Nachwuchssichtung auf Chinas Strassen

Kolumne von Guido Quirmbach
Ein normaler, chinesischer Rennwagen

Ein normaler, chinesischer Rennwagen

Mit dem Taxi in Zhuhai unterwegs zu sein, ist nichts für schwache Nerven.

Zum zweiten Mal in China, damit ist man ja fast schon Asien-Insider. Sollte man meinen. Und dennoch entdeckt man in jeder Minute in diesem faszinierenden Land viel neues, erst recht wenn man einmal am Abend nach getaner Arbeit einmal die Hauptstrassen verlässt und durch die kleinen Gassen schlendert, wo Einheimische alles mögliche anbieten. Von gefälschter Markenware bis zu einheimischen Getier, schon essfertig oder noch nicht. Was ich auch meist nicht beurteilen konnte.

Was hat sich in den letzten 12 Monaten in Zhuhai geändert? Wieder viele neue Gebäude. Baukräne überall, die Stadt wächst und wächst. Das Raucher-Schlaraffenland China wird auch eingeschränkt, in vielen Restaurants sieht man nun die Hinweisschilder, dass Rauchen verboten ist. Oft stehen sie aber direkt beim Aschenbecher.

Und: Der Wettbewerb unter den Taxifahrern ist härter geworden!

Mein Kollege Mathias Brunner hat Ihnen ja auch schon mehrfach seine weltweiten Taxi-Erlebnisse geschildert. Was besser oder schlimmer ist, kann ich nicht beurteilen, aber Taxifahren in Zhuhai ist ganz sicher auch nichts für schwache Nerven.

Die einzige Erklärung die ich für den absolut wahnsinnigen Fahrstil habe, ist ein Zitat von Gerhard Berger. Der sagte mal in einem Interview zu seiner aktiven Zeit sinngemäss: «Jeder zehnte Taxifahrer in München hat vielleicht mehr Talent als ich, doch ich hatte die Chance und habe sie genutzt.»
Das hat sich wohl bei den chinesischen Taxifahrern rumgesprochen, jedenfalls sehen sie wahrscheinlich in jedem europäischen Fahrgast einen potentiellen Talentförderer, der sie ganz gross raus bringt. Ihre Chance, sich zu beweisen ist die ca. 20 km lange (Renn-) Strecke vom Hotel an den Zhuhai International Circuit, eine überwiegend dreispurige Küstenstrasse, meist ist 50 erlaubt, ab und zu 70.

Der Nachwuchs-Schumi am ersten Mittag wirkte noch am souveränsten: Ich würde ihn unter die Kategorie guter, Old-Style-Langstreckenpilot einordnen. Sprich, immer der Nähe des Limits, aber ohne unnötige Risiken. Traumwandlerisch sicher im Verkehr, fährt nur 100, wo 50 erlaubt ist, gibt aber auch einmal nach, wenn vor uns ein Bus auf unsere Spur zieht.

Am gleichen Abend dann eine private Taxifahrerin. Eine Mutter, Tochter oder Freundin der einheimischen Dame, die den ganzen Tag im Mediacenter sitzt, wie viele, die sich abends etwas dazuverdienen. Auch sie hat sportliche Ambitionen, ihr fehlte es noch deutlich an Routine. Wirkt unentschlossen beim Überholen, viel unnötig hartes Bremsen. Zwar hoher Top-Speed, also 130km/h innerorts, sie hatte aber den Leistungsvorteil eines neueren Toyota im Vergleich zu den alten VW-Jettas der Kollegen. Ein weiterer Vorteil ist aber auch für mich deutlich erkennbar: Ich konnte mich im Toyota anschnallen, was im gewöhnlichen Taxi auch nicht möglich ist! Schwächen beim Überholen bügelt meine Fahrerin mit Gerissenheit aus: Wenn alles vor der Ampel wartet, weil eben für die Geradeausspur das rote Licht brennt, sieht sie ihre Chance in der Linksabbiegerspur: Die hat Grün! An allen zieht sie vorbei und fährt auf der Kreuzung geradeaus. Und warum soll man auch in einem Kreisverkehr rechts um die Insel herum fahren, wenn es links auf direktem Wege wesentlich schneller in die gewünschte Richtung geht.

