Lewis Hamilton: Der Unersättliche will noch mehr

Von Mathias Brunner
Lewis Hamilton zeigte in China eine eigene Kleiderlinie

Lewis Hamilton zeigte in China eine eigene Kleiderlinie

​​Der Engländer Lewis Hamilton (33) ist nach 2008, 2014, 2015 und 2017 zum fünften Mal Formel-1-Weltmeister. Keiner wird bestreiten: Wie im vergangenen Jahr hat der beste Mann den Titel geholt.

2002 schaffte Michael Schumacher, was viele Rennfans nicht für möglich gehalten hätten: Mit seinem dritten Titel für Ferrari machte sich der Kerpener zum fünffachen Weltmeister – gleich viele Titel also, wie der legendäre Juan Manuel Fangio in den 50er Jahren geholt hatte. Michael war damals noch nicht ganz fertig: 2003 und 2004 legte der Ferrari-Star nach, am Ende stand Schumi bei sieben Titeln.

Lewis Hamilton ist Formel-1-Weltmeister 2018. Zum fünften Mal nach 2008 (damals mit McLaren) sowie 2014, 2015 und 2017 (im Silberpfeil). Wäre ihm 2016 nicht Nico Rosberg vor der Sonne gestanden, Hamilton hätte in der neuen Turbo-Ära einen glatten Durchmarsch gezeigt.

Der 33jährige Engländer ist nun der dritte Fahrer, dem fünf WM-Titel gelungen sind. Hamilton fünffacher Weltmeister wie Juan Manuel Fangio, Lewis selber sagt dazu: «Allein der Gedanke ist unwirklich, verrückt, unfassbar.»

Hamilton hat einem anderen Piloten den fünften Titel verwehrt, Sebsatian Vettel. Keiner wird mir widersprechen, wenn ich hier festhalte: Der beste Mann hat 2018 gewonnen, so wie es sein sollte. Es sind nicht so sehr die Pole-Positions, besten Rennrunden und Siege, die mich tief beeindruckt haben, es ist vielmehr die Fehlerquote. Oder der Mangel einer solchen. Denn während Vettel einige Male patzte und so die Titelchance verringerte, fuhr Hamilton auf gleichbleibend hohem Niveau.

Hamilton hat alleine in dieser Saison neun Pole-Positions erobert. Er hat in der ewigen Bestenliste die Formel-1-Legenden Ayrton Senna und Michael Schumacher weit hinter sich gelassen.

Hamilton hat neun Saisonrennen gewonnen und steht bei 71 Siegen. Nur Michael Schumacher (91 Siege) liegt vor ihm. Vor allem hat er von Deutschland bis Japan von sieben Rennen sechs gewonnen.

Hamilton ist 2018 nur einmal ausgefallen, als ihn sein Silberpfeil in Österreich im Stich liess. Schlechteste Platzierung in dieser Saison: Rang 5 in Kanada. In den 18 Rennen, bei welchen er eine Zielflagge sah, stand er 15 Mal auf dem Podest.

Nach der Sommerpause 2017 war Mercedes-Star Hamilton fast nicht zu schlagen: sechs Rennen, fünf Siege (Belgien, Italien, Singapur, Japan sowie Texas), dazu ein zweiter Rang (Malaysia). Dann folgte der Titel in Mexiko nach einem merkwürdigen Rennverlauf. 2018 ist ein Abziehbild davon: Knappe Niederlage gegen Vettel in Belgien, dann aber vier Siege in Folge und Dritter in Texas.

Vettel und Ferrari konnten dagegen seit Ende August kein einziges Rennen mehr gewinnen. Das ist einfach zu wenig gegen einen so bärenstarken Hamilton.

Der neue Lewis Hamilton

Lewis Hamilton polarisiert. Viele Fans können mit dem ganzen Rapper-Gehabe, den bunten Klamotten und dem Bling-Bling von Ketten, Ohrsteckern oder Nasenringen wenig anfangen. Sie finden es albern, wenn sich Hamilton als Model versucht, Kleiderlinien entwirft oder mit Musikern abhängt. Aber es sind genau solche Facetten, welche aus Hamilton einen echten Star machen.

Ohne den nervenzermürbenden Kampf gegen Nico Rosberg ist Hamilton aufgeblüht. Er wirkt lockerer als früher. Er geniesst den Zweikampf mit Sebastian Vettel. Der Deutsche sagt: «Wir sind komplett verschieden. Aber uns verbindet eine tiefe Liebe zu unserem Sport. Darauf gründet der grosse, gegenseitige Respekt.»

