Yamaha steht vor Einigung mit neuem Kundenteam

1000er-Gespanne: Tödliche Gefahr oder Superspektakel?

Von Rudi Hagen
Auf dem Westfalenring in Lüdinghausen waren die 1000er-Gespanne immer eine Attraktion

Auf dem Westfalenring in Lüdinghausen waren die 1000er-Gespanne immer eine Attraktion

Wer sie einmal erlebt hat, ist fasziniert von ihnen. Mehr-Zylinder-Bahngespanne bis 1000 ccm sind in England auf Gras-, Sand- und Speedwaybahnen eine Attraktion. In Deutschland konnten sie sich nicht durchsetzen.

Die 1000er-Seitenwagen gehören in England, Australien und Neuseeland zur «Königsklasse» im Bahnsport. Die bis zu 180 kg schweren Mehrzylinder-Gespanne fahren im Uhrzeigersinn, also rechts herum. Die Motorräder sind ausgerüstet mit Vierzylinder-Standardmotoren von Yamaha, Suzuki oder Honda, die reines Methanol verbrennen und bis zu 180 PS leisten.

Der Seitenwagen (engl. chair) ist links angebracht und steht im 90-Grad-Winkel zum übrigen Motorradrahmen. Die 1000er-Gespanne sind also nicht wie die üblichen 500er-Einzylinder bis zu 15 Grad nach links geneigt, sondern stehen gerade. Der Beifahrer sitzt beim Start und auf der Geraden hinter dem Fahrer und liegt in den Kurven rechts von ihm auf einem breiten Trittbrett und hält so das Gespann in der Spur.

Mitte der 1990er-Jahre versuchte eine kleine Gruppe um den Briten Ian Barclay (†), Promotor des damals bekannten und hochangesehenen Grasbahnrennens «Ace of Aces» in der Nähe der südenglischen Stadt Salisbury, die 1000er-Gespanne in Deutschland bekannt zu machen. Ziel war die Einführung der «1000cc-Sidecars» in Deutschland, den Niederlanden und Frankreich, um die «Ace of Aces» künftig auf europäischer Bühne und nicht nur auf der britischen Insel präsentieren zu können.

Der erste, der die «großen» Gespanne, in England spricht man liebevoll von den «big chairs», in Deutschland fahren ließ, war Ludger Spils, damals Vorsitzender des AC Vechta. Am 30. September 1995 waren mit Roger Measor/Shane Lapham und Ivor Matthews/Peter Jones (†) zwei britische 1000er-Teams im Rahmenprogramm des Flutlichtrennens im Reiterwaldstadion dabei.

Am Tag zuvor hatte der listige Spils schon eine Pressekonferenz im Vechtaer «Autohaus Anders» arrangiert, wo die Teams samt Motorrädern der interessierten Presse vorgestellt wurden. Sogar Egon Müller war dazu extra aus Kiel angereist. Die OMK (seit 1998 DMSB) hatte die 1000er zu der Zeit noch nicht zugelassen, vor allem der damals mächtige OMK-Präsident Günter Sorber (†) war ein entschiedener Gegner der Zulassung.

Daher sollte es nur eine Demofahrt nach der Veranstaltung in Vechta geben. Zwischendurch fuhren die Briten aber schon mal zwischen den Läufen während der Bahndienste langsam, dann aber auch mit viel Gas und tollem Sound um die Bahn. Die Zuschauer reagierten begeistert, nicht aber Sportkommissar Engelbert Wippermann (†) aus Lüdinghausen, der im Innenraum brüllte «ich geh nach Hause, wenn die weiterfahren» und seinem Kollegen Spils mit einem Rennabbruch drohte.

Als die Rennen vorbei waren, kam die Demo der 1000er. Über sechs Runden jagten sich die beiden Teams aus England spektakulär ums Oval und fast alle Zuschauer waren geblieben, um das Spektakel live zu erleben.

