KTM: Im Werk gingen die Lichter aus

Scott Redding: «Realitätsschock, mangelnder Respekt»

Von Ivo Schützbach
Nach schlimmen Unfällen oder sogar tödlichen ist im Rennsport oft zu hören, die Sportler wüssten, worauf sie sich einlassen. Das stimmt, aber sie verdrängen es. Denn nur so können sie dieses hohe Risiko eingehen.

Nach dem tödlichen Unfall des erst 15-jährigen Dean Vinales am 25. September auf dem Circuito de Jerez wusste anschließend keiner, wie es weitergehen würde. Der Youngster verlor vor 14 Uhr sein Leben, erst abends ab 18.30 Uhr traf sich SBK Executive Director Gregorio Lavilla mit den Piloten der drei WM-Klassen. Selten sah ich den Ex-Rennfahrer so geschockt; seit er diesen Posten bei Promoter Dorna innehat, musste er noch nie mit so einer Situation umgehen.

«Lavilla hätte zusammengepackt, wäre die Familie Vinales nicht zu ihm gekommen», erzählte Supersport-WM-Leader Domi Aegerter, der am Donnerstag seinen 31. Geburtstag feierte. «Er hat dann mit den Fahrern gesprochen und fast alle waren der Meinung, dass wir das zu Ehren von Dean machen müssen. Durch die Familie Vinales haben wir die Chance bekommen, in Jerez zu fahren. Wir sind Rennfahrer, wir lieben, was wir machen. Das ist unser Leben. Und hätten wir abgesagt, wären wir drei Tage später trotzdem in Portimao und dann wird wieder gefahren.»

Natürlich ist sich jeder Rennfahrer und jedes Team des Risikos des Sports bewusst. Aber das ist kein Thema im Fahrerlager, das wird komplett ausgeblendet – ein Selbstschutzmechanismus.

«Wir denken nicht darüber nach, das ist kompletter Bullshit», unterstrich Superbike-Vizeweltmeister Scott Redding gegenüber SPEEDWEEK.com. «Wenn du jedes Mal beim Rausfahren denken würdest, dass du sterben kannst, dann würdest du nicht mehr rausfahren. Niemand würde das tun. Natürlich wissen wir im Hinterkopf, dass es passieren kann. Und wir versuchen, das nicht zu akzeptieren. Wir müssen weitermachen, alle im Rennsport geben ihr Bestes. Der Sicherheitsstandard mit den Airbags, Helmen, Lederkombi ist heute erstaunlich hoch. Wenn aber etwas Unvorhersehbares geschieht, kann dich nichts schützen.»

Der Engländer kritisiert nicht nur, dass die Rennen in den kleinen Klassen durch die verschiedenen Balance-Regeln heute zu eng sind, er macht auch einen Mangel an Respekt aus.

«Früher gab es diese speziellen Momente, etwa in Jerez in der letzten Kurve», holte Redding etwas aus. «Dann waren fünf oder sechs Fahrer hinter dir und es war okay. Heute sind die gleichen Manöver bereits in der ersten Kurve zu sehen. Alex Lowes hatte Glück in Barcelona. Er hatte 15 Fahrer hinter sich, einigen von ihnen kamen erst im letzten Moment an ihm vorbei. Manchen Fahrern fehlt es an Respekt, andere schauen nur auf ihre Karriere. Aber wie viel ist eine Karriere wert? Und wie viel Respekt musst du anderen entgegenbringen? Deshalb war ich in Most so angepisst, weil ich sagte, dass das nicht der richtige Platz ist, um Rennen zu fahren. Deswegen musste ich mir viel anhören, das juckt mich aber nicht. Aber stell dir vor, es wäre etwas passiert. Ich versuche, solche Dinge von außen zu betrachten. Hätte sich der Junge in Jerez lediglich verletzt, hätte niemand etwas gesagt oder darüber nachgedacht. Die Rennen am Sonntag waren viel besonnener und ruhiger. Auch die Überholmanöver waren bedachter. Ich glaube, in Jerez erlitten alle einen Realitätsschock. Es ist schade, dass etwas so Schlimmes passieren muss, damit alle aufwachen. Deshalb sagte ich in Most, dass es dort nicht sicher ist. Wäre etwas passiert, dann hätte es geheißen, dass wir dort wohl nicht hätten fahren sollen. Fuck – solche Möglichkeiten sollte es erst gar nicht geben. Aber es gibt sie. Ich werde dafür bezahlt, also fahre ich solche Rennen, das ist mein Job.»

«Ich muss sagen, dass die Dorna ihr Bestes gibt», unterstrich der 28-Jährige. «Als wir das Treffen mit Gregorio hatten, habe ich zum ersten Mal seine menschliche Seite gesehen. Dieser Unfall hat ihn sehr verletzt. Ich zolle ihm viel Respekt, dass er alles zusammenhält und die Rennen erlaubt hat. In Most habe ich diese Seite bei ihm nicht gesehen. Da wurde uns gesagt, dass wir selbst entscheiden sollen, wie schnell wir fahren. Das können wir aber nicht. Als es in Most im Training regnete, ging die ersten 15 Minuten keiner raus. Dann fragte ich mich, welche Idioten rausfahren und unseren Standpunkt ruinieren. Weil wenn einer geht, dann gehen auch die Wackelkandidaten. Und wenn zehn fahren, muss ich auch fahren. Leider haben einige hier kein Gehirn zwischen ihren Ohren, sie denken nicht nach. Sie denken, dass wenn zehn andere nicht fahren, dass sie dann zehn Plätze weiter vorne ins Ziel kommen. Wir hätten mehr zusammenhalten sollen und mit der Situation besser umgehen. Wir sind verdammt schnell – und Mauern geben nicht nach.»

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