Die Fans spüren instinktiv: Lewis Hamilton macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. Ich fand es berührend, wie er in Singapur 2017 über seine Ansichten zur Welt sprach oder in den Sommerferien mit Kumpels eine Meeresbucht von Plastikabfall befreite. Der von Latexhandschuhen geschützte Hamilton hat Mitte August Videos und Bilder gepostet und schimpfte auf seinen sozialen Kanälen: «Leute, ich möchte, dass ihr euch dessen bewusst seid, was ihr mit dem ganzen Plastik anrichtet, den ihr kauft und dann wegschmeisst. Der landet hier, es ist wirklich eklig. Ich bin an einem der so vielen schönen Orte dieser Erde, und dann sind wir über diese Schweinerei gestolpert. Wir konnten nicht einfach wegschauen, wir mussten etwas machen. Wir alle müssen handeln, wir müssen aufhören, Firmen zu unterstützen, die blind auf ihren Profit fixiert sind – zu Lasten unseres schönen Planeten. Was wir kaufen, das endet an einem solch verdammten Ort am Meer.»

«Wo immer ihr auf der Welt seid und einkaufen geht – seid euch bewusst darüber, was ihr kauft und wie es eingepackt ist. Benutzt Papiertüten. Kauft nichts von Arschloch-Firmen, die Geld scheffeln und die Welt versiffen. Wir müssen uns anstrengen, wir müssen gewissenhaft sein und streng. Ich will in der Formel 1 und bei Mercedes-Benz bewirken, dass Tausende von Menschen kein Plastik mehr kaufen und sicherstellen, dass ihr Müll am richtigen Ort landet. Sagt es euren Freunden, erzählt es jedem weiter.»

Arschloch-Firmen, das ist starker Tobak. In Zeiten politischer Korrektheit kommt das in aller Öffentlichkeit den wenigsten Sportlern über die Lippen.

In den sozialen Netzwerken wurde die Aufräumaktion als scheinheilig gebrandmarkt. Aber so berechnend ist der Engländer nicht. Hamilton redet und handelt spontan und mit ganzer Seele. Er bietet eben mehr als jenes Marketing-Gewäsch, welches wir von anderen Piloten als Dutzendware aufgetischt erhalten. Hamilton kann sich offenbaren. Das ist in der Formel 1 selten. Solche Offenheit braucht Selbstbewusstsein und Mumm. Keiner muss Meinungen teilen, die Hamilton von sich gibt. Aber ich empfinde Respekt dafür, dass er frei von der Leber weg spricht, wenn ihm etwas wichtig ist.

Jetsetter Lewis Hamilton: «Ich bin kein Playboy»

Hier eine Modeschau in Mailand oder Paris, da ein Dinner mit einer Sängerin oder einem Supermodel in New York, ab ins Musikstudio nach Los Angeles, dann weiter nach Shanghai zur Präsentation der eigenen Modelinie. Lewis Hamilton ist im Grunde der einzige richtige Formel-1-Star, ein echter Jetsetter.

Er selber jedoch sagt von sich: «Ich führe kein Playboy-Leben. Ich trainiere mindestens so hart wie die Anderen. Ich weigere mich einfach, ein fades Dasein zu fristen, nur weil ich Rennfahrer bin. Da gibt es eine Schablone, die irgendeiner mal für einen Rennfahrer entworfen hat. Du musst ein Spiesser sein und hübsch in die Schachtel des Modellrennfahrers passen, leider steht auf dieser Schachtel „stinklangweilig“. Mach ja nichts Anderes als Tag und Nacht an den Rennsport zu denken! Ja kein Spass, ja kein Lächeln! Da komme ich mir vor, als wäre mir geraubt worden, normal heranzuwachsen. Ich hängte nicht mit Kumpels ab, ich war ständig auf den Sport fokussiert, immer pflichtbewusst, immer ernsthaft.»

«Ich probiere heute gerne Neues aus. Doch ich bin deswegen nicht weniger auf meinen Job konzentriert als meine Arbeitskollegen. Sie leben vielleicht anders. Sie gehen nach einem GP-Wochenende nach Hause, du triffst sie nicht bei Veranstaltungen. Aber ich trainiere mindestens gleich viel wie sie, wenn nicht härter, auch wenn ich noch all das andere Zeugs mache.»

Seine scheinbare Ruhelosigkeit erlärt er so: «Ich habe all diese Energie. Ich trainiere, ich reise, ich lerne mehr über Musik und über Mode, ich lese sehr viel. Ich will nichts verpassen. Ich will alles kosten. Wenn ich mit Jay-Z oder Pharrell Williams ins Studio gehen kann, dann pack ich die Gelegenheit beim Schopf. Warum nicht? Ich mag es, in Gesellschaft wahrer Grösse zu sein.»

Aus einem Programm, das andere Fahrer auslaugen würde, bezieht Hamilton Energie.

In China meinte Lewis, vor Beginn der Modeschau mit seinen Kleidern sei er nervöser gewesen als vor dem Start eines Grand Prix. Wenn er von solchen Momenten spricht, leuchten seine Augen, seine Freude ist ansteckend und eine Wohltat im Haifischbecken Formel 1.

Apropos – über die Formel 1 sagt Hamilton: «Ich könnte ganz leicht aufhören. Ich habe mehr erreicht, als ich mir je erträumt hatte. Aber ich bin noch immer hungrig.»