In der Folge waren die 1000er des Öfteren auf deutschen Bahnen zu sehen. 1996 fuhren sie in Herxheim, Vechta, Cloppenburg, Werlte, Berghaupten und Meißen. Im April 1997 wurde auf einer Bahnausschusssitzung der OMK in Frankfurt die offizielle Zulassung der 1000er für Demo-Rennen in der Saison erteilt.

So fuhren sie in Dingolfing, Zweibrücken, Osnabrück, Cloppenburg und auch bei Egon Müllers Abschiedsrennen am 5. Oktober 1997 in Jübek. Peinlicherweise waren offiziell immer nur Flaggenstarts erlaubt. Dahinter steckte vor allem der einflussreiche Sorber, der im Dezember 1997 in einem persönlichen Gespräch sagte, dass es in Zukunft zwar keine 1000er-Rennen in Deutschland geben würde, aber weiter wie bisher Demo-Rennen.

Danach war Barclay mit seiner 1000er-Truppe 1998 noch einmal in Cloppenburg zu Gast, doch andere Veranstalter sagten ab, weil sie echte Rennen, aber keine Demos sehen wollten.

Zwischendurch hatten deutsche Gespannpiloten durchaus Interesse für die große Seitenwagenklasse gezeigt. Schon 1996 weilten Tommy Kunert mit Beifahrer Marco Hundsrucker und Peter Murmann (†) mit Jürgen Ewig auf Einladung von Ian Barclay in Großbritannien, um am Qualifying zur «Ace of Aces» teilzunehmen.

Aber die bereitgestellten Speedway-Gespanne (ohne Federung und wenig geeignet für dieses Grasbahnrennen) waren nicht nach dem Geschmack der Deutschen, daher verzichteten sie nach einigen Trainingsrunden auf die Teilnahme. Aber ihr Interesse war geweckt. Ein Jahr später wollte der sehr interessierte Sepp Onderka vom Briten Terry Phillips eine 1000er für zirka 9.000 DM kaufen. Letztlich kam der Deal aber nicht zustande.

Doch es gab von Anfang an auch Widerstände gegen die rechts herum fahrenden 1000er-Gespanne. Abgesehen von den ewig besser wissenden Bahnsport-Schlaumeiern in den Fahrerlagern und umzu (Originalton Sprüche: «Warum fahren die nicht wie unsere links herum?» «Was turnen die Beifahrer da so komisch rum?» «Die sind doch nicht schneller als unsere 500er»), fürchteten wohl auch die auf Einzylinder geeichten Tuner und Tüftler um ihre Pfründe.

Auf jeden Fall gab es urplötzlich eine neue Variante. Der DMSB ließ Mehrzylinder-Gespanne zu, aber nur bis 750 ccm, es ging links herum wie bei den 500ern und es konnte auch weiterhin mit Einzylindern gefahren werden.

Das war natürlich der größte Blödsinn hoch zehn. Man hatte nur die bisherige Klasse von 500 ccm auf 750 ccm erhöht, aber die bestehenden, attraktiven 1000er-Seitenwagen, die es in England, Australien und Neuseeland zuhauf gab und gibt, waren in Deutschland plötzlich wieder raus aus dem Spiel.

Die Tüftler bohrten in der Folge kräftig am Hubraum der Einzylinder herum. Damit war man zwar schnell, aber die Aggregate waren auch noch schneller kaputt als die mit 500 ccm. Und von Kontrolle, von wegen Hubraum bis 750 ccm, war danach erstmal nicht mehr die Rede. Der Odenwäldler Karl Keil war (und ist immer noch) einer dieser Tüftler, der aus einem 500er-Standard-Jawa einen aufgebohrten und immens schnellen «Keil-Jawa» fabrizierte und mit Reiner Falter als Beifahrer damals durchaus für Aufsehen sorgte.

Für noch größeres Aufsehen sorgten die neuen Mehrzylinder. So traten Thomas Kunert und Beifahrer Marcus Eibl mit einem sauschnellen Gerhard-GM-V2 gegen die «normalen» 500er und deren aufgebohrte Varianten und weitere Teams an, die serienmäßige Vierzylinder-Aggregate als Antrieb nutzten.

