Nach Bahrain-GP: Wer soll Max Verstappen schlagen?
Max Verstappen liess es in Bahrain krachen
Bahrain International Airport, am frühen Morgen des Montags nach dem WM-Auftakt: Die ganze Nacht über sind Flieger aus dem Mittleren Osten Richtung Europa abgehoben, die meisten Mitglieder des Formel-1-Trosses werden bald zurück in England sein, in Frankreich, Italien und in der Schweiz, in jenen Ländern, wo die zehn Teams zuhause sind. Müde Gesichter reihum. Zwei Wochen mit Tests und GP-Wochenende haben geschlaucht.
Was können wir aus dem WM-Auftakt auf dem Bahrain International Circuit mitnehmen? Der stärkste Eindruck: Nach einem Zwischentiefim Training haben Max Verstappen und Red Bull Racing zu einer den Wintertests vergleichbaren Form zurückgefunden – Doppelsieg für RBR, es war der 23. in der Formel-1-Erfolgsgeschichte des Rennstalls aus Milton Keynes.
Aber Max ist zu lange in der Vollgasbranche, um sich in falsche Sicherheit zu wiegen. Der inzwischen 36-fache GP-Sieger sagt: «Jetzt wird es auf den schnellen Strassenkurs von Dschidda gehen, das ist eine ganz andere Schuhnummer als Bahrain. Ich glaube, wir sind mit diesem Wagen generell gut aufgestellt, für jeden Streckentyp. Doch die Form der verschiedenen Teams wird von Piste zu Piste variieren. Der Reifenverschleiss wird in Saudi-Arabien beispielsweise kein Thema sein, das verändert vieles.»
Bei den Wintertests wirkte Red Bull Racing stark und selbstsicher, dann aber änderte sich alles. Max weiter: «Der erste Trainingstag am GP-Wochenende war ein Schock. Wir hatten das gleiche Fahrzeug wie beim Test, aber das fühlte sich wie ein ganz anderes Auto an.»
«Wir werden analysieren müssen, wie sich eine so gute Balance wie beim Test quasi in Luft auflösen konnte. Das zeigt mir – selbst wenn wir ein gutes Auto haben, so gibt es noch Einiges an Arbeit zu erledigen.»
Wer soll Max Verstappen an seinem dritten Titel in Folge hindern?
Sein Red Bull Racing-Stallgefährte Sergio Pérez wird es jedenfalls nicht sein. Nichts gegen den verlässlichen GP-Routinier aus Mexiko, aber Verstappen fährt auf höherem Niveau.
Ferrari? Die Italiener stehen schon wieder mit dem Rücken zur Wand: Ausfall für Charles Leclerc wegen Motorschadens, Carlos Sainz nur Vierter. Das grösste Problem in Bahrain muss dringend angepackt werden – der zu hohe Reifenverschleiss. Gutes Reifen-Management ist im modernen GP-Sport der Schlüssel zum Erfolg.
Ferrari-Teamchefchef Fred Vasseur: «Natürlich sind wir enttäuscht, wie könnten wir das nicht sein? Wir wussten, dass der Reifenabbau in Bahrain hoch ausfallen würde, aber wir mit diesem Zuverlässigkeitsproblem hatten wir nicht gerechnet.»
Der Eindruck in Sachen Konkurrenzfähigkeit: Ferrari ist hinter Red Bull Racing zweite Kraft. Oder nicht?
Was Fernando Alonso mit dem Aston Martin-Rennwagen in Bahrain aufführte, war rundweg sensationell. Aston Martin hat von allen Teams am meisten Fortschritte erzielt, gemessen an 2022.
Der Spanier sagt: «Das war der perfekte Start für dieses Projekt. Ganz ehrlich – selbst nach den guten Testfahrten hätte ich das nicht erwartet. Da dachte ich: Gut, wir können wohl vorne am Mittelfeld mitmischen, nun hatten wir heute das zweitbeste Auto. Aber einen Podestplatz hatte ich vor dem GP-Wochenende nicht auf dem Radar.»
«Ich hatte das gleich gute Gefühl im Auto wie im Test. Aber ich dachte immer – wann kommt der Hammer? Wann holt dich die Realität wieder auf den Boden? Ich hatte ständig Angst, dass plötzlich ein Rückschlag kommt. Aber das ist nicht passiert.»
«Die Realität ist vielmehr – unser Speed ist echt. Wenn wir auf den kommenden zwei Strecken in Dschidda und Melbourne ebenfalls konkurrenzfähig sind, werden wir eine gute Saison haben.»
Mercedes bleibt ein Sorgenkind. In der Form von Bahrain sind die früheren Dauer-Weltmeister nur vierstärkstes Team.
