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Tragödie in Imola 1994: Als die Sonne vom Himmel fiel

Von Gerhard Kuntschik
​Es waren Tage, welche die Sportwelt erschütterten: Vor 25 Jahren starben am Grand-Prix-Wochenende von Imola Roland Ratzenberger in der Qualifikation und Ayrton Senna im Rennen.

Zwei Todesopfer in Imola, dazu der schwere Unfall von Rubens Barrichello im Freitag-Training, darüber hinaus die Beinahe-Katastrophe am darauf folgenden Rennwochenende in Monaco, mit dem Bangen um Karl Wendlinger: Da wusste Max Mosley, Präsident des Automobilverbandes FIA, dass es höchste Zeit war zu handeln.

Noch in Monaco verkündete Mosley gravierende Änderungen zur Verbesserung der Sicherheit, Änderungen, welche die Formel 1 veränderten. Eine Chronologie des vor 25 Jahren Erlebten in einer Saison, in der 46 Fahrer in 14 Teams antraten und Gerhard Berger in Hockenheim Ferrari den ersten Sieg seit vier Jahren bescherte. Und in der schon in den Wintertests JJ Lehto so schwer verunfallte, dass ihn Jos Verstappen ersetzen musste.

8. März, Imola
Der letzte Test vor dem Saisonbeginn. Erstmals seit 1984 sind drei Österreicher dabei: Gerhard Berger (Ferrari), Karl Wendlinger (Sauber) und der Debütant Roland Ratzenberger – der sich in Formel 3000 und vor allem im Langstreckensport als Toyota-Werkfahrer einen Namen gemacht hat. Der Salzburger fiebert seinem Formel-1-Debüt entgegen, das Ende März im Saisonauftakt mit einer verpassten Qualifikation in São Paulo im unterlegenen Neulings-Team Simtek nicht zufriedenstellend ausfällt. Beim zweiten WM-Lauf, dem Pacific-GP in Aida (Japan), qualifiziert er sich und wird Elfter. Ayrton Senna, als WM-Favorit im Weltmeisterauto Williams unterwegs, scheidet zwei Mal aus, während Michael Schumacher seinen Benetton zwei Mal als Erster ins Ziel fährt. Der Druck auf Senna ist enorm.

28. April, Imola
Ratzenberger hat in seinem Porsche den Benetton-Piloten JJ Lehto aus Monaco mit ins Autodrom Enzo e Dino Ferrari genommen. Im Interview am Nachmittag im Simtek-Motorhome gibt er sich nach Rang 11 in Japan voll motiviert, brennt darauf, seinen Stallgefährten David Brabham zu schlagen, trotz minderwertigen Materials. Denn Ratzenberger bemerkte schon: Das beste Material wie Karbonbremsen bekommt der Australier, Sohn des Ex-Weltmeisters und 20-Prozent-Eigentümers Sir Jack Brabham. «Simtek hat schon jetzt Geldprobleme, aber ich weiss, ich kann mich durchsetzen», sagt Roland.

29. April, Imola
Rubens Barrichello fliegt mit seinem Jordan, von den Randsteinen ausgehebelt, in der Zielschikane in die Fangzäune, ist kurz bewusstlos, kommt aber mit gebrochener Nase, Abschürfungen und Prellungen davon. Ein Vorzeichen der Katastrophe erkennt fast niemand. Senna ist noch optimistisch: «Für mich beginnt die Saison hier mit zwei Rennen Vorgabe», sagt der brasilianische Super-Star.

30. April, mittags, Imola
Kollege Gerald Pototschnig (Kleine Zeitung) führt in der Mittagspause mit Roland ein Interview – das letzte. Um 12.40 Uhr bricht Ratzenberger, etwas unruhig, ab und sagt: «Ich habe keine Zeit mehr, machen wir das nach dem Qualifying fertig.» Stunden später schaudert es uns, als wir an diese Worte zurückdenken.

30. April, nachmittags, Imola
Um 13.22 Uhr bricht Ratzenbergers Simtek in der Villeneuve-Kurve bei 306 km/h aus, als ein vermutlich in der Vorrunde beschädigter Teil des Frontflügels bricht. Der Wagen dreht sich in die Mauer und wird zurückgeschleudert. Der taumelnde Kopf des Salzburgers lässt Schlimmstes erahnen. Wir eilen zum Streckenspital, es gibt vorerst keine Nachrichten, nur sehr ernste Mienen.

