Borja Gomez: Schockierende Details einer Tragödie

Hätte Borja Gomez gerettet werden können?
Der aus San Javier stammende Borja Gomez nahm mit dem Team Laglisse an der im Rahmen der JuniorGP-Serie durchgeführten Stock-EM teil. Im Vorfeld des Meetings auf der Rennstrecke in Magny-Cours wurde ein privates Training durchgeführt, in dem Gomez tragisch stürzte. Augenzeugen berichteten, dass der Spanier beim Anbremsen einer Kurve stürzte und im Kiesbett vom Motorrad eines weiteren gestürzten Fahrers getroffen wurde, was tödliche Verletzungen zur Folge hatte. Dies ist die nüchterne Beschreibung des Hergangs.
Aus dem Mund von Filippo Fuligni ergibt sich ein anderes, umfassenderes Bild. Der Italiener war ebenfalls in Magny-Cours als Teilnehmer dabei und berichtet von schockierenden Szenen. Das folgende und von Edoardo Vercellesi geführte Interview wurde SPEEDWEEK.com freundlicherweise zur Verfügung gestellt. An dieser Stelle geben wir eine gekürzte Übersetzung wieder. Das noch umfangreiche Gespräch ist auf der Website von yellowflagtalks.com zu finden.
Filippo, beginnen wir mit einer Klarstellung: Wer war an diesem Donnerstag für die Organisation der sportlichen Aktivitäten zuständig?
Donnerstags finden private freie Trainings statt, weil das Team oder der Fahrer die Runden direkt an der Rennstrecke bezahlt. Diese sind jedoch Teil des offiziellen Rennprogramms, das wir direkt von der JuniorGP-Website herunterladen: Sie sind zwar nicht direkt für die Organisation am Donnerstag zuständig, aber du fährst für die JuniorGP dorthin, nicht auf eigene Faust. Und so ist es an allen Rennwochenenden. Man könnte sagen, dass die Organisation der JuniorGP [Dorna] sich ein wenig aus der Verantwortung zieht.
Erzähl uns, was vorgefallen ist.
Am Donnerstag sind zwei freie Trainings mit je 40 Minuten vorgesehen, und wir waren gerade bei der ersten, die etwa sieben Minuten gelaufen war, also hatten wir jeweils zwei oder drei Runden gefahren. Die Bedingungen waren perfekt, alles trocken, die Temperatur lag bei etwa 23 Grad. Am Ausgang der Adelaide-Haarnadelkurve hatte Alberto Garcia, der Teamkollege von Borja Gomez, ein technisches Problem und verlor Wasser, wahrscheinlich mit weiteren Substanzen darin, was sehr rutschig war. Er fuhr weiter bis Kurve 9, wo die Streckenposten sein Motorrad aufluden und wegbrachten. Von den beiden Fahrern hinter ihm riskierte einer einen Sturz, weil er auf die Wasserlache geriet.
Dann kam Borja, der beim Bremsen in der Nürburgring-Variante [der schnellen Schikane nach Adelaide] stürzte. Sein Vorderrad blockierte beim Bremsen und er stürzte ganz normal. Der Unfall ereignete sich gegen 12:07 Uhr. Borja stand auf und rannte zu den Reifenstapeln, wahrscheinlich, weil er – das ist meine Interpretation – erkannte, dass die Situation auf der Strecke seltsam war: Ein Sturz in der dritten Runde eines freien Trainings ist für einen erfahrenen Fahrer wie ihn nicht normal. In dieser Kurve gab es weder Flaggen noch Signale, die auf eine Gefahr hinwiesen. Es gab auch nur einen Streckenposten, der ihm aber nicht half, das Motorrad wieder aufzurichten. Etwa 22 Sekunden später stürzte Joan Santos, aber was geschah in diesen 22 Sekunden? Borja wartete einen Moment, und als er sah, dass niemand ihm zu Hilfe kam und die drei nachfolgenden Fahrer nicht stürzten, ging er zurück, um sein Motorrad aufzurichten. Sein einziger Fehler war wahrscheinlich, dass er der Strecke den Rücken zugewandt hatte und daher nicht sah, wie Santos stürzte.
