Schweizer im Autosport: Auch ohne Rennstrecke stark

Von Mathias Brunner
Das Schweizer Parlament hat das im Strassenverkehrsgesetz verankerte Verbot von Rundstreckenrennen aufgehoben. Schweizer Rennfahrer mussten jahrelang ins Ausland ausweichen – mit viel Erfolg.

Als die Formel 1 im Jahre 1950 laufen lernte, bestand die erste WM-Saison aus nur sieben Rennen. Vier Austragungsorte sind heute noch im Grand-Prix-Kalender zu finden: Silverstone, Monaco, Spa-Francorchamps und Monza. Das Indy 500 blieb bis 1960 Teil der Formel-1-WM. Der Grosse Preis von Frankreich fand damals in Reims statt, heute in Le Castellet. Das siebte Rennen 1950 war der Grosse Preis der Schweiz auf dem gefährlichen Rundkurs von Bremgarten bei Bern.

Schon 1934 fand in Bremgarten der erste Grand Prix statt, damals gab es die Formel 1 noch nicht. Bremgarten blieb bis einschliesslich 1954 fester Bestandteil des Formel-1-WM-Programms. Der 11. Juni 1955 veränderte alles: Nach einer Kollision stürzte der Mercedes-Sportwagen des Franzosen Pierre Leveghe beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans ins Publikum, 84 Menschen verloren ihr Leben, die grösste Katastrophe im Motorsport. Die Schweiz reagierte mit der Absage des Grand Prix, 1957 wurde im Strassenverkehrsgesetz verankert, dass keine Rundstreckenrennen mehr stattfinden dürfen.

Das Verbot war immer umstritten, denn Rallyes, Bergrennen oder Motocross-Läufe blieben gestattet, auch Kartrennen wie in Wohlen (Aargau) oder Locarno-Mogadino (Tessin). Ausnahmebewilligungen gab es 2018 und 2019 für die Formel E in Zürich und in Bern. Auf dem knapp zwei Kilometer langen Circuit de Lignières bei Neuenburg (1961 gebaut) wurden Läufe zur Schweizer Motorrad-Meisterschaft gefahren. Lignières war jedoch von Anfang an als Fahrsicherheits-Zentrum konzipiert.

In den 1970er Jahren gab es wieder einen Grossen Preis der Schweiz, allerdings als nicht zur Formel-1-WM zählender Lauf in Dijon (Frankreich) 1975, passenderweise gewonnen von Ferrari-Star Clay Regazzoni.

Nun ist das Rundstreckenverbot in der Schweiz aufgehoben, ändern wird sich dadurch nichts, denn die Schweiz hat keine Rundstrecke, und der Bau einer neuen Anlage ist unrealistisch.

Pläne für einen Rundkurs in der Schweiz gab es immer wieder. Der Schweizer Politiker Ulrich Giezendanner rechnete vor, dass eine moderne Rennstrecke bis zu 2500 Arbeitsplätze schaffen und pro Jahr bis zu 70 Millionen Franken in die Kassen spülen würde. Aber Projekte am Bodensee, bei Interlaken und in der Westschweiz scheiterten alle an der Finanzierung, am mangelnden Raum, an der Zustimmung der Bevölkerung und am Umweltschutz.

Der Zürcher Nationalrat Andreas Gross – der in jungen Jahren mit seinem VW Käfer durch Europa getingelt war und sich sein Studium mit den Berichten von Autorennen finanzierte – brachte es auf den Punkt: «Für jede Aktivität braucht es einen geeigneten Platz. Die Formel 1 in Interlaken, das wäre wie eine Hochsee-Regatta mit der Alinghi auf dem Brienzersee.»

Schweizer Motorsportler wichen aus: Meisterschaftsläufe fanden auf Strecken in den umliegenden Ländern statt – Deutschland (vor allem Hockenheim), Frankreich (Dijon und Lédenon), Österreich (Spielberg) und Italien (Monza).

Rundstreckenrennen in der Schweiz blieben also von 1957 bis 2022 verboten, doch das hat zahlreiche Racer nicht daran gehindert, Karriere zu machen.

Grand-Prix-Fahrer aus nur 22 Nationen haben es geschafft, einen Formel-1-WM-Lauf zu gewinnen. In der Nationenwertung auf Rang 17: die kleine Schweiz. Ausgerechnet aus einem Land, in welchem Rundstreckenrennen verboten waren, kamen einige der wundervollsten Gasgeber, allen voran Jo Siffert und Clay Regazzoni, die zusammen sieben Formel-1-WM-Läufe gewonnen haben. Im Langstreckensport war Siffert mit Porsche oft unschlagbar.

