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Monza 1970: Der Tag, an dem Jochen Rindt starb

Von Rainer Braun
​Die Motorsport-Gemeinde 1970 unter Schock, schon wieder. Dieses Mal traf es jenen Piloten, der am Ende des Jahres posthum zum Champion gekürt werden sollte – Jochen Rindt.

Samstag, 5. September 1970, es ist kurz vor 16.00 Uhr. Im alten Fahrerlager des Nürburgrings steht ein riesiges Formel V-Feld in einer langen Zweier-Reihe bereit für den Abruf zur Startaufstellung des vorletzten Europacup-Laufs. Die meisten Fahrer sind schon angeschnallt und haben den Helm auf.

Durchs Haupttor kommt Dieter Quester im Laufschritt angerannt, beugt sich atemlos zu jedem seiner österreichischen Landsleute ins Cockpit und überbringt die Schreckensnachricht: «Der Rindt ist tot, Unfall beim Abschluss-Training in Monza, ich hab’s grad erfahren.»

Versteinerte Gesichter bei den Österreichern, aber natürlich auch bei den übrigen Teilnehmern. Innerhalb weniger Minuten ist die Todesmeldung überall angekommen. Einige nehmen den Helm ab und steigen aus, diskutieren aufgeregt. Die Konzentration auf den bevorstehenden Start ist dahin.

Jochen Rindt wurde nur 28 Jahre alt.

Als er in seinem Lotus 72 starb, war er auf dem Weg zu seinem ersten WM-Titel, den er am Saisonende auch noch posthum gewann. Ganz Österreich war geschockt von der Todesnachricht, schließlich galt Jochen Rindt im Land noch vor Lauda als Nationalheld.

Obwohl selbst schon längst in der Formel 1 bei Cooper-Maserati, kümmerte er sich gerade in den ersten Formel V-Jahren 1966/67 mit Begeisterung und Hingabe um seine jungen Landsleute in der Formel V. Dazu gehörte damals auch ein gewisser Helmut Marko oder ein Günther Huber.

«Ohne Jochen wäre Österreich nicht so schnell zur führenden Formel V-Nation aufgestiegen», wusste Salzburgring-Chef und ÖASC-Präsident Willy Löwinger die Verdienste zu würdigen. «Er hat mit den Jungs in Kottingbrunn geduldig trainiert und ihnen alles beigebracht, was zum Siegen wichtig ist.»

Beim Weltfinale der Formel V «Bahama Speedweek» klemmte sich Jochen sogar selbst hinters Lenkrad eines Austro V und führte die Österreich-Equipe zu einem klaren Dreifach-Sieg.

Und als 1966 das erste große Formel V-Rennen mit Fahrern aus acht Nationen auf der Nordschleife anstand, organisierte er im Vorfeld einen privaten Trainingstag am Nürburgring für seine Schützlinge.

«Der Jochen hat uns allen damals einen Riesenschub und vor allem Selbstsicherheit gegeben», sagt beispielsweise der Wiener Peter Peter (82), «ich weiß nicht, ob wir ohne ihn auf Anhieb so erfolgreich gewesen wären. Er hat uns alles beigebracht, was man zum Siegen brauchte.»

Harald Ertl, der das traurige Europacup-Rennen am 5. September auf der Nordschleife gewann, widmete seinen Sieg mit tränenerstickter Stimme spontan Jochen Rindt. Die beiden kannten sich aus gemeinsamen Schultagen im österreichischen Bad Aussee.

Dass Jochen Rindt tödlich verunglücken könnte, war für mich undenkbar.

Meine jugendliche Naivität, gepaart mit der Renn-Begeisterung der frühen 60er-Jahre, ließ so etwas Unfassbares einfach nicht zu. Einer wie er, so dachte ich immer, der überlebt jeden Unfall.

In ihm habe ich eine Art Hero gesehen. Einer, der sich auch nach den übelsten Bruchlandungen aus seinem demolierten Auto windet, den Overall abklopft und zur Tagesordnung übergeht. Mein Traum von unverwundbaren Helden endete an diesem 5. September 1970 in Monza auf brutale Weise.

Jochen Rindt war einer meiner ersten wichtigen Fix-Punkte im internationalen Motorsport. Wir haben uns 1963 bei einem Flugplatzrennen im norddeutschen Bückeburg-Achum erstmals näher kennengelernt. Kurt Ahrens hat mich mit ihm bekannt gemacht.

Jochen startete in Bückeburg-Achum gemeinsam mit seinem Landsmann Curt Bardy-Barry für die «Ecurie Vienna» in der Formel Junior, einem Vorläufer der Formel 3. Ich schrieb damals aus purer Begeisterung für die Rennerei Berichte für Tageszeitungen im Rhein-Main-Gebiet und das Schweizer Fachblatt «powerslide» in seiner Urform.

Zwischen Jung-Rennfahrer und Jung-Journalist entwickelte sich im Laufe der Zeit und auf Grund geografischer Nähe eine Art Freundschaft. Denn irgendwann hatten wir gesprächsweise festgestellt, dass wir zumindest zeitweise fast Nachbarn sind.

Jochen war wegen seiner von den Eltern vererbten Gewürzmühle häufig in Mainz und hatte dort auch einen zweiten Wohnsitz. Ich lebte quasi nebenan in Wiesbaden und wurschtelte mich mit meinem Mini-Redaktionsbüro gerade so durch.

Immer häufiger trafen wir uns in Mainz oder Wiesbaden mal zum Essen, mal zum Kneipen-Besuch oder einfach nur zum Rumtoben mit Jochens rotem Jaguar E-Type.

