Im MotoGP-Sprint in Jerez krachte es ständig

Vom kurzen Leben einer blauen Flunder

Kolumne von Rainer Braun
​Kölner Kult-Geschichten, Folge 2: Über Renault-Direktor Georg Heinz Hommen, eine Alpine A 110 und die Folgen einer Testfahrt «nur um zwei Ecken».

Für diese Geschichte muss ich ein bisschen ausholen, denn Vor- und Nachspiel gehören hier unbedingt dazu. Im Winter 1971/1972 lud mich Renaults rühriger PR-Direktor Georg Heinz Hommen zu einem Gespräch am Stammsitz der Deutschen Renault AG in Brühl vor den Toren Kölns ein.

Dazu muss man wissen, dass Hommen bis zu seiner Pension nahezu uneingeschränkter und eine Art heimlicher Herrscher im Brühler Renault-Gebäude Kölner Weg 6-10 war. Er verfügte über den fettesten Etat (Presse, Veranstaltungen Werbung, Sport) aller Abteilungen. Entscheidungen traf er schnell und unkompliziert. Kurzum, Hommen lebte für Renault.

Und er war ein ausgesprochener Genussmensch, liebte gutes Essen, edle Weine, dicke Zigarren und das Golfen. Wenn er eine Einladung aussprach, dann nur in die besten Restaurants. Ein Essen mit ihm konnte dann auch schon mal drei oder vier Stunden dauern. Seinen Kosenamen «Sonnenkönig vom Rhein» hatte er sich redlich verdient. Kein Wunder, dass der immer perfekt gekleidete Mann in der Branche als einer der beliebtesten PR-Chefs galt.

Mit meinem Capri RS fuhr ich also im Dezember 1971 auf das Betriebsgelände und parkte neben einer Reihe von Firmen-PKW und Testwagen. Hommen hatte von seinem Büro aus offenbar meine Vorfahrt mit dem Fremdfabrikat erspäht, eilte höchstpersönlich auf den Hof und begrüßte mich mit den Worten: «Lieber Herr Braun, vergessen Sie ihren komischen Capri, ich zeige Ihnen jetzt erst mal ein richtiges Auto.»

Eine dicke Zigarre paffend, führte mich Renaults einflussreicher PR-Direktor um die Ecke in eine Halle und zeigte auf eine blaue Alpine A 110 mit dem Kennzeichen K-R 1815. Mit diesem Auto aus dem Testwagenbestand sollte ein Foto-Shooting im Schnee der französischen Seealpen für einen deutschen Presseversand zur Rallye Monte Carlo 1972 gemacht werden.

Hommen schlug vor, dass ich die blaue Flunder zum Fototermin in die verschneiten französischen Seealpen chauffieren soll. Als zweiter Mann beteiligte sich GT-Champion Dieter Kern mit seiner eigenen, roten A 110 an dem Drift-Happening im Schnee. Als Fotograf wurde Ferdi Kräling aus dem Sauerland engagiert.

Alles klappte perfekt. Nach erfolgter Anreise zelebrierten Kern und ich synchron die wildesten Driftwinkel. Chefbelichter Kräling schoss hunderte Fotos und war mit unseren Darbietungen höchst zufrieden. Nachdem die Produktion im (Foto-)Kasten war, gings mit Ferdi K. auf dem Beifahrersitz wieder zurück in Richtung Heimat.

Bei der nächtlichen Durchfahrt eines tief verschneiten französischen Bergdorfs wurden wir nach einem perfekten Drift von einem Orts-Gendarm angehalten und sollten wegen des Querfahrens 500 Francs zahlen. Unsere Schutzbehauptung, nicht so viel Geld dabei zu haben, zog nicht – der Flic drohte mit Gewahrsam, bis die Kohle da ist. Wir gaben klein bei, legten zusammen und zahlten.

Verabredet war, dass ich die Alpine nach Ende der Fotosession noch für ein paar weitere Tage bis zur Rückgabe fahren darf. Hommen hatte mich allerdings fast angefleht, das Auto «um Himmelswillen nicht zu zerstören, weil wir nur dieses eine Exemplar haben und auf absehbare Zeit aus Paris auch keinen Ersatz bekommen».

So weit, so gut.

Nach Rückkehr in die Redaktion registrierte ich bald sehnsüchtige Blicke der Kollegen in Richtung des Franzosen-Flachmanns. Chefredakteur Jürgen Reinke bekniete mich so lange, bis ich nachgab. Er wolle «nur eben mal um ein paar Ecken fahren». Reinke bleibt länger weg als vereinbart, nach einer Stunde wurde ich nervös, nach zwei Stunden beschlich mich ein unangenehmes Gefühl, nach drei ein böser Verdacht.

Dann klingelte das Telefon, dran der Chef, mir schwante Schlimmes. «Es ist mir so peinlich, aber das Auto ist leider Schrott.» Herr Reinke war nicht, wie versprochen, nur um ein paar Ecken gedüst.

Nein, es musste der Nürburgring sein.

Die Nordschleife hat er ja, oh Wunder, noch unbeschadet überstanden. Aber die Rückfahrt auf der B 257 wurde ihm zum Verhängnis. Am tückischen Felsvorsprung bei Ahrbrück endete das Leben der blauen Plastik-Flunder. Der Rest wurde durch einen Abschleppdienst erledigt, der den Chef gleich mit zurück nach Köln genommen hat.

Zurück in der Redaktion, fragte mich der glücklicherweise unverletzte Bruchpilot doch allen Ernstes, ob ich nicht den Herrn Hommen über das Missgeschick informieren könne. «Das machste mal schön selbst», ließ ich meinen zerknirschten Chefredakteur wissen, der dann tatsächlich zum Telefon griff und beichtete.

Hommen nahm den Crash-Report laut seiner Assistentin Hella Eisenhuth «aus einer Mischung von Wut und Enttäuschung entgegen und legte kommentar- und grußlos auf».

Ein paar Tage später meldete er sich stocksauer bei mir und machte mich gnadenlos zur Sau. Ich hätte sein Vertrauen missbraucht und so weiter und so fort. Und zum Schluss des Mega-Anschisses jammerte er mir noch vor, dass «wir durch ihren Leichtsinn unseren einzigen A 110-Testwagen verloren haben. Das Auto war den Kollegen vom Stern zum Test versprochen und in ein paar Tagen abgeholt werden. Was soll ich denen denn jetzt sagen?»

Es dauerte fast drei Jahre, bis mir der PR-Direktor bei passender Gelegenheit und eingehüllt in Zigarrenrauch ein Friedensangebot machte. Aber wahrscheinlich nur deshalb, weil er jemand für einen neuen Spezialauftrag suchte. Er lud mich zum Mittagessen in sein Stamm-Restaurant «Bitzer Hof» ein, ein piekfeiner Landgasthof, in den er all seine Gäste führte.

Das Meeting dauerte rund vier Stunden. Nach einem ebenso feudalen wie umfangreichen Vier-Gänge-Menü akzeptierte ich das Angebot eines umfangreichen Service- und Leistungs-Pakets, das ich in Form von Mikrofon- und Pressearbeit für Renault-Sport auf seinen ausdrücklichen übernehmen sollte.

Was mit einer zertrümmerten Alpine A 110 und daraus resultierender längerer Funkstille unglücklich begann, endete mit einer neuen Partnerschaft, die mehr als 30 Jahre überdauern sollte.

Georg Heinz Hommen ist am 10. Februar 2020 im fast biblischen Alter von 95 Jahren in seiner Heimatstadt Bonn gestorben.


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