Santos kam also ohne jeglichen Warnhinweis an der Nürburgring-Kurve an?
Genau, ihn trifft keinerlei Schuld: Obwohl seit Borjas Sturz bereits 22 Sekunden vergangen waren, gab es keinerlei Warnung. 22 Sekunden sind in unserer Welt eine Ewigkeit.
Mehrere Streckenposten haben erklärt, dass die gelbe Flagge im Gefahrenfall sofort gezeigt wird, sie müssen dafür nicht auf Anweisungen warten. Innerhalb von ein paar Sekunden wird die Flagge geschwenkt.
Ich habe das Gleiche der Polizei gesagt, es ist sehr schwerwiegend. Alles, was vorgefallen ist, war absolut vermeidbar. In diesem Bereich gab es nur einen sehr jungen Streckenposten, der nichts unternahm, weder eine Flagge schwenkte noch Hilfe leistete. Unter normalen Bedingungen, auch im freien Training, kommen mindestens zwei Streckenposten zu dir, sobald du nach einem Sturz anhältst. Wenn es Flaggen gegeben hätte, hätte jeder Fahrer vorsichtshalber abgebremst und wäre vielleicht trotzdem gestürzt, aber langsamer.
Kommen wir zurück zum Unfall.
Santos verlor die Kontrolle über das Vorderrad: Er stürzte vom Motorrad, aber die Reifen bekamen wieder Grip. Das Motorrad richtete sich auf, fuhr direkt auf Borja zu und traf ihn von hinten. Mit einer 600er erreicht man dort im fünften Gang eine Geschwindigkeit von über 200 km/h. Der Aufprall muss bei mindestens 130/150 km/h erfolgt sein, und wenn man bedenkt, dass das Motorrad etwa 170 kg wiegt, kann ein solcher Aufprall nur tödlich enden. Etwa zehn Sekunden später kam ich an, und auch nach zwei Stürzen gab es keine Meldung und keinen Streckenposten, der den Fahrern helfen konnte.
Als ich näher kam, sah ich den Staub, nahm instinktiv das Gas zurück und fuhr langsam bis zur Bremszone, aber ich befand mich genau über der nassen Spur und mein Vorderrad blockierte. Ich kam ziemlich schnell zum Stehen und da ich mir bewusst war, dass etwas Glitschiges auf der Strecke war, kletterte ich auf den Reifenstapel. Gerade als ich das tat, wurden die roten Signale eingeschaltet, aber sie zeigten nicht an, um welches spezifische Problem es sich handelte. Es gab beispielsweise keine gelb-rote Flagge [die auf eine Veränderung der Gripverhältnisse hinweist], was angesichts der drei Stürze innerhalb von 30 Sekunden das Richtige gewesen wäre. Hätte ich nicht mit den Armen gewunken, um allen zu signalisieren, sich von der Ideallinie fernzuhalten, wären weitere Fahrer gestürzt.
Als alle vorbeigefahren waren, stieg ich von den Reifen herunter und sah drei Motorräder auf dem Boden liegen und Santos, der aufrecht stand, aber ich sah den dritten Fahrer nicht. Als ich zu meinem Motorrad zurückging, fiel mein Blick auf Borjas, der regungslos dalag. Ich war für einige Sekunden wie gelähmt, weil es ein sehr eindringliches Bild war. Ich rannte los, um Hilfe zu holen, aber ich sah keine Eile seitens des Streckenpostens, Borja zu helfen, also nahm ich meinen Helm und meine Handschuhe ab und ging selbst zu ihm. Ich öffnete leicht seine Lederkombi, da ich kein Rettungssanitäter bin und ihn nicht berühren durfte. Seine Augen waren offen, aber leer, also versuchte ich mit meinen Fingern an seinem Hals zu fühlen, ob er noch einen Herzschlag hatte, und mit meiner Hand auf seiner Brust, ob er atmete. In diesem Moment spürte ich etwas – ich weiß nicht, ob es eine Reaktion in den letzten Augenblicken seines Lebens war oder ob es möglich war, ihn wiederzubeleben. Ich weiß nur, dass selbst wenn es die geringste Chance gegeben hätte, ihn wiederzubeleben, diese durch die verspätete Hilfe verloren gegangen ist.