Die Osnabrücker Herbert Brüner/Axel Immig hatten einen 4-Zylinder-Yamaha in ein Bauer-Fahrgestell eingebaut. Jürgen Michel aus Seligenstadt präsentierte mit Beifahrerin Desiree Daubert anfangs eine Honda VFR 750 und später eine Yamaha YZF-R 750 mit Jürgen Hutwalker oder Thomas Scheunemann im Boot. Und dann waren da noch Werner Bößhenz/Josef Seidl mit ihrer zirka 130 PS starken 4-Zylinder-Kawasaki. Harald Mössmer tauchte in der Saison 2000 gar mit einem Kneeler-Gespann auf, ausgerüstet mit einem 4-Zylinder Honda-Motor, der aber (leider) vom DMSB nicht zugelassen wurde.

So recht funktionieren wollte das neue Reglement bei den Seitenwagen in der Folge aber nicht. Eine richtige Akzeptanz dieser gemischten Gespann-Gruppe wurde letztlich weder beim Publikum noch bei den Aktiven erreicht.

Letztlich besann man sich wieder auf die Gespannklasse bis 500 ccm mit Einzylindermotoren, aber der DMSB erlaubte später auch ausdrücklich 1000 ccm Bahngespanne mit Mehrzylinder-Motoren. Das gilt bis heute.

Aber Interessenten für eine eigene 1000er-Bahngespannklasse gab es in Deutschland bei den Fahrern und Beifahrern sowie bei den meisten Veranstaltern nicht wirklich. Aber es gab auch glühende Verehrer der bollernden 1000er, so Ludger Spils vom AC Vechta, Albert Raesfeld vom AMSC Lüdinghausen, Dieter Glatzer von der AMG Osnabrück und Josef Hukelmann vom MSC Werlte. Bei deren Rennen waren die Briten nach dem Rückzug und späteren Tod von Aces-Manager Barclay oftmals dabei, lange gemanagt vom früheren Solo-Star Lew Coffin.

Vielleicht wäre der 1000er-Seitenwagenklasse doch noch der Durchbruch gelungen, wenn es der Wettergott besser gemeint hätte. 2005 hatte es Werlte-Sportchef Hukelmann tatsächlich gewagt, die 1000er-Weltmeisterschaft auf den Hümmlingring im Emsland zu holen. Aber dann regnete es dermaßen, dass die WM letztlich ersatzlos abgesagt werden musste.

Aber es gab in Deutschland auch Stürze mit den 1000er-Gespannen, die Wasser auf die Mühlen derjenigen waren, die vor «der großen Gefahr für Leib und Leben bei Aktiven und Zuschauern auf den Rängen» warnten. Im Mai 2006 krachte der Brite Symon Wall auf der Sandbahn in Plattling in die Bande, ein nachfolgendes Gespann überrollte ihn und verletzte ihn tödlich.

Nur ein Jahr später hätte es auf dem superschnellen Westfalenring in Lüdinghausen fast eine Katastrophe gegeben, als Duncan Tolhurst und Beifahrer Terry Saunters auf der Ziellinie in voller Fahrt einen bösen Überschlag hinlegten. Sie waren in eine der Startrillen geraten und dann in Luft katapultiert worden.

Nach einigen Überschlägen durchschlug die Yamaha die Planke – Airfences waren damals noch nicht üblich – und landete in der Sicherheitszone. Die Gabel samt Vorderrad brachen dabei ab, zischten über die Köpfe der Zuschauer hinweg in einen dahinter stehenden Baum und landeten im Zaun des Fahrerlagers. Wie durch ein Wunder wurde auf den Tribünen niemand verletzt. Tolhurst verletzte sich dabei aber so schwer, dass der Sport für ihn fortan vorbei war.

Seitdem sind hierzulande Rennen mit den 1000ern nur auf Bahnen bis 750 m Länge erlaubt. Aber letztlich war diese mit herkömmlichen Straßenmotoren fahrende und daher finanziell günstige Klasse schon wieder Geschichte, noch ehe sie eigentlich begonnen hatte.

Sehr, sehr schade.

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