Le Mans 1965: Jochen Rindt, der unschuldige Sieger
Eigentlich wartete Jochen Rindt, der schlaksige Österreicher mit deutschem Paß, gerade 23 geworden, auf einen ersten Einsatz im Sportwagen des Wieners Carlo Abarth, als er im Mai 1965 einen Anruf des North American Racing Teams (NART) bekam.
Ob er nicht für sie, an der Seite von Masten Gregory, das 24-Stunden-Rennen in Le Mans auf einem Ferrari fahren wolle. Jochen Rindt, der zu dieser Zeit auf einen Werksvertrag wartete und von einem Stammplatz in der Formel 1 träumte, sagte mehr oder weniger lustlos zu.
Rindt kannte seinen amerikanischen Teamkollegen Gregory, einen optisch unscheinbaren Mann mit dicker Hornbrille (noch) nicht, der bereits Formel-1-Rennen gefahren war.
Dabei stammte dieser wie er selbst aus einer reichen Familie: Gregory war Erbe einer Versicherungsgesellschaft, Rindt besaß eine gut gehende Ölmühle in Mainz – beide jedoch hatten mehr Spaß an Motorsport als an geschäftlichen Vorgängen, konnten sich also ihr schnelles Hobby gut leisten.
Ferrari hatte zu dieser Zeit einen ganz neuen Sportwagen entwickelt, den 250 LM, das erste Auto der Marke mit Mittelmotor und einer Karosserie von Pininfarina. In Maranello entstanden davon nur 32 Exemplare, allerdings wären 100 notwendig gewesen, um dieses Auto auch als Sportwagen in Le Mans starten zu lassen.
Deshalb mussten die Italiener mit ihrem roten Boliden, der von einem 3,3 Liter großen Zwölfzylinder mit rund 320 PS angetrieben wurde und maximal 290 km/h lief, in der Prototypen-Klasse antreten. Allerdings setzte die Scuderia die 250 LM nicht selbst ein, sondern bot sie privaten Teams an, unter anderem NART.
Diese aber trafen auf eine gewaltige Ford GT40-Armada aus den USA. Henry Ford hatte Carroll Shelby, einen bekannten Rennfahrer und Konstrukteur, beauftragt, ein Auto zu bauen, mit dem Ferrari in Le Mans endlich zu schlagen sei.
Denn Enzo Ferrari hatte sich nicht nur geweigert, seine Fabrik an den Amerikaner zu verkaufen, sondern dessen Fahrzeuge auch noch als hässlich bezeichnet – diese Schmach saß tief.
Heraus kamen schließlich gewaltige Sportwagen, mit sechs Autos kam Ford an die Sarthe: zwei GT 40 mit einem Sieben-Liter-V8-Motor und gut 500 PS, zwei Autos mit einem 5,3-Liter-V8 (450 PS) sowie zwei weiteren mit 4,7 Liter Hubraum (300 PS).
Prompt legten diese Power-Geschosse, die mit bis zu 334 km/h über die lange Hunaudières-Gerade jagten, eine mächtiges Tempo vor, wenngleich sich Jochen Rindt und Masten Gregory mit ihrem im Vergleich schmächtigen Ferrari wacker auf Rang 6 halten konnten.
Immerhin hatte Ferrari als Werk auch noch Sportwagen mit 4,4-Liter-Motor und Profis wie John Surtees, Ludovico Scarfiotti, Lorenzo Bandini oder Pedro Rodríguez eingesetzt, Joakim Bonnier komplettierte das Italo-Team.
Noch bevor die Dunkelheit einsetzte, ging bei gleich vier Ford GT40 buchstäblich das Licht aus: Sie strandeten mit Überhitzungs-Problemen oder Antriebsschäden, kurz nach 22 Uhr war auch das letzte Auto der Marke nicht mehr im Rennen.
Die Werks-Ferrari waren auch nicht von Glück verfolgt, fielen einer nach dem anderen aus, vornehmlich durch Defekte an den Bremsen.
Und so fanden sich Rindt/Gregory morgens um drei Uhr früh auf Platz 3, eine Stunde später sogar auf 2! Nur noch ein anderer Ferrari lag vor ihnen, doch ein Reifendefekt samt Folgeschaden an diesem Wagen brachten den Wahl-Österreicher und seinen US-Teamkollegen schließlich ganz nach vorne.
Nur 14 von 51 gestarteten Auto kamen schließlich nach 24 Stunden ins Ziel, einer Hitzeschlacht, in der auch Jochen Rindt schwer mit den widrigen Umständen im Cockpit zu kämpfen hatte.
Auf diesen Sieg in Le Mans, der für ihn unerwartet gekommen war, folgten jetzt unzählige gute Angebote für ein Rennwagen-Cockpit.
Rindt entschied sich erst einmal für den Einsatz im Formel-Auto des britischen John Cooper-Teams, bevor er zu Jack Brabham und kurz darauf zu Colin Chapman in dessen Lotus-Team wechselte. Hier gewann er 1969 auch seinen ersten Formel-1-Grand Prix im amerikanischen Watkins Glen, ein Jahr später verunglückte er tödlich in Monza.
Viele erinnern sich an seinen mutigen, oft waghalsigen Fahrstil, aber wohl nur wenige an seinen unschuldigen Sieg in Le Mans, der für ihn zum Trittbrett für seine weitere Karriere werden sollte.
Das Auto, mit dem er damals gewann, der rote Ferrari 250 LM mit der Startnummer 21, lebt im Gegensatz zu seinem Fahrer noch: Erst vor kurzem wurde dieses automobile Prachtstück für die Wahnsinns-Summe von 36 Millionen Dollar an einen anonymen Sammler versteigert. Ein Modellauto von diesem Typ, das während der Schulzeit lange meinen Schreibtisch schmückte, ist hingegen verloren gegangen, schade.
Ford revanchierte sich übrigens nachhaltig für die Le Mans-Niederlage 1965: Schon im nächsten Jahr belegten drei GT40 die ersten Plätze, und bis 1969 sollte ihr Name dominant auf den Sieger-Listen dieses Motorsport-Klassikers stehen.
Erst 1970 schrieb sich Porsche dort erstmals als Gesamtsieger ein, auch für eine sehr lange Zeit. Aber das ist wieder eine ganz andere, ebenfalls spannende Story.