Die Schweiz brachte es auf stattliche 32 Fahrer, die im Rahmen der Formel-1-WM angetreten sind. Herbert Müller triumphierte bei der legendären Targa Florio zwei Mal und gehörte auf der Langstrecke zur Weltspitze.

Heute so gut wie vergessen sind die Piloten aus den 1950er Jahren, wie Emmanuel «Toulo» de Graffenried (23 GP), Rudi Fischer (Zweiter beim Schweiz-GP 1952 und Dritter beim Grossen Preis von Deutschland im gleichen Jahr). Der Ingenieur Michael May startete 1961 bei nur zwei Rennen, wurde aber zum ersten Rennfahrer, mit einen Flügel auf sein Auto montieren liess.

Der Sportwagenhersteller und GP-Rennstallbesitzer Peter Monteverdi baute sogar einen Formel-1-Eigenbau. Silvio Moser bot der Konkurrenz mit kleinem Budget und grossen Kämperherzen die Stirn. In den 1970er Jahren trugen Jo Vonlanthen und Loris Kessel das Schweizer Kreuz, Marc Surer konnte nach seinem Formel-2-EM-Gewinn nach zwei schweren Unfällen mit Beinverletzungen nie zeigen, was er wirklich kann.

Später wurde die Schweiz in der Formel 1 durch den Tessiner Franco Forini, Gregor Foitek und Andrea Chiesa vertreten, nach Jean-Denis Delétraz und Sébastien Buemi (von 2009 bis 2011 55 Grands Prix) war Schluss, Neel Jani, Giorgio Mondini und Fabio Leimer fuhren Einsätze am Freitag vor den Rennen.

Marcel Fässler, Neel Jani und Sébastien Buemi triumphierten bei den legendären 24 Stunden von Le Mans, Buemi wurde 2014 sowie 2018/2019 Langstrecken-Weltmeister und holte in der Formel E den Titel 2015/2016.

Schweizer bauten einige der besten Rennmotoren der Welt: Mario Illien (bei Cosworth und später dann mit Ilmor) stand hinter zahlreichen Siegen in der Formel 1 und beim Indy 500, Heini Mader galt als verlässliche Anlaufstelle für leistungsstarke Motoren verschiedener Hersteller.

Hinter den Kulissen stellten die Rennleiter Peter Schetty (Ferrari) und Max Welti (Porsche) Weichen, so wie die Funktionäre Curt Schild und Paul Gutjahr oder Zeitnahmespezialist Jean Campiche.

Immer wieder traten Schweizer Rennställe an: Die Scuderia Filipinetti, Walter Brun mit EuroBrun (in der Formel 1 wenig erfolgreich, in der Sportprototypen-WM umso mehr), Peter Monteverdi, der den Onyx-Rennstall kaufte, Joachim Lüthi, der Mitte der 1980er Jahre den Brabham-Rennstall kaufte und später wegen Veruntreuung von 133 Millionen Dollar im Gefängnis landete.

Der erfolgreichste Rennstallbesitzer: Peter Sauber (78). Seine Arbeit als Hersteller von Rennsportwagen lockte Mercedes-Benz aus dem Racing-Ruhestand, Sauber-Mercedes gewann in Le Mans und die Langstrecken-WM. Die Sauber-Mercedes-Junioren Michael Schumacher, Karl Wendlinger und Heinz-Harald Frentzen machten Weltkarriere.

Mercedes war Steigbügelhalter zum «vernünftigen Schritt in die Unvernunft», wie Peter Sauber den Wechsel vom Sportwagen zur Formel 1 immer bezeichnet hat. Sauber wurde ein überaus erfolgreiches Privat-Team, beendete den Konstrukteurs-Pokal 2001 auf dem vierten Schlussrang. Von 2006 bis 2009 war BMW Besitzer des Teams, die Mannschaft aus Hinwil wurde WM-Zweiter 2007.

Nach dem Ausstieg von BMW erwarb Peter Sauber seinen Rennstall zurück, 2016 wurde das Team von der Schweizer Investment-Firma Longbow Finance übernommen, hinter welcher schwedische Investoren um den Milliardär Finn Rausing stehen. Heute tritt Sauber unter dem Namen Alfa Romeo an – noch immer mit dem Schweizer Kreuz auf dem in Hinwil (Zürich) hergestellten Rennwagen.

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