Miami-GP: Diese neue Formel 1 begeistert die Fans
Miami hat die Formel 1 mit offenen Armen empfangen. «Diese Elektrizität habe ich in einer GP-Stadt selten gespürt», sagte Superstar Fernando Alonso, stellvertretend für seine Fahrerkollegen. Südflorida reiht sich würdig in die grossen, charismatischen M des Formel-1-Kalenders ein – Melbourne, Miami, Monaco, Montreal, Monza.
Ich weiss noch, wie ich vor Jahren beim Grand Prix der USA in Phoenix (Arizona) den Taxifahrer am Flughafen bat, mich bitteschön zur Rennstrecke zu bringen. Wir endeten auf einer Anlage für Hunderennen. Das kann einem in Miami nicht passieren – jeder in dieser Stadt wusste haargenau, was an diesem Wochenende beim Hard Rock-Stadion abgeht.
Ich habe in der Stadt zahlreiche Menschen getroffen, die sagen: «Wir kannten die Formel 1 kaum, aber seit der Netflix-Serie ‘Drive to Survive’ ist das anders. Jetzt gucken wir uns jedes Rennen an.»
Man muss sich das mal vorstellen: Am Mittwochabend vor dem Rennen kamen 10.000 Fans zum Hard Rock-Stadion in der Gemeinde Miami Gardens, um eine Fahrerpräsentation zu erleben mit anschliessendem Konzert des norwegischen DJ Kygo, der richtig Kyrre Gørvell-Dahll heisst.
Tom Garfinkel, Geschäftsleiter des Hard Rock-Stadions, hatte gegenüber SPEEDWEEK.com am Mittwoch vor dem Rennen versprochen: «Wir wollen hier etwas auf die Beine stellen, was für Fans, Fahrer und Teams einzigartig ist. Im Zentrum dabei steht aber nicht der Glamour, sondern das Ziel, eine Rennstrecke zu bauen, welche den Piloten alles abfordert.»
Garfinkel und Strecken-Designer Clive Bowen haben Wort gehalten. Im Training zeigte sich – die Rennstrecke ist schwierig, mit einem eigenwilligen Belag, der die Fahrer verblüfft hat. Schon am Freitag rutschten die Piloten reihenweise von der Bahn, die raue Oberfläche ging auf die Vorderreifen, neben der Ideallinie bildete sich eine fiese Schicht aus Reifenabrieb und Rollsplit. Da war hochpräzises Fahren gefragt.
Der Brite Clive Bowen hatte am Mittwoch festgehalten: «Wir wollten eine schwierige Strecke, mit Passagen, die wir scherzhaft als Fehler-Erzeuger bezeichnen.» Dieser Plan ist aufgegangen, auch wenn an einigen Stellen nachgebessert werden muss. So betonten Esteban Ocon und Carlos Sainz völlig richtig, dass der knifflige Bereich in Kurve 14 mit TecPro-Barrieren gesichert werden muss.
Die Fahrer kamen tüchtig ins Schwitzen, und das lag nicht nur an viel Sonne und hoher Luftfeuchtigkeit. Lewis Hamilton und Sebastian Vettel stöhnten: «Das erinnert an Malaysia und Singapur.» Das galt auch für die Niederschläge: Am Mittwochabend schüttete es wie aus Kübeln, Sicht bei Tempo 30 km/h gleich null.
Aber auch daran haben die Pistenbauer gedacht: Kein Bundesstaat ist flacher als Florida, aber die neue Rennstrecke ist nie ganz eben, sondern führt leicht hoch und runter oder ist seitlich in beiden Richtungen geneigt.
Tom Garfinkel: «Ich sehe es als Ehre an»
Tom Garfinkel arbeitete früher für Chip Ganassi als Vize-Präsident jenes Rennstalls, der Autos in der NASCAR-Serie, bei den IndyCars und in der TransAm auf die Bahn brachte: «Ich weiss es zu schätzen, wie besonders die Formel 1 ist. Ich sehe es als Ehre an, die Königsklasse hier nach Miami zu bringen. Und ich glaube, wir haben sie hier gebührend ins Schaufenster gestellt.»
