Eisspeedway-WM in Russland: Der Trip ins Ungewisse

Kolumne von Thomas Schiffner
Der überschaubare Presse-Tross in Togliatti

Der überschaubare Presse-Tross in Togliatti

Obwohl ich gefühlt schon ein Dutzend Mal in Russland und Kasachstan war, hatte die Reise zum Eisspeedway-WM-Finale nach Togliatti etwas Besonderes, etwas Kribbelndes.

Würde ich ein Einreisevisum bekommen? Wegen der Pandemiesituation in Russland werden keine Touristen- und Journalistenvisa ausgestellt. Findet das Rennen überhaupt statt? Wegen des WADA-Verbots von Weltmeisterschaften in Russland fürchteten auch die Fahrer, dass die WM in letzter Minute in ein offenes Rennen um den goldenen Mega-Lada-Spike umgewandelt würde.

Erst sechs Tage vor dem Rennen kam die offizielle Bestätigung durch die FIM, da hatte ich mein Visum, Flug und Hotel schon gebucht und die meisten Fahrer waren längst on the road. Was mir damals noch fehlte, war der bei Einreise maximal 72 Stunden alte PCR-Test. Ergebnis: negativ, es konnte losgehen.

Beim Umstieg in Moskau-Scheremetjevo zum Flug nach Samara-Kurumotsch bekam ich erste Eindrücke vom Corona-Geschehen in Russland. Wie bei uns trägt jeder eine Maske, alle 1,5 Meter steht ein 1,5-Meter-Abstandsschild. Doch beim Check-in, beim Einsteigen in den Lift oder in den Flughafen-Shuttle will natürlich jeder der Erste sein. Da werden aus 1,5 m schnell mal 0,15 m. In Scheremetjevo 1 stieg ich um 22 Uhr in eine neue Aeroflot-Maschine ein, mittlerweile haben sich FIM-Fotograf David Reygondeau und die spanische FIM-TV-Crew dazugesellt. Zwei Stunden später sitzen wir immer noch im Flieger, da fordert uns der Kapitän auf, das Flugzeug zu verlassen: Defekt. Ja, Aeroflot, wird mancher sagen, doch es war ein neuwertiger deutsch-französischer Airbus 321! Mit 2,5 Stunden Verspätung landen wir in Samara, mein bestellter Taxifahrer ist längst über alle Berge. Doch ein Bus von Mega-Lada wartet auf die Auslandsgäste und liefert uns verlässlich in unseren Hotels ab.

Um 5.30 Uhr morgens falle ich in mein Hotelbett, um mich 2,5 Stunden später aufzurappeln, damit ich das Training nicht verpasse. Im Stadion komme ich mit mulmigem Gefühl an, denn ich bin von der Russischen Motorsport Föderation als Mitglied des Weber-Teams akkreditiert – und dummerweise das einzige Mitglied vor Ort. Das interessiert aber im Fahrerlager keinen, der generalstabsmäßig gut organisierte Mega-Lada-Club ist extrem gastfreundlich und hilfsbereit. Pressechefin Julia Romanenko, die jeden Fahrer und Mechaniker persönlich kennt, erteilt mir sofort meine Akkreditierung und liest auch sonst fast jeden Wunsch von den Lippen ab.

Beim Rennen hat jeder Zuschauer eine Maske auf, aber die Infektionsgefahr ist extrem niedrig. Die Region Samara hat eine viel niedrigere Inzidenz als die meisten Kreise in Deutschland, und es sind geschätzt weniger als 1500 Menschen, die sich pro Tag im 15.000 Zuschauer fassenden Anatolij-Stepanov-Stadion verlieren. Eintritt zu teuer? Bei 2 Euro wohl kaum. Zu kalt? Am Samstag stieg das Thermometer bei Sonnenschein auf null Grad, für einen Russen sind das subtropische Temperaturen.

Vor dem Rennen sind alle Hilfskräfte damit beschäftigt, im Stadion Spuren von russischen Flaggen, Aufklebern und Hinweisschildern mit der Landesflagge zu beseitigen. Alles von der WADA streng verboten. Im Programmheft und auf dem großen Race-Chart im Fahrerlager firmieren Valeev und Co. unter «Organizer». Zur Fahrervorstellung kommen sie mit ihren Regionsfahnen aus Ufa, Kamensk oder von Mega Lada. Zur Eröffnung hisst Titelverteidiger Daniil Ivanov die Flagge der Region Samara zu Klängen, die jedenfalls nichts mit der russischen Hymne zu tun haben. Dass die Fans auf den Rängen stolz ihre Nationalflagge präsentieren, kann und will niemand verhindern.

Die Offiziellen reduzieren sich ausschließlich auf Russen und den Referee, der praktischerweise auch gleich Jury-Präsident ist: Aleksandr Lyatosinsky aus der benachbarten Ukraine. Von FIM-Vertretern keine Spur, DMSB-Mann Bernd Sagert, der unsere Fahrer betreuen wollte, scheiterte im Vorfeld an den Einreiseformalitäten. Im Nachhinein muss er sich nicht grämen, denn es wäre ihm nur Markus Jell geblieben – Luca Bauer zählt als Fahrer der italienischen Föderation FMI.

Auch was Medienvertreter betrifft, ist nichts von Internationalität zu sehen. Auf dem Gruppenfoto der anwesenden Journalisten bemerke ich in Facebook, dass ich der Einzige bin, der nicht aus Russland kommt. Sofort korrigiert mich die allwissende Julia Romanenko: «Nein, Igor Balin ist aus der Ukraine.» Recht hat sie, die Sowjetunion ist Geschichte.

In Russland ist vieles anders als in Deutschland. Auch in puncto Digitalisierung ist uns das Riesenreich um Jahrzehnte voraus. Ein Taxi sucht man nicht auf der Straße, man tippt seinen Standort und das Ziel auf Google ein, schon wird der Fahrpreis abgebucht, man bekommt die Nummer des Taxis und die Wartezeit in Minuten angezeigt. Der Fahrpreis kann allerdings erheblich differieren: Vom Stadion zum Hotel zahle ich das eine Mal 50 Cent, das nächste Mal glatt das Doppelte!

Auf Corona angesprochen, bekommt man sehr ähnliche Antworten, wie oft auch bei uns: «Das ist alles Politik.» Am Samstag muss ich wieder zum PCR-Test. Danach werde ich mir mein endgültiges Urteil über meine Reise zum einzigen Eisspeedwayrennen bilden, das ich 2021 erleben durfte.

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