Wann ist der Rettungswagen eingetroffen?
Der Krankenwagen kam zwischen sieben und zehn Minuten nach dem Aufprall, was sehr lang ist: Auf der Rennstrecke müssen normalerweise drei Krankenwagen bereitstehen, die maximal innerhalb von drei Minuten eintreffen müssen, wenn man es hoch ansetzt. Im Krankenwagen war nur ein Arzt, während ich nur mit einem Kommissar und einem Mitglied des Laglisse-Teams dort war. In diesem Zusammenhang: Eine normale Person, die kein Kommissar oder Arzt ist, hat normalerweise keinen freien Zugang zur Rennstrecke. Er hingegen hatte alle Freiheiten, über den Zaun zu klettern, zum Unfallort zu gelangen, mit dem Team zu telefonieren, seinen Fahrer zu erkennen und blass zu werden. Ich musste ihn wegbringen, weil er nicht wusste, was er tun sollte. Ich weiß nicht, wie ich die Situation gemeistert habe, ich habe sogar den Vater meines Teamkollegen weggeschickt, der mit seiner kleinen Tochter dort war.
Zurück zur Rettung: Der Krankenwagen kam und lud Borja ein. Als sie ihm den Helm abnahmen, wurde mir klar, dass es nichts mehr zu machen gab: Er blutete aus den Ohren und hatte offensichtliche Brüche am Arm, am Bein und wahrscheinlich am Hals. Sie versuchten, ihn wiederzubeleben, aber nur sehr halbherzig. Ich bin nicht mit ihm in den Krankenwagen gestiegen, sondern blieb dort, um den Streckenposten zu helfen, die Motorräder aus der Auslaufzone zu entfernen. Offen gesagt schienen sie mir auch nicht sehr kompetent zu sein: Mein Motorrad hatte einen verbogenen Auspuff und sie konnten es nicht anheben. Ich fragte, ob sie einen Kran hätten, und sie sagten mir, dass es einen gäbe, aber er kam erst nach etwa vierzig Minuten.
Später tauchte ein Mann von der Dorna auf und fragte mich, was passiert sei. Meine spontane Reaktion war: Ich frage dich, was passiert ist: Wo wart ihr? Warum bist du erst jetzt gekommen? Warum ist niemand da? Er antwortete mir, dass nicht sie, sondern die Rennstrecke an diesem Tag für die Organisation zuständig sei. Das ärgerte mich maßlos, denn wenn man sich um den Zustand der Strecke kümmert, um das Programm fortzusetzen, bedeutet das, dass man trotzdem involviert ist. Außerdem sagst du mir, dass auf der Strecke nichts zu sehen ist, ich sage dir, dass wir zu dritt gestürzt sind. Es ist klar, dass, wenn du zwanzig Minuten nach dem Unfall kommst, das Wasser, auf dem wir gestürzt sind, angesichts der Temperatur verdunstet ist. Er war etwas überrascht, er wusste nicht, dass Borjas Teamkollege ein Problem hatte, weil sein Motorrad bereits in die Box zurückgekehrt war, nur das Laglisse-Team wusste, dass er Wasser verloren hatte. Die anderen drei Motorräder – meins und die von Gomez und Santos – wurden bis zum nächsten Tag beschlagnahmt, um die polizeilichen Formalitäten zu erledigen. Die Strecke wurde jedoch gereinigt, auch wenn es nichts mehr zu reinigen gab.
Was ist im verlauf des restlichen Tages passiert?
