Kevin Schwantz – Hausbesuch bei der Rennlegende
USA – Texas – Kevin Schwantz. Mit dem heran brausenden Grand Prix der Vereinigten Staaten ist die gedankliche Verbindung zu einer der populärsten Persönlichkeiten des Rennsports unvermeidbar. Erscheint das Bild des Amerikaners auf der aggressiv wimmernden Suzuki RGV im Kopf, herrscht Ausnahmezustand.
In diesem Sonderfall darf man auch auf einer Nachrichtenplattform in die erste Person wechseln. Es gibt Geschichten, die lassen sich nicht nüchtern herunter tippen. Sie wollen erzählt werden.
Dieses spezielle Erlebnis des frisch im SPEEDWEEK-Fahrerlager angekommenen Redakteurs beginnt im Winter 2001/2002 mit einem Anruf des Suzuki-Managers und Boss der deutschen Organisation in Heppenheim, Bert Poensgen. Der 2017 verstorbene Patron der Suzuki-Tochter liebte den Rennsport und verstand es zu dieser Zeit wie kein anderer, die Kompetenz der Suzuki-Motorräder mit dem Rennsport-Programm des Unternehmens zu verbinden. Poensgen war Chef, Marketing-Visionär, Vertriebstalent, Kundendienst-Experte, Motivator und Entertainer in Personalunion. Kurz gesagt, in seiner Rolle war Bert Poensgen vor allem genial.
Danke Bert Poensgen
Da ich zumindest die Passion fürs schnelle Motorradfahren mit dem legendären «Poe» teile und ich neben meiner Ausbildung zum Redakteur auch in der nationalen Rennsportszene vorzeigbare Auftritte ablieferte, stiftete mich Poensgen regelmäßig zu Geschichten übers tapfere Gas geben an. Am liebsten waren ihm furchtlose Berichte direkt vom Lenker. Unvergessen sein Spruch bei einer Suzuki-Pressevorstellung auf der Rennstrecke, nach dem ein Kollege Schrott produziert hatte und von der versammelten Pressemeute geschmäht wurde: «Männer reißen sie sich zusammen und nehmen sie sich lieber ein Vorbild – und geben sie erstmal ordentlich Gas!»
Ich drifte ab. Denn es geht um einen anderen Suzuki-Helden. Den Gottvater der qualmend-schreienden 500ccm Zweitakt-Welt: Kevin Schwantz.
Den ich nie kennengelernt hätte, ohne den nationalen Suzuki-Helden Bert Poensgen. Zu dieser Zeit jagte Suzuki die neueste GSX-R Plattform auf den Markt. Nach der berühmten 750er im Jahr 2000 folgte knapp ein Jahr später der heiß ersehnte Power-Hammer mit vollem Liter Hubraum. Bäääm. Kurz vor der Weltpräsentation inklusive Testritt in den USA, der unvergessene Anruf: «Kuttruf – packen sie ihre Sachen. Und planen Sie noch ein paar Tage ein. Sie können Kevin besuchen. Over and out».
What? Korrekt – Poensgen hatte den jungen MO-Redakteur direkt in die USA verkabelt und mich beim Racing-Guru und Weltmeister der 500er-Klasse von 1993 zum Hausbesuch angemeldet.
Ein Traum, der Wirklichkeit wurde. Zwei Tage nach dem Test der brachialen neuen «Gixxer» Suzuki auf der verrückten Piste von Road Atlanta, gondele ich mit Fotograf und guter Seele Gerhard im Mietwagen nach North Carolina. Kevin Schwantz war als Ambassador ebenfalls Teil der Pressepräsentation, aber nur Coach der US-Delegation und abgereist vor dem Antritt der Europa-Presse.
Kevin who...?
Kurios. An der Tankstelle in Davidson, der Kleinstadt, in der Schwantz damals lebt, hat die Dame an der Kasse den Namen «Schwantz» zwar schon einmal irgendwo gehört, dass die Rennlegende zwei Meilen weiter daheim ist, davon hat die Lady aber keinen Schimmer.
Das Haus der «34» ist leicht auszumachen. Vor einer nicht gerade zimperlichen Südstaaten-Villa parkt ein XL-Pickup – auf der Ladefläche die neue GSX-R 1000.
Der Texaner begrüßt mich ohne Sicherheitsabstand und bittet mich erstmal anzupacken, die 1000er muss in die Garage. Bevor das Superbike runter ist, zeigt mir mein Idol noch grinsend die Fahrgestellnummer seines neuen Spielzeugs: 34.
Legendenbildung «Motodrom»
Ich hatte befürchtet, Kevin Schwantz würde sich nach einem formellen Interview schnell wieder seiner Freizeit widmen. Warum sollte sich ein Racing-Superheld mehr Zeit als nötig nehmen für einen German Rookie? Doch ich unterschätze die Gastfreundschaft jenes Mannes, der für mich zum ultimativen Rockstar wurde, als er vor meinen Augen im Hockenheimer Motodrom das Yamaha-Ass und dreifachen Weltmeister Wayne Rainey auf der Bremse filetierte.
Kevin zeigt mir in aller Ruhe und ohne einen Anflug von Überheblichkeit sein Anwesen, dass er allein mit seinem Hund «Buck» bewohnt. Wie es sich gehört, startet die Tour in seiner Garage. Offroad Bikes dominieren. Suzukis, logo. Die Ducati 916, die erkenne ich aber auch unter der Plane. Dazu: AMG-Benz, 911 Turbo und der Truck. 22 Zylinder, 1400 PS. Bigger is better.
Im Haus fasziniert mich am meisten die Kleiderkammer des 1995 zurückgetretenen Racers. Hier hängen sie, die legendären Nankai und Dainese-Leder, die für eine ganze Generation Fans zur Marke des fahrerischen Wahnsinns wurden. Kevin greift ins Sortiment und zieht einen schwer ramponierten Dress vor. «Den hatte ich an, als mich Mick Doohan in Donington über den Haufen gefahren hat.» Wow.
Freedom
Die nächste Stunde verbringen wir in Kevins Spielzimmer mit Kino, Simulatoren, Playstation und Co. Man merkt hier lebt ein Single. Zur Lunch Time geht es mit Kevin und einer befreundeten Familie aus der Nachbarschaft zum Italiener. Beim Pizza-Futtern in Davidson, North Carolina, frage ich den Texas-Auswander, der sich hier völlig unbehelligt bewegt, warum er ausgerechnet hier lebt. Mit langen Käsefäden am Mund antworte Kevin: «Genau deshalb. Weil ich hier alles machen kann, was ich will. Das ist meine Freiheit».
Ja, ich habe mich noch öfters gezwickt. Aber dieser Tag, er hat wirklich stattgefunden. Mein Fazit damals: Kevin Schwantz ist nicht nur ein unfassbarer Rennfahrer, sondern auch ein verdammt guter Typ. Und wenn mir der Suzuki-Rodeo Reiter in Austin oder irgendeinem anderen Fahrerlager wieder über den Weg läuft, dann werde ich genau das wieder sagen – und mich bedanken für die Pizza, damals im Februar 2001 in Davidson, NC.