«Wir wussten immer – im Zentrum muss eine Bahn sein, die packenden Sport begünstigt. Das zweite Ziel bestand darin, eine Stimmung wie in Disneyland zu schaffen, denn Rennsport ist zwar der Kern, aber es geht auch um das ganze Drumherum. Die Fans sollen die Möglichkeit haben, hier mit Freunden Musik zu hören und ihre Zeit zu geniessen. Die Besucher sollen auf der Anlage wirklich einen Miami-Geschmack erhalten. Wir wollen uns von den 22 anderen Strecken abheben.»
Das ist gelungen: Ein Strand mit Liegestühlen im Sand, zwei Pools direkt an der Strecke, in welcher sich Meerjungfrauen tummeln, eine Fake-Marina mit Yachten, eine Formel-1-Strecke mit Gondelbahn, Miami bot ungewöhnliche Perspektiven, angefangen mit dem spektakulären Hard Rock-Stadion.
Natürlich lief nicht alles reibungslos. Ich habe in bald 40 Jahren Formel 1 keinen einzigen neuen WM-Lauf erlebt, bei welchem auf Anhieb alles funktioniert hätte. Die Verkehrsführung muss optimiert werden, viele Ordnungshüter waren vorbildlich hilfsbereit, doch zu wenig informiert und ab und zu rundweg überfordert. Aber was hier im ersten Jahr geboten wurde, ist überaus eindrucksvoll. Die Amerikaner haben ihre Hausaufgaben gut gemacht.
Tom Garfinkel sagt weiter: «Es gibt einen anderen Aspekt, der mir sehr am Herzen liegt. Ich wollte die Gemeinde Miami Gardens mit einzubeziehen. So haben wir verschiedene Förderprogramme ins Leben gerufen. Ich will in zehn Jahren hier auf dieser Bühne stehen zusammen mit Menschen, die von diesem Programm profitiert haben und dann ihren Weg bis in die Formel 1 gemacht haben.»
Themawechsel: Wo stehen wir nach fünf WM-Läufen?
Ein spannender Titelkampf mit Ferrari (Charles Leclerc) und Red Bull Racing (Max Verstappen), Mercedes in Lauerstellung, noch immer im Versuch, die Fahrwerksprobleme in den Griff zu bekommen. Erst dann wird aus einem WM-Zweikampf der Teams ein Dreikampf.
Ferrari muss an Speed auf den Geraden zulegen, den die überlegende Geschwindigkeit von Red Bull Racing gab in Miami den Ausschlag zum Sieg von Max Verstappen.
Danach ein Mittelfeld, im dem gilt, was Ferrari-Teamchef Mattia Binotto und RBR-Teamchef Christian Horner mit fast identischen Worten beschrieben haben: «Das Kräfteverhältnis im Feld wird ständig variieren. Es wird davon abhängen, wie gut sich ein Team am jeweiligen Wochenende auf die Bahn und die Verhältnisse einstellt. Dann wird eine wichtige Rolle spielen, wie effizient entwickelt wird.»
Die Rennwagengeneration 2022 sieht fabelhaft aus, erlaubt besseren Sport als die früheren Autos, die Formel-1-Leitung nutzt klug den Boom in Amerika, Miami bleibt mindestens zehn Jahre lang Teil des WM-Programms, ab 2023 kommt ein Nachtrennen in Las Vegas hinzu, mit identischer Laufzeit.
Formel-1-CEO Stefano Domenicali hat versprochen: «Wir werden immer einen Kern von Rennen in Europa haben, aber wir wollen uns in Amerika und Asien breiter aufstellen, wir wollen mit unserem Sport in aufregende Städte ziehen und dort den Fans ein Spektakel bieten.»
Wie das heutzutage geht, haben Tom Garfinkel und seine Mitarbeiter in Miami bewiesen.