Die Aktivitäten auf der Rennstrecke am Donnerstag wurden sofort abgesagt. Ich blieb lange Zeit mit dem Krankenwagen dort, dann war ich bei meinem Team und vermied es, mit all den Leuten zu sprechen, die wissen wollten, was passiert war. Ich habe mich mit einigen erfahrenen Fahrern getroffen, um uns gegen die Fortsetzung des Wochenendes auszusprechen, während sich die Teamchefs mit der Dorna trafen, die sich letztlich aus der Affäre zog: Sie überließ den Teams die Entscheidung, ob sie weitermachen wollten oder nicht, verlangte aber von denen, die nicht fahren wollten, dass sie ihre Boxen und Einrichtungen bis Sonntag nicht abbauen durften, sonst drohten Strafen. Also musste Borjas Team bis Sonntag dortbleiben und litt unter Schmerzen, was mir nicht richtig erscheint.
Es wurde also beschlossen, das Rennen zu fahren, was für mich und viele andere falsch war, sodass wir am Freitagmorgen wieder zur Dorna gingen, um zu sagen, dass wir nicht einverstanden waren. Sie wiederholten, was sie bereits den Teams gesagt hatten. Da ich den Unfall hautnah miterlebt hatte, ging es mir nicht gut und ich wollte nicht bleiben. Ich habe immer noch Schlafprobleme, weil mir die Szene immer wieder in den Sinn kommt. Da ich aber gezwungen war, auf der Rennstrecke zu bleiben, konnte ich genauso gut fahren, um mich abzulenken und nicht daran zu denken. Es tat mir leid, dass ich nach meinem Sieg im Rennen am Sonntag disqualifiziert wurde, ich hätte das Ergebnis Borja widmen wollen. Wir waren keine engen Freunde, aber ich bin viele Jahre mit ihm gefahren, und er war ein netter Kerl, mit dem man sich gut unterhalten oder zusammen trainieren konnte. Auch seine Familie sind nette Leute.
Wen hat die Polizei vernommen?
Sie haben mich und Santos angehört, der sich verletzt hatte und keine Ahnung hatte, was passiert war. Ich habe versucht, seinem Team zu sagen, dass sie es ihm nicht erzählen sollen, dass sein Motorrad Borja getroffen und getötet hat, um ihn nicht zu traumatisieren. Sie haben dann noch mit dem Mann aus dem Team Laglisse gesprochen, der an der Rennstrecke war, und, glaube ich, mit den Ärzten, die ihm geholfen haben. Sie sagten, er sei sofort gestorben, um 12:07 Uhr; ich habe das bestritten und gesagt, dass er noch lebte, als ich bei ihm war, dass er atmete. Er ist nicht sofort gestorben, sondern in den Minuten, in denen wir auf den Krankenwagen gewartet haben.
Wenn sie den Fahrer für sofort tot erklärt haben, also auf der Rennstrecke und nicht außerhalb, warum wurde die Rennstrecke dann nicht gesperrt und das Wochenende fortgesetzt?
Ich würde sagen, es hätte gereicht, den Tag abzusagen, auch wenn mir das absurd erscheint. Die Leiche blieb nur für ein paar Stunden am Donnerstag im medizinischen Zentrum, dann wurde sie weggebracht. Übrigens hat mir Borjas Familie etwas wirklich Unfassbares erzählt. Borja war nur mit einem Freund nach Magny-Cours gekommen. Während man auf die Ankunft seiner Familie wartete, wurde seine Leiche am Donnerstag und Freitag im Kühlraum eines Blumenladens aufbewahrt, weil sich niemand darum gekümmert hatte, eine Leichenhalle zu finden, in der man sie aufbewahren konnte.
Gibt es noch etwas zu dem Vorfall und dessen Handhabung zu sagen?
Ich glaube, ich habe alles gesagt. Ich wiederhole: Wenn das Verfahren korrekt durchgeführt worden wäre – gelbe Flaggen, genügend Streckenposten, um den Fahrern zu helfen usw. –, wäre vielleicht trotzdem etwas passiert, aber dann wäre es ein Unglücksfall gewesen. So aber war es Fahrlässigkeit.