Postkarte aus Montreal

Kolumne von Mathias Brunner
Der Mont Royal, dahinter die Downtown

Der Mont Royal, dahinter die Downtown

Der Formel-1-Zirkus freut sich über die Rückkehr ins vibrierende Montreal.

Flug LX086 von Zürich nach Montreal. Wir fühlen uns wie in Abrahams Schoss, denn wir haben zahlreiche Schutzengel auf den Tragflächen sitzen – zusammen mit den Formel-1-Piloten Sebastian Vettel, Adrian Sutil, Nico Rosberg und Tonio Liuzzi, was soll da schon schiefgehen?

Die Fahrer schlafen ein wenig, lesen, schauen einen Film, lesen SPEEDWEEK. Hätten wir sie mit einer Umfrage behelligt, welcher Grand Prix von allen der Beliebteste ist, Montreal wäre garantiert der Favorit. (Knapp verfolgt von den Klassikern Monaco und Monza, ist Ihnen auch aufgefallen, dass alle coolen GP-Orte mit einem M beginnen?).

Die Stadt am St. Lorenz-Strom ist an Charme nicht zu überbieten, eine unübertroffene Mischung aus Nordamerika-Flair (Downtown), gepaart mit europäischem Flair (Altstadt). Der Legende zufolge erhielt die Stadt so ihren Namen: Der Franzose Jacques Cartier wurde 1535 von Irokesen des Dorfes Hochelaga (heute ein Stadtviertel Montreals) herumgeführt, hoch auf einen Hügel, wo der Europäer von der schönen Aussicht begeistert «Quel mont royal!» gerufen haben soll. Voilà!

Der Haushügel ist bis heute die grüne Lunge der Stadt, auf hunderten Wanderwegen spazieren die Menschen, um die Hektik einer Grossstadt abzustreifen. Nicht selten füttern sie aus der Hand die putzigen Eichhörnchen.

Montreal bietet alles, was das Herz begehrt: Atemraubende Architektur, ein kulturell berauschendes Angebot, 5000 Restaurants (fünftausend, kein Schreibfehler), und natürlich ist Montreal sportverrückt. Das beginnt beim Nationalsport Eishockey und führt schon bald zum Rennsport auf der künstlich angelegten Insel Notre-Dame, auf dem Circuit Gilles Villeneuve.

Während in Istanbul die Taxifahrer mit den Schultern zucken, wenn man sie auf den Formel-1-WM-Lauf anspricht, atmet hier in Montreal jeder Formel 1. Kein Geschäft an der Einkaufsstrasse Sainte-Cathérine, die nicht ein Rennauto im Schaufenster stehen oder ein Poster aufgehängt hat.

Nach der schmerzlichen Pause im vergangenen Jahr rechnen die Organisatoren mit weit mehr als 300000 Zuschauern, so viel würden in der Türkei nicht in den nächsten zehn Jahren kommen, doch zum Glück ist dieses Trauerspiel am Bosporus bald ausgestanden.

Keine Stadt umarmt die Formel 1 so wie Montreal. Die Leute fiebern der Veranstaltung entgehen, ganze Strassenzüge sind gesperrt, Bühnen aufgerichtet, bald rocken hier einige der besten Musiker Kanadas, während ein vergnügungsfreudiges, offenes, friedliches Publikum den Sommer geniesst. Im Restaurant «Newtown» von Jacques Villeneuve reicht die Liste von Anfragen von hier bis Toronto, einen Tisch an diesem Wochenende zu erhalten, ist ungefähr so leicht, wie die Formel-1-Rekorde von Michael Schumacher zu knacken.

Gewöhnungsbedürftig ist einzig die Sprache der Franko-Kanadier. Als ich 1982 das erste Mal zum Grand Prix hier war, besuchte ich einen Buchladen und kaufte mich schwindelig. Die Kassiererin tippte den Preis  Buch für Buch durch, um am Ende zu sagen: «Senk-sonk-senk-sont-senk-virgül-soissantö-senk.» Ich verstand kein Wort und legte einfach so lange Scheine hin, bis sie zufrieden war.

Montreal, das ist nicht nur eine sensationelle Stadt, das sind in der Regel auch sensationelle Rennen. Hitze, Kälte, Regen, Überschläge, Abbrüche, wir haben hier schon fast alles erlebt, grosse Siege, wie den einzigen GP-Triumph von Jean Alesi («beim Bremsen flogen meine Freudentrännen INNEN ans Visier»), Kuriositäten wie die Kollision ausgangs Boxengasse mit Hamilton und Räikkönen, Horror-Sekunden wie der Unfall von Robert Kubica im BMW-Sauber, was einem gewissen Sebastian Vettel den ersten GP-Einsatz erlaubt hat. Es passt zum Märchen Montreal-GP, dass der Pole ein Jahr nach seinen ersten Grand Prix gewann.

Montreal hat einen Formel-1-Vertrag bis Ende 2014, mit einer Option auf weitere fünf Jahre. Promoter François Dumontier, der Mann, der den Kanada-GP zurückgebracht hat: «Wir wollen, dass unsere Besucher die Rennstrecke und die Stadt mit einem Lächeln verlassen.»

Das werden sie, François, keine Sorge ...

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