Im Interview erklärt Toro-Rosso-Teamchef Franz Tost, warum Jamie Alguersuari das Cockpit von Sébastien Bourdais erbt.
Warum hat sich die Scuderia Toro Rosso für Jaime Alguersuari entschieden?
Franz Tost: Weil wir davon ausgehen, dass er schnell sein wird. Wir sind überzeugt, dass er ein angemessener und hochqualifizierter Fahrer ist. Als Red Bull beziehungsweise Dietrich Mateschitz sich für ein zweites Formel-1-Team entschied, war einer der Hauptgründe dafür, dass man jungen Fahrern, speziell jenen aus dem Red Bull-Nachwuchsprogramm, den Weg in die Formel 1 ebnet. Als wir uns vor ein paar Wochen dazu entschlossen, den Fahrer auszuwechseln, studierten wir alle Daten der Red Bull-Nachwuchspiloten. Das Ergebnis dieser Auswertung war, dass Jamie der Fahrer mit der meisten Erfahrung und dem grössten Erfolg ist. Deshalb haben wir uns für ihn entschieden. Ich bin überzeugt, dass er eine gute Leistung zeigen und Erfolg haben wird.
Und warum entschied man sich, Alguersuari in Budapest erstmals fahren zu lassen?
Das hat zwei Gründe: Einerseits kennt er die Strecke gut. Vor fünf Wochen fuhr er hier im Rahmen der Renault World Series. Er zeigte ein gutes Rennen und bewies damit, dass er mit der Strecke gut zurecht kommt. Das ist bei all den Bodenwellen ein Vorteil. Wir wissen, wie schwierig es ist, auf dem Hungaroring zu fahren.
Andererseits bringen wir hier ein neues Aerodynamik-Paket mit. Wir rechnen also auch auf der Auto-Seite mit einer Verbesserung. Ausserdem wollten wir, dass er so früh wie möglich Formel-1-Erfahrung sammeln kann. Für uns ist das ein Langzeitprojekt, das sich ins nächste Jahr zieht. Je mehr Rennen er in diesem Jahr fährt, desto besser ist er auf die Zukunft vorbereitet.
Wann läuft Alguersuaris Vertrag aus beziehungsweise wie viele Formel-1-Rennen wird er garantiert bestreiten?
Ganz einfach, wir entscheiden das aufgrund seiner Leistung. Je schneller er sein wird, desto länger sitzt er in unserem Auto. Lassen Sie mich das so sagen: Er wird bei Toro Rosso ausgebildet und später bei Red Bull Racing fahren; das ist das Ziel.
Ich möchte hier noch anmerken, dass ich schon verschiedentlich gehört habe, Alguersuari sei zu unerfahren. Es ist immer schwer zu sagen, wann ein Fahrer genug Erfahrung für die Formel 1 gesammelt hat. Jamie hat bisher 118 Rennen bestritten, 17 davon gewonnen und 46 Podestplätze erzielt. Er siegte letztes Jahr in der Britischen Formel 3. In diesem Jahr hat er seine Leistung Rennen für Rennen in den Renault World Series verbessert. Letztes Wochenende beendete er das erste Rennen in Le Mans als Vierter und das zweite als Dritter auf dem Podest.
Das ist eine gute Basis, um den Sprung in die Formel 1 zu wagen. Abgesehen davon sehen die neuen Regeln aus finanziellen Gründen keine Tests während der Saison vor. Das macht es nicht einfacher, junge Fahrer in die Formel 1 zu bringen. Man muss sie also in den Rennen einsetzen, und ich bin überzeugt, dass er einen guten Hintergrund und genug Erfahrung hat, um einen guten Job zu machen.
Jamie ist der dritte extrem junge Fahrer im Toro-Rosso-Team. Worin liegt der Vorteil der Jungen?
Das Toro-Rosso-Team ist bekannt für seine junge Truppe – abgesehen vom Teamchef! Im letzten Jahr siegte der jüngste GP-Gewinner in einem Toro Rosso, nun haben wir den jüngsten Fahrer im Team. Ich bin stolz darauf und überzeugt, dass er einen guten Job machen wird.
Wie sehr eilte die Auswechslung von Sébastien Bourdais?
Das würde ich nicht behaupten. Wir hatten eine bessere Leistung und eine bessere Zusammenarbeit erwartet und als dies nicht eintrat, mussten Entscheidungen gefällt werden. Das war auch eine Entscheidung für die Zukunft, nicht bloss für ein oder zwei Rennen. Deshalb haben wir uns, wie schon erwähnt, für Ungarn entschieden.
Was bringt ein junger Fahrer mit, das ein älterer Pilot nicht bieten kann?
Auf jeden Fall ein Engagement, eine Attitüde. Die neue Generation von Fahrern, die nun in die Formel 1 kommt, hat nicht irgendwann einmal mit dem Fahren begonnen. Sie machen das seit 15 Jahren, die Meisten sassen mit fünf, sechs oder sieben Jahren schon im Kart. So auch Jamie, diese Fahrer kommen mit sehr viel Erfahrung in die Königsklasse. Wir haben in der Vergangenheit viele gute Erfahrungen mit jungen Piloten gemacht. Sie sind offen, lernfähig, hören zu und kämpfen. Das passt zum Ziel von Toro Rosso, und ich bin überzeugt, dass wir damit den richtigen Weg eingeschlagen haben. Ein erfahrener oder alter Fahrer würde nicht zu unserer Philosophie passen. Wir wollen junge Piloten ausbilden, das ist das Ziel von Red Bull und Dietrich Mateschitz, das wir vor Augen haben müssen.
Wäre es mit Blick auf die fehlende Erfahrung nicht klüger gewesen, an Sébastien Bourdais festzuhalten?
Dazu kann ich nur eines sagen: Im letzten Jahr sammelte Vettel 35 Punkte, Bourdais hingegen vier. In diesem Jahr war Buemi in sieben von neun Qualifyings der Schnellere. Ich weiss nicht, ob wir in Zukunft mehr Punkte mit ihm sammeln würden, das ist ein theoretisches Argument, das wir nicht diskutieren müssen. Ich schaue nur nach vorne. Toro Rosso und Red Bull freuen sich auf Jamie Alguersuari.
Wie ernsthaft wurde über einen Einsatz von Sébastien Loeb nachgedacht, und kommt er in diesem Jahr noch für das Toro-Rosso-Team zum Einsatz?
Persönlich hatte ich bisher noch keinen Kontakt mit Sébastien Loeb. Die Loeb-Story ist schnell erzählt: Sébastien arbeitet ja bekanntlich mit Red Bull zusammen. Für mich ist er der beste Rallye-Pilot der Gegenwart. Im letzten Jahr zeigte er einen guten und beeindruckenden Test bei Red Bull Racing. Ich kann nur vermuten, dass er über ein paar Renneinsätze nachgedacht hat, als er davon erfuhr, dass Bourdais ersetzt wird. Aber er fährt in der WRC, und aus Toro-Rosso-Sicht war ein Formel-1-Einsatz kein Thema. Wir setzen auf junge Fahrer, deshalb haben wir nie darüber verhandelt oder diskutiert.