Le Mans 1995: Fabrikneuer McLaren F1 GTR gewinnt

Sensationssieg von McLaren in Le Mans 1995
Dass ein nagelneues Auto auf Anhieb ein Langstrecken-Rennen wie die 24 Stunden von Le Mans gewinnen könnte, wurde in der Motorsport-Fachwelt nur misstrauisch als möglich erachtet. Doch dem McLaren F1 GTR gelang dieses Kunststück, wenngleich auch mit viel Glück, vor genau 30 Jahren an der Sarthe. Schon in früheren GT-Rennen im Jahr 1995 hatte dieser Sportwagen, 680 PS stark und über 370 km/h schnell, mit Siegen von sich reden gemacht, nun stand noch Le Mans an.
Mehrere bekannte, vorwiegend britische Teams hatten ein solches Auto angemeldet und zum Start gebracht, allesamt mit bekannten Piloten wie Derek und Justin Bell, Andy Wallace, Pierre-Henri Raphanel, Ray Bellm, Jochen Mass, John Nielsen oder Mark Blundell.
Schließlich hatte sogar ein japanisches Team seine Nennung abgegeben: Mit einem vom McLaren-Werk vorbereiteten Auto trat die Ueno-Clinic aus Tokio und ihrem Teamchef Paul Lanzante in Frankreich an.
Eine Klinik als Hauptsponsor? Dazu muss gesagt werden, dass dieses sehr spezielle Hospital in Japans Metropole auch ganz besondere Behandlungen durchführt, sehr diskret und naturgemäß der Männerwelt vorbehalten. Denn dort können Vertreter dieses Geschlechts die primären äußeren Merkmale ihres Genres vielfach optimieren lassen. Was also lag näher, als dafür weltweit bei einem besonderen Sportereignis zu werben?
Bis auf John Nielsen, der bei einem 24-Stunden-Vortest in Magny Cours bereits das Langstrecken-Potential des nagelneuen McLaren-Supersportwagens hatte überprüfen können, ging der Großteil seiner Marken-Kollegen immer noch mit einer gewissen Skepsis ins Rennen.
Da gab es etwa schon vor dem Start beim Auto von Fabien Giroix Anlasser-Probleme, ein anderer McLaren musste früh wegen Getrieberasseln an die Box.
Und doch lagen schon nach drei Stunden Fahrzeit drei der Sportwagen, angetrieben von einem BMW V12-Motor, in Front. Sie wurden allerdings gejagt von Bob Wollek auf einem Courage C34-Prototyp und von Hans-Joachim Stuck auf einem Porsche.
Aber dieses Rennen sollte, wie schon oft in seiner Historie, nicht nur von Technik bestimmt werden, sondern vor allem vom Wetter.
Bald setzte Regen ein, die WSC-Autos mit ihren flachen Unterböden bekamen große Probleme: Sowohl Stuck als auch US-Star Mario Andretti trudelten von der nassen Bahn.
Der McLaren F1 GTR von Ray Bellm machte ebenfalls Bekanntschaft mit den Leitschienen am Rand, stand lange zur Reparatur an der Box, rappelte sich aber dank der furiosen Aufholjagd von Maurizio Sala am Ende noch auf Rang 4 vor.
Ein weiteres Auto von Philippe Alliot musste schließlich ganz aus dem Rennen genommen werden, es war zu kaputt.
Und so übernahm John Nielsen die Führung, fuhr – nahezu unglaublich – fast vier Stunden ohne funktionierenden Scheibenwischer.
Teamkollege Jochen Mass musste sogar früher als geplant wechseln, denn bei den üblen Sichtverhältnissen im strömenden Regen war es selbst dem Profi schlecht geworden!
Die Reparatur des Wischers, so hatte die Crew später nachgerechnet, hätte das Auto um zehn Runden im Klassement zurück geworfen. Schließlich aber machte ein Kupplungs-Wechsel dieser McLaren-Mannschaft vollends den Garaus, zumal John Nielsen nach der Reparatur mit kalten Reifen und Bremsen im Kiesbett gestrandet war.
Nun lag das Auto von Derek Bell und seinem Sohn Justin in Front, bis nach 17 Stunden das japanische Team mit JJ Lehto, Yannick Dalmas und Masanori Sekiya die Spitze übernahm. Allerdings trocknete nun die Piste ab, die Prototypen-Klasse rückte wieder näher, und auch die Markengefährten mit Andy Wallace und dem schnellen Bell-Duo kämpften um die Spitze mit.
Schließlich sorgte ein Getriebeproblem an diesem Auto kurz vor Schluss für Ärger, es kam am Ende aber noch auf Rang 3 ins Ziel.
Sieger wurde schließlich, völlig unerwartet, die japanische McLaren-Mannschaft der Ueno Clinic, mit nur einer Runde Vorsprung vor dem Courage-Prototyp mit Bob Wollek, Eric Helary und Mario Andretti. Auch die Plätze 4 und 5 holten sich Teams mit einem McLaren, letztlich der überzeugende Beweis dafür, dass auch ein nagelneuer Sportwagen auf Anhieb ein 24-Stunden-Langstreckenrennen gewinnen kann.
Bittere Ironie dieses Erfolgs: McLaren-Eigentümer Ron Dennis, völlig überrascht vom Triumph seines Produkts, wollte dennoch nicht, dass BMW als Motorenlieferant dazu in Medien einige Hintergrund-Stories plante.
So stolperte der erfolgreiche McLaren F1 GTR am Ende über die Eitelkeit seines Schöpfers.