Neben mir wartet unser langjähriger Kollege, Fotograf Michael Glöckner, der nur leise sagt. «Ich weiss, was du jetzt fühlst. So erging es mir 1986 in Le Mans.»„ Glöckner war ein enger Freund des dort verunglückten Jo Gartner. Als eine halbe Stunde später der Hubschrauber mit Roland ins Maggiore-Spital von Bologna abhebt, ist die Hoffnung gleich null. Die Klinik bestätigt den Tod des 33-Jährigen.

FIA-Rennarzt Sid Watkins wird sich später erinnern: «Ayrton brach zusammen, als er die News hörte, und weinte an meiner Schulter.» Der Engländer wollte dem dreifachen Weltmeister von einem Start am Sonntag abraten, doch Senna meinte: «Es gibt Dinge, über die wir keine Kontrolle haben. Ich kann nicht aufhören, ich muss weitermachen.» Er sollte Sonntag von der Pole-Position starten, vor Schumacher und Berger.

30. April, Salzburg
Rudi und Margit Ratzenberger, Rolands Eltern, kehren gegen Mittag aus einem Urlaub zurück. Sie hatten sich bisher für Motorsport und Rolands Karriere kaum interessiert. Rudi dreht den Fernseher auf und sieht in Eurosport die schrecklichen Bilder.

1. Mai, Imola, vormittags
Senna hatte sich schon früher über den Rookie Ratzenberger bei seinem Salzburger Physiotherapeuten Josef Leberer erkundigt. «Ich sollte die beiden bekanntmachen, Ayrton hatte von Roland sehr gute Eindrücke, wollte ihn näher kennenlernen», erzählt Leberer, doch dazu kommt es nicht mehr. Senna lässt sich von Leberer eine kleine rotweissrote Fahne organisieren, die er mit ins Cockpit nimmt – und die er auf der Auslaufrunde nach dem Rennen für Roland schwenken will.

1. Mai, Imola, Nachmittag
Bei der Startkollision, als Pedro Lamy den stehengebliebenen Benetton von Lehto trifft, fliegen Teile durch die Luft, über den Zaun und verletzen neun Zuschauer. Das Safety-Car wird eingesetzt, gibt nach fünf Runden das Rennen frei. Nach zwei Runden bricht Sennas Williams um 14.17 Uhr in der gefürchteten Tamburello-Kurve aus und rast mit 211 km/h in die Mauer. Als Ursache wird bis heute eine gebrochene Lenkstange vermutet. Oder das Aufsetzen des Autos auf den gefürchteten Bodenwellen, mit Reifen, deren Druck in der Gelbphase viel zu niedrig geworden war. Eine Strebe der Radaufhängung durchbohrt Sennas Helm und verletzt ihn tödlich. Der Brasilianer wird ins Streckenspital und später in die Maggiore-Klinik gebracht und um 18.40 Uhr für tot erklärt – zweieinhalb Stunden, nachdem Schumacher das nach dem Abbruch wieder aufgenommene Rennen gewonnen hat.

2. Mai, Monaco
Gerhard Berger lässt Journalisten wissen, über Rücktritt nachzudenken. Sennas Tod sei für ihn, «als wäre die Sonne vom Himmel gefallen».

6. Mai, Salzburg
Begräbnis von Roland unter grosser Anteilnahme von Kollegen (Berger, Wendlinger, Lauda, Herbert, Frentzen) und des FIA-Präsidenten Mosley.

11. Mai, Monaco
Gerhard Berger erklärt, er werde doch weiter Formel 1 fahren.

12. Mai, Monaco
In der letzten Minute des ersten Trainings verunglückt Karl Wendlinger im Sauber in der Hafenschikane und erleidet schwere Kopfverletzungen. Er liegt 19 Tage im Koma, erholt sich aber wieder.

Epilog, Frühjahr 2019
Rudi und Margit Ratzenberger empfangen in ihrer Salzburger Wohnung noch immer Freunde und Kollegen Rolands, bekommen Post aus der ganzen Welt, vor allem aus Japan. «Ich spreche mit Medien, weil ich die Erinnerung an Roland nicht auch sterben lassen will», sagt der 85-jährige Vater. Das Grab im Salzburger Stadtteil Maxglan ist mit frischen Blumen geschmückt.

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