Einmal übernachtete er sogar bei uns zu Hause auf der Couch, weil sich sein Besuch in die Länge zog und wir letztlich in der Wiesbadener Diskothek «Scotch Club» versackt sind. Denn Jochen war kein Kostverächter, er rauchte und gönnte sich mal einen guten Drink.

Bei einer dieser Gelegenheiten weihte er mich in seine Zukunftspläne ein und ließ durchblicken, dass ihm wegen seiner Suche nach Sponsoren eine Art Pressemann in Deutschland sehr hilfreich sei.

Freudig setzte ich seinen Wunsch sogleich in die Tat um, lieferte Rindt-Berichte an fast alle wichtigen Tageszeitungen im Rhein-Main-Gebiet.

Als er 1964 sein erstes Formel 2-Rennen in England gegen die gesamte Weltelite gewonnen und ein Jahr später auch noch bei den 24 Stunden von Le Mans im Ferrari gesiegt hatte, waren Rindt-Geschichten in den Redaktionen gefragter denn je. Ich hatte Hochkonjunktur in Sachen Rindt und kam mit dem Schreiben kaum noch nach.

Für meine Arbeit als Streckensprecher und Fachjournalist versorgte mich Jochen mit ebenso wichtigen wie brisanten Informationen, die so manch anderer Kollege auch ganz gerne gehabt hätte.

Geduldig erklärte er mir die Teamstrukturen und sportpolitischen Strömungen der Formel 2 und Formel 1. Im Laufe der Zeit entstand eine stabile Vertrauensbasis und was er mir vertraulich erzählte, wurde auch so behandelt.

Als er 1969 schon als König der Formel 2 galt und im Lotus 49 in der Formel 1-WM fuhr, klebte er mir zuliebe für den Spottpreis von 1000 D-Mark (etwa 500 €) das Logo meines neuen Arbeitgebers «Deutsche Auto Zeitung» beim Eifelrennen am Ring auf seinen Lotus Formel 2-Rennwagen und die Boxentafel.

Allerdings bat mich Jochen um absolutes Stillschweigen und vor allem darum, ihn «mit solchen Billig-Deals» nicht noch mal in Verlegenheit zu bringen. Stattdessen schrieb er mir einige Monate nach seinem fürchterlichen Barcelona-Crash 1969 einen Brief in die Redaktion, in dem er für jede erfolgreiche Vermittlung von Sponsoren oder Autogrammstunden eine Provision von 20 Prozent zu zahlen bereit war.

Die Höhe der prozentualen Beteiligung kam nach Ansicht der österreichischen Journalisten-Riege einer Sensation gleich, «weil der Rindt normalerweise nicht so großzügig ist» (Original-Ton Heinz Prüller).

Und Helmut Zwickl meinte scherzhalber: «Da muss der Rindt zuvor aber ziemlich viel getrunken haben, denn eigentlich ist er ein Geizkragen.»

Im Dunstkreis des deutschen Formel-1-Grand Prix am ersten August-Wochenende 1970 in Hockenheim habe ich Jochen über ein Werbeangebot des Nürnberger Modellauto- und Slot-Racing-Herstellers «GAMA» informiert. Der ärgste Konkurrent des Marktführers «Carrera» hatte sich bereits ein Jahr zuvor durch meine Vermittlung Werbeflächen auf einem der Formel V-Rennwagen des McNamara-Rennstalls gesichert.

Jetzt drängten die Gama-Manager mit Macht in den großen Motorsport. Mit Rindt wollte das Unternehmen den deutschen Formel 2-Lauf Anfang Oktober 1970 in Hockenheim plus die drei deutschen F2-EM-Rennen 1971 am Ring und zweimal in Hockenheim inklusive Overall-Werbung abschließen. Es ging um ein Volumen von rund 40.000 D-Mark (20.000 €). Das waren noch Preise damals!

Nach Studium des Vertragsentwurfs hatte Jochen noch ein paar Änderungswünsche, die ich mit dem Unternehmen klären sollte. Als ich ihm ein direktes Gespräch mit der Gama-Werbedame vorschlug, winkte er genervt ab: «Geh, bittschön, häng’ mir nicht solche Meetings an, ich will nicht die Dame sehen, sondern die Marie.» (Österreichischer Ausdruck für Geld.)

Die Endfassung des Vertrags sollte ihm zur Unterschrift in seinen Schweizer Wohnort Begnins geschickt werden. Dazu kam es nicht mehr, Jochen Rindt starb einen Monat später beim Abschlusstraining des Italien-GP in Monza.

In den Tagen nach seinem Tod kreisten meine Gedanken pausenlos und fast zwanghaft immer wieder um Jochen und die gemeinsamen Jahre mit ihm. Er hat mir das Tor zur großen, internationalen Rennsportwelt geöffnet. Nicht nur deshalb habe ich ihn verehrt. Als Typ und als Rennfahrer war er für mich zu dieser Zeit der Allergrößte.

Ich war damals überzeugt, dass es so einen wie ihn nie mehr geben würde. Da konnte ich allerdings noch nicht ahnen, dass genau zehn Jahre später Stefan Bellof meinen Weg kreuzt. Mit dem damals 22-jährigen Formel Ford-Fahrer aus Gießen, irgendwie eine Art Zweitausgabe von Jochen Rindt, sollte ich alles in fast gleicher Abfolge noch einmal erleben. Leider auch mit dem gleichen, bitteren Ende.


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