Ayrton Senna: Ein ganz persönlicher Rückblick
Der Mensch Ayrton Senna war ganz anders als der Fahrer
Das erste Mal, dass sich der damalige Rookie Ayrton Senna da Silva für mich unvergesslich bemerkbar machte, war das Saisonfinale 1984 in Estoril, in dem es zwischen Niki Lauda und Alain Prost um den WM-Titel ging – und Lauda nach verpatzter Qualifikation (Startplatz 11) eine Aufholjagd starten musste. Lang biss sich Niki die Zähne im Kampf um Platz 3 an diesem Jungspund im unterlegenen Toleman-Hart aus, ehe er an Senna vorbeikam.
Was Senna nicht passierte – ein Fahrfehler im Kampf gegen Lauda – geschah daraufhin mit Nigel Mansell, was Lauda Platz 2 und die nötigen Mindestpunkte hinter Sieger Prost brachte. Senna erklomm als Dritter das Podest, 6,5 Sekunden hinter Lauda ins Ziel gekommen.
Von da an hatte ich Senna stets im Blickfeld. Und ich durfte viele Erfolge des Ausnahmekönners aus Brasilien miterleben. Er gewann drei WM-Titel und feierte in 161 Rennen 41 Siege. Es hätten noch viele mehr folgen können, wäre nicht Imola 1994 geschehen. Senna verunglückte in seiner elften Formel-1-Saison.
Sennas fahrerische Leistungen und sein immenses Talent waren unumstritten. Kaum ein anderer Fahrer bis dahin und auch nachher konnte solche Akzente auch mit unterlegenem Material setzen wie der Sohn wohlhabender Unternehmer aus São Paulo.
Im fünften Jahr in der Topklasse wurde er erstmals Weltmeister, gemeinsam mit McLaren-Teamkollegen Alain Prost wurden 15 der 16 Saisonrennen gewonnen – nur Ferrari-Star Gerhard Berger durchbrach in Monza die Siegesserie McLarens.
Am trainingsfreien Freitag des Monaco-GP 1989 hatte ich meinen ersten Exklusivtermin bei Ayrton, in dessen Appartement über dem alten Hafen von Monaco. Ermöglich hatte das Interview Sennas persönlicher Betreuer Jo Leberer, der Salzburger Physiotherapeut (der auch heute noch bei Alfa Romeo tätig und mittlerweile ein Methusalem im Fahrerlager ist). Ich brachte unseren Fotografen Michael Glöckner mit.
Als Senna öffnete und Michael sah, meinte er barsch: «Ein Fotograf war nicht ausgemacht.» Ja, entgegnete ich, aber so ein Interview ohne Foto-Dokumentation, das ginge wohl schlecht. Senna war einsichtig: «Fotos nur auf dem Balkon, nicht in der Wohnung.» Die waren dann, mit dem Hafen und dem Palast im Hintergrund, ohnedies die besseren.
Die 20 vereinbarten Minuten dauerten eine Dreiviertelstunde. Wir lernten einander kennen. Von da an war Senna für mich fast immer ansprechbar.
Schon nach dem ersten von vielen folgenden Interviews war klar: Der Mensch Senna ist ganz anders als der Fahrer, sobald er das Visier heruntergeklappt hat. Mit Senna konnte man über vieles abseits der Formel 1 und des Rennsports sprechen. Er war feinfühlig, hintergründig, überlegt, nie belehrend, aber seine Standpunkte stets betonend.
Senna hatte ein breites Wissen und viele Interessen. Und er änderte sich auch nach den drei WM-Titeln (1988, 1990, 1991) nicht, genauso wenig wie im Kampf gegen überlegene Gegner wie Williams 1992/93. Als Pilot war er brutal, kannte kein Zurückstecken, war risikobereit. Er wollte immer der Beste sein. Fast immer war er es.
Bei den Wintertests Anfang März 1994 in Imola standen wir morgens in der Williams-Box. Sennas Auto war noch nicht einsatzbereit. Er hatte Zeit. Wir plauderten. Was er von der neuen Saison erwartete, wie es ihm im Winter erging, was ich so gemacht hätte. Senna war entspannt. Die «Gefahr» Michael Schumacher war noch nicht in Sichtweite.
Nicht einmal zwei Monate später, nach zwei Schumacher-Siegen und zwei Senna-Ausfällen, war der Druck in Imola riesengross. Das Unglück nahm seinen Lauf. Rubens Barrichellos schwerer Freitag-Unfall und Roland Ratzenbergers Todessturz am Samstag liessen Senna zweifeln und fast verzweifeln. Doch er wischte den Rat von Rennarzt Sid Watkins, doch aufzuhören, weil er alles erreicht hätte, vom Tisch.
Was wäre gewesen, hätte Senna Imola 1994 überlebt, ist eine oft gestellte Frage ohne Antwort.