Teamchef Toto Wolff: «Red Bull Racing fährt auf einem anderen Planeten, und uns fehlt es an Speed. Das wird sich auch mit einigen Updates nicht ändern lassen. Das brauchen wir etwas Radikaleres. Die Überlegenheit von Red Bull Racing erinnert mich an unsere besten Jahre, als wir noch eine Sekunde vor allen anderen waren. Aber das ist die Messlatte, und wir müssen einen Schritt nach dem anderen nehmen, um zurückzuschlagen. Und wir können das auch.»
Wolff hat erstmals zugegeben, dass das Fahrzeugkonzept möglicherweise falsch sein könnte. Dies zu korrigieren, ist vor dem Hintergrund der Budgetgrenze und beschränkter Entwicklung eine enorme Aufgabe.
Mercedes-Fahrer George Russell glaubt sogar: «Red Bull Racing kann in diesem Jahr jedes Rennen gewinnen, die haben schon eine Hand am WM-Pokal.»
Wie sieht es im Mittelfeld aus?
Alpine ist eine glatte Enttäuschung: Die Franzosen hatten angedeutet, dass sie beim Wintertest ihre Karten nie aufgedeckt hätten und im Rennen markant zulegen würden. Das ist nicht passiert. Pierre Gasly: «Wir verstehen nicht, was in Bahrain passiert ist. All unsere Daten sagten, dass wir viel schneller sein sollten.»
Noch schlimmer steht es um den früheren Alpine-Rivalen McLaren: GP-Neuling Oscar Piastri war der erste Ausfall der GP-Saison 2023 (Elektrikdefekt), Lando Norris musste mehrfach an die Box, um Druckluft für den Motor nachzufassen. Lando Norris wurde Letzter. Der Engländer mit Galgenhumor: «Immerhin kam meine Boxenmannschaft reichlich zum Üben.»
In Sachen Speed schwimmt McLaren im Mittelfeld mit, dabei bestand der Anspruch im zweitältesten Formel-1-Rennstall darin, den Top-Teams auf den Wecker zu gehen.
Da ist Alfa Romeo besser aufgestellt: starker achter Platz von Valtteri Bottas. Die Audi-Führung wird mit Freude verfolgt haben, dass die Sauber-Mannschaft aus der Schweiz strategisch alles richtig gemacht hat.
Gemessen an den Winterteste eine Überraschung: die solide Leistung von Williams – ein Punkt für Alex Albon, ein gutes Rennen vom US-Amerikaner Logan Sargeant bei seinem GP-Debüt (Zwölfter).
Haas konnte an die feine Leistung im Training nicht anschliessen. Mit der kompletten Hinterachse von Ferrari haben die US-Amerikaner auch das Problem der Italiener mit zu hohem Reifenverschleiss erhalten. Eine frühe Beschädigung des Frontflügels von Nico Hülkenberg raubte dem Deutschen jede Chance, in die Nähe der Top-Ten zu kommen.
Im Rennen besser als bei den Tests und im Training: AlphaTauri. Aber das Saisonziel von Rang 6 wird in der Form von Bahrain nicht zu erreichen sein.
Nicht nur wegen des Siegs von Max Verstappen geht es in die neue Saison wie die alte begonnen hatte: Red Bull Racing hat die Nase vorn, Ferrari knabbert an mangelnder Standfestigkeit und mit zu hohem Reifenverschleiss, der Mercedes ist zu wenig schnell – hatten wir alles schon 2022.
Die neue Komponente heisst Fernando Alonso im Aston Martin. Zum Glück für die Formel 1 haben wir den scheinbar ewig jungen 41-Jährigen, der nichts von seinem Können verloren hat.
Im ersten Segment des Bahrain-Abschlusstrainings lag das komplette Feld der 20 Autos innerhalb von 1,1 Sekunden. Die Überlegenheit von Red Bull Racing ist für die ganze Saison vielleicht nicht repräsentativ, wird aber der Formel-1-Leitung Sorgen machen.
Die Königsklasse boomt, dank vieler neuer Fans der Generation Netflix. Die wollen Drama und Action erleben wie den grandiosen WM-Kampf zwischen Verstappen und Hamilton 2021.
Dominanz eines einzelnen Rennstalls wie jahrelang von Mercedes gezeigt, das steht nicht auf der Wunschliste von Formel-1-CEO Stefano Domenicali, schon gar nicht mit einem Formel-1-Reglement, das darauf ausgelegt ist, das Feld zusammenrücken zu lassen.
Schlusswort von WM-Leader Max Verstappen: «Wir dürfen uns über die feine Leistung in Bahrain freuen. Aber für Dschidda erwarte ich, dass uns die Gegner im Rennen näher auf den Fersen sein werden.»