahre war Göllner für das Willams-Team aktiv, 11 Jahre sorgte er sich exklusiv um die körperliche Fitness von Jaques Villeneuve. 

Berühmt sind die von Erwin Göllner entwickelten und bis heute genutzten Trainings-Simulatoren, in denen unter kontrollierten Bedingungen alle relevanten Fliehkraft-Trainings praktiziert werden können. Trotz der Spezialisierung auf den Vierradsektor, begeistert sich Göllner auch für den Motorrad-Sport und wurde auch hier als Therapeut, Trainer und Berater aktiv.

Als die Rückkehr von Martin Bauer an den Lenker seiner Superbike-KTM in Rekordzeit für ein medizinisches Wunder gehalten wurde, stecke Erwin Göllner hinter der Betreuung des Österreichers. 2011 befand sich Bauer im Kampf um den Titel. Am Sachsenring wurde Bauer abgeräumt. Knochenabsplitterungen, Kapsel- und Bänderrisse sowie eine Gehirnerschütterung waren die Folgen. Doch beim nächsten Lauf saß Bauer am Salzburgring auf dem Bike, holte in beiden Rennen Punkte und wurde so am Ende der Saison doch noch Meister.

Die außergewöhnliche Phase mit Martin Bauer und dem KTM Team veranlasste Göllner auch dazu, seine spezielle Philosophie von maximaler individueller Vorbereitung auf das Rennmotorrad zu übertragen. Die Idee eines Trainings-Simulators war geboren und wurde mit dem KTM-Ingenieur Wolfgang Felber auch in einem Prototyp umgesetzt.

Herr Göllner, wo liegen aus Ihrer Sicht die besonderen körperlichen Herausforderungen eines MotoGP-Piloten?
Erwin Göllner: «Ganz unabhängig von den reinen Belastungen des Sports, das Zeitmanagement ist eine oft unterschätzte Komponente. Eine Rennsaison geht nahezu über das ganze Jahr. Die Belastungen während eines GP`s erfordern permanentes Training, aber auch immer wieder Ruhephasen von circa ein bis zwei Tagen. Dazu kommt der brutal gefüllte Kalender mit allen anderen möglichen Terminen, die der Profisport mitbringt, das zu koordinieren alleine ist eine Herausforderung.»

Das bedeutet, es braucht zwingend einen Spezialisten, der sich darum kümmert?
«Den braucht es. Und zwar nicht nur auf der Fitnessseite. Die extreme Ausprägung der Belastung und die totale Verdichtung aller Aktivitäten hat den Berufszweig des Mentaltrainers auch in die MotoGP-gebracht. Jeder Pilot der Königsklasse arbeitet mit Coaches, die eben auch die Verantwortung der Planung haben. Es geht sehr viel um Gewohnheiten und Abläufe, die möglichst gut ineinander greifen müssen. Fitnesstraining, Training auf dem Bike, Wintertests, die Rennen. Wenn da etwas durcheinanderkommt, passt gar nichts mehr. Beispiel: Franco Morbidelli. Sein Trainingsunfall im Winter hat ihn komplett aus der Bahn geworfen. Im schlimmsten Fall kann so etwas auf diesem Niveau dann auch das Karriereende bedeuten.»

Wie ist ihre Sicht zum Thema «Training mit dem Motorrad?»
«Es hat natürlich Vor- und Nachteile. Aber in Summe würde ich das permanente Training auch auf dem Motorrad sehr positiv sehen. Dass es den Piloten gut tut sich möglichst viel «natürlich» zu trainieren, das zeigen etliche Beispiele und am besten wohl die VR46-Academy von Rossi. Natürlich ist es eine andere Art von Belastung, aber eine natürliche für die Fahrer. Und da ein tägliches Training mit dem MotoGP-Bike nicht funktioniert, sind ständige Einheiten auf Supermoto oder Offroad-Bikes schon sinnvoll.».

…und auf dem Fahrrad? Wie beurteilst du die extremen Fahrradtrainings eines Aleix Espargaro?
«Grundsätzlich ist das Rad ein sehr gutes Trainingsgerät für Motorradfahrer. Es werden wichtige Muskeln, etwa an den Beinen, trainiert und auch der Ausdauerfaktor ist hier von Bedeutung. Ich kenne den Fitnessstand von Aleix nicht im Detail, aber eines ist auch klar: Er liebt das Fahrradfahren und es macht ihm eine riesige Freude zu trainieren. Und das ist extrem wichtig, dass du eine Freude beim Training hast. Wenn du dich auf dem Level zum Training zwingen musst, wird es richtig schwierig.»

Der zweite Teil des Gesprächs mit Erwin Göllner, in dem der Experte auch von den Vorteilen von Simulatoren spricht, erscheint morgen auf SPEEDWEEK.

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