Für die Formel-1-Grossaktionäre von Liberty Media ist Lewis Hamilton ein Geschenk des Himmels. Kein Fahrer hat mehr Anhänger in den sozialen Netzwerken, keiner postet fleissiger, keiner lebt das Image des Formel-1-Weltstars so konsequent und intensiv.

Immer wieder höre ich, dem modernen GP-Sport mangle es an echten Typen. Ich gestatte mir, zu widersprechen.

Lewis Hamilton, der sich eine Goldkette um den Hals hängt, seinen Körper zum Tattoo-Gesamtkunstwerk verändert, Bilder von seinen Hunden ins Netz stellt oder von coolen Autos, der auf dem Piano herumklimpert, mit einem Tiger schmust, Modewochen besucht, sich die Haare blondiert oder zum Irokesen schneidet, mit einigen der schönsten Frauen der Welt am Arm anzutreffen ist und so zwischendurch die Konkurrenz in Grund und Boden fährt – also, wenn das bitteschön kein Typ ist, wer dann?

Seit Hamilton die Zwangsjacken namens Ron Dennis, Nicole Scherzinger und Nico Rosberg abgelegt hat, wirkt er glücklich. Er geniesst ganz offensichtlich, was er tut. Niemand sagt ihm wie früher bei McLaren, ob er seine Serviette beim Essen jetzt nach links oder nach rechts gefaltet sein soll.

Mercedes führt Hamilton an der langen Leine. Teamchef Toto Wolff ist Pragmatiker: So lange Hamilton auf der Piste Leistung bringt, ist sein Privatleben – so durchgeknallt es hin und wieder auch scheinen mag – wirklich sein Privatleben. Wolff: «Wenn Hamilton Freude an all dem hat, was er so macht, warum sollten wir ihn daran hindern?»

Der kleine Bub aus Stevenage

Bei aller Reife ist Lewis Hamilton im Kern der kleine Bub aus Stevenage geblieben. Dieses Glitzern in den Augen, wenn er von einem Erlebnis schwärmt wie etwa vom Kartfahren mit Kids, samt Herumblödeln für alberne Instagram-Fotos, diese Verletzlichkeit, wenn er einen Tiefschlag verdauen muss und offen darüber redet – Hamilton ist stets sich selber treu, zum Glück für uns ist er ein miserabler Schauspieler.

Die Formel 1 soll Emotionen wecken. Fahrer, die mit eintöniger Stimme einstudierte Floskeln von sich geben, wecken keine Emotionen. Hamilton wird von vielen verehrt, von anderen verschmäht. Aber er lässt keinen kalt.

Inzwischen ist Lewis also bei fünf WM-Titel angekommen. 2019 und 2020 ist er bei Mercedes unter Vertrag. Über die Zeit danach hat er gesagt: «Wenn die Formel 1 des Jahres 2021 mit solch futuristischen Geschossen gefahren wird, wie auf Grafiken zu sehen war, dann will ich eines dieser Geschosse fahren.»

Was kann Hamilton also noch alles erreichen?

Hamiltons Landsmann Nigel Mansell meint: «Lewis Hamilton wird nur von einem Faktor beschränkt – nämlich von sich selber. Wenn das innere Feuer bleibt, wenn er sich weiter so motivieren kann, dann gibt es für Hamilton fast keine Grenzen.»

Lewis’ Vater Anthony glaubt: «Es wird alles davon abhängen, wie lange er inneres Feuer spürt. Er ist ein extrem wettbewerbsorientierter Mensch, er liebt das Gefühl, ein Sieger zu sein. Daher glaube ich, wird er noch viele Jahre fahren.»

Lewis Hamilton hat ein paar Mal davon gesprochen, dass er von heute auf morgen etwas ganz Anderes machen könnte. So richtig glauben will ich ihm das nicht. Aber da spricht auch der Fan aus mir. Ich finde es schon schade genug, dass wir Fernando Alonso verlieren. Wer über die moderne Formel 1 nörgelt, sollte bedenken: Wir haben das Privileg, Fahrer wie Hamilton, Vettel und Alonso zu sehen. Sie prägen diese Epoche wie Schumacher die Formel 1 vor 15 Jahren, wie Senna und Prost davor, wie Stewart und Clark davor, wie Fangio in der Formel-1-Steinzeit. Wir haben das Privileg, den Besten unserer Epoche über die Schulter zu schauen. Statt zu nörgerln, sollten wir das wertschätzen.

Lewis Hamilton bedauert nur eines: Dass der WM-Kampf gegen Sebastian Vettel nicht bis zur letzten Kurve der letzten Runde des letzten Rennens in Abu Dhabi gedauert hat. Denn genau von diesen Duellen lebt der Engländer. Sich am Ende durchbeissen, das entspricht voll und ganz der Lebenseinstellung Hamiltons. «Still I rise» ist nicht zufällig farbig in seine Haut geschossen oder steht hinten auf seinem Helm – an Widerständen wachsen, das taugt ihm, das peitscht ihn vorwärts.

Und der Unersättliche will noch mehr.

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