Am Freitag früh dann der bislang talentierteste der Kollegen: Absolut furchtlos biegt er an der Hotelausfahrt links ab in den fliessenden oder besser rasenden Verkehr und sorgt damit für den ersten Schweissausbruch des Fahrgastes. Doch seine Erwartung ging auf, wenn die anderen auf ihn mit viel Bremsgequitsche und Hupen Rücksicht nehmen, warum sollte er dann noch auf sie Rücksicht nehmen? In den ersten Kurven «beeindruckt» er mich mit extrem späten Bremspunkten. Ebenso vor Ampeln, stehenden LKW oder Fussgängern. Es könnte ja sein, dass die Ampel noch grün wird, der LKW weicht oder der Fussgänger verschreckt weg springt. Im Verkehr ist er gnadenlos. Er sticht in Lücken, die es noch nicht gibt. Lücken, die sich schliessen, und sei es von rechts und links gleichzeitig, macht er mit Hupe und Gasfuss wieder auf. Am besten aber sein absoluter Siegeswille: Sobald er einen anderen der einheitlich gelbgrünen Jetta-Taxis erspäht, hat er in ihm seinen nächsten Gegner gefunden. Einer der Kontrahenten war hartnäckig, über rund drei Kilometer zog sich das Duell, es gab mehrere Führungswechsel. Die Entscheidung fiel an einer Ampel, die gerade auf Grün sprang, als wir uns im Höllentempo näherten. Mein Fahrer fuhr rechts an einem LKW vorbei, bezog die Freifläche einer Bushaltestelle mit in die Ideallinie ein und machte die entscheidenden Meter gut. Was meiner chinesischen Nachwuchshoffnung dann auch ein zufriedenes Grinsen in meine Richtung Wert war. Ich hoffe, er interpretierte mein Lächeln zu ihm zuück nicht als Anerkennung.

Gerne hätte ich dies fotografisch festgehalten, doch ich hatte keine Hand frei. Entweder hielt ich mit irgendwo im Fond krampfhaft fest oder war am beten.

Die Abenteuer in den Taxis waren Gesprächsthema im Fahrerlager. Ein englischer Kollege erzählte von einem Crash, den er in einem Taxi in Zhuhai einst hatte, er verlief glimpflich. Ralf Jüttner von Joest-Racing machte es auch nicht besser, als er ziemlich detailliert die Schäden an zwei Taxen und leider auch Mensch schilderte, die im vergangenen Jahr ineinander krachten. Keine guten Stories, wenn man weiss, noch mindestens vier dieser Fahrten vor sich zu haben. Denn Alternativen gibt es nicht.

Manch einer hat für sich oder das Team auch private Fahrer. Was die Situation nicht besser macht. Jürgen Barth, als Berater des Veranstalters vor Ort zeigte mir seinen Chauffeur: «Das ist mein zweiter Fahrer, den ersten musste ich austauschen, ich hatte einfach Angst.» Und Lance-David Arnold: «In dieser Woche wird es vor allem darauf ankommen, den täglichen Transfer zwischen Hotel und Rennstrecke zu überleben!»

Ich zwang mich bei den letzten Fahrten nicht mehr nach vorne, sondern nur noch aus dem Seitenfenster zu schauen. Das machte es erträglicher. Und ich beschloss, diese Geschichte erst fertig zu schreiben, wenn ich wieder im heimischen Büro bin. Schliesslich will man nichts beschreien. Doch alles ging, soweit bekannt, gut.

Taxifahrten in Zhuhai sind für unsere Verhältnisse immer noch sehr günstig. Daran hat sich in den letzten 12 Monaten auch nichts geändert. Und das wird sich wahrscheinlich auch in den nächsten 12 Monaten nicht ändern. Und dann, sollte der WM-Tross wieder in Zhuhai Station machen, werden dort viele Taxifahrer auf eine neue Chance hoffen.

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