Ferrari 312 P: Der vielleicht Schönste von allen

Von Mathias Brunner
Es gibt Rennwagen, die sehen schon im Stillstand schnell aus – der Ferrari 312 P ist solch ein Auto. Der 1969 gebaute Vollblüter aus Maranello ist für viele Ferraristi der vielleicht schönste Ferrari von allen.

In der reichen Historie von Ferrari hat der Motorsportler vom Typ 312 P bislang ein Stiefmütterchendasein geführt, was vielleicht daran liegt, dass dieser Sportwagen aus dem Jahre 1969 gemessen an anderen Rennern jener Tage nur kurz und in geringer Stückzahl eingesetzt wurde. An den Porsche 917 erinnern sich die meisten Motorsportfans, und auch der Ford GT40 erfreut sich einer üppigen Gefolgschaft. Aber der 312 P ist eher ein Fall für Ferraristi, und viele von ihnen sind überzeugt – das ist der schönste Ferrari, der je aus dem Werk von Maranello gerollt wurde. Wir staunen: Es gab nur drei Stück davon.

Der 312 P ist einer jener Rennwagen, die schon im Stillstand schnell aussehen, aus jeder Perspektive ein Augenschmaus. Verantwortlich für die zeitlos elegante Form waren Giacomo Caliri und Edmondo Casoli, und auch Firmenchef Enzo Ferrari hatte seine Finger im Spiel. Denn der Commendatore machte seinen Mitarbeitern klar, dass sie gefälligst auf Spoiler, Flügel und ähnlichen aerodynamischen Firlefanz zu verzichten hätten. Das war dem Handling und den Rundenzeiten vielleicht nicht dienlich, wohl aber der Ästhetik.

Gebaut wurde das Auto für die Sportwagen-WM 1969, in knapper Entwicklungszeit und in Sachen Budget mit eng gezurrtem Gürtel. Die Schönheit tanzte offiziell nur einen Sommer, dann kam schon der 512, mit welchem Enzo Ferrari dem mächtigen Porsche 917 die Suppe versalzen wollte, was nicht funktioniert hat. Der Schönling 312 P blieb 1970 auf den Rennstrecken und wurde von NART (North American Racing Team) eingesetzt.

Es ist ein Leichtes, eine Autobibliothek rein um das Thema Ferrari aufzubauen, aber ein vollständig überzeugendes Werk über den Ferrari 312 P gab es nicht – bis Gianni Agnesa sich des Themas annahmen. Der gelernte Ingenieur aus Sardinien erzählt die Geschichte des Ferrari fundiert und lebendig, vom Design über erste Tests bis zu den Werkseinsätzen, den Rennen von NART und zur Restaurierung von Chassis-Nummer 0872, mit dem Ferrari die Fans heute bei Veranstaltungen historischer Rennfahrzeuge verzaubert.

Am Lenkrad sassen einige der besten Fahrer ihrer Epoche: Chris Amon, Mario Andretti oder Pedro Rodríguez, dazu Allrounder wie Mike Parkes und Peter Schetty sowie die NART-Amerikaner Sam Posey, Tony Adamowicz und Chuck Parsons.

Der 312 P basierte auf dem Formel-1-Auto, das Kürzel leitet sich ab aus 3 Litern Hubraum, einem 12-Zylinder-Motor und dem P für Prototyp. Er tauchte zunächst auf als offener Spyder (Barchetta), später als windschlüpfigere Berlinetta mit geschlossenem Dach, am Ende wieder als Spyder.

Ferrari beschickte aus Finanzschwäche nicht einmal alle Rennen der Sportwagen-WM 1969. Der Wagen war unzweifelhaft eine Schönheit und liess zwischendurch die Muskeln spielen, aber es mangelte an konstantem Speed, um Porsche und Ford bezwingen zu können, dazu kam eine erschreckende Unzuverlässigkeit. Bestes Ergebnis: Platz 2 von Amon/Andretti in Sebring hinter dem Ford GT40 von Ickx/Oliver, Platz 2 von Rodríguez/Piper in Spa-Francorchamps, dieses Mal hinter dem Porsche-908-Duo Siffert/Redman. Längst war klar: Abgesehen von der jämmerlichen Standfestigkeit war mit einem Dreiliter gegen die Fünfliter-Konkurrenz kaum zu bestehen. Werksmässig wurde der 312 P nur bei sechs Rennen an den Start gebracht.

Schwer vorstellbar, dass jemand die Historie des 312 P vollständiger aufrollen könnte als Gianni Agnesa. Der Sarde beginnt sein Werk mit einem Interview mit Ingenieur Giacomo Caliri sowie mit Dr. Peter Schetty, der sich bei Ferrari vom Rennfahrer (Berg-Europameister 1969) zum Rennleiter hocharbeitete. Ihre Erinnerungen sind gewissermassen der Appetithappen für die acht folgenden Gänge, pardon: Kapitel.

Nach eingehender Würdigung der Entstehung des 312 P (basierend auf dem CanAm-Spyder 612) geht es auf die Teststrecke, wo in Modena und Monza Probleme auftauchten, die nicht beschönigt werden. Agnesa würzt das Buch mit knackig kurzen Biographien der jeweils Beteiligten, beim Konzept und Test des 312 P sind dies neben Caliri der Motorspezialist Franco Rocchi, Rennfahrer Chris Amon, Ferrari-Spredher Franco Gozzi und Mike Parkes, als Ingenieur so begabt wie als Rennfahrer.

Nach weiteren Tests mit Ernesto Brambilla und Peter Schetty, Clay Regazzoni und Derek Bell geht es zu den Renneinsätzen, die detailliert und liebevoll bebildert erzählt werden. Überhaupt: Die 240 schwarzweiss- und Farbfotos sind rundweg ein Knaller, Agnesa konnte hier aus dem Vollen schöpfen, allen Quellen voran aus dem Archiv von McKlein. Die Fotos sind von hervorragender Qualität, die Motivauswahl zeugt von Sachverstand und Hingabe.

Der Leser wird ans Set von Steve McQueens Kultfilm «Le Mans» geführt, erfährt von der Metamorphose zum wiederum offenen 312 P im Jahre 1971 und zum Chinetti Special (ästhetisch kein Gewinn), bevor Kapitel 8 von der Restaurierung von Chassis 0872 berichtet. Abgerundet wird das tolle Buch von technischen Daten, Rennergebnissen sowie dem 312 P als Modellauto und 3D-Modell.

Fazit: Aus jeder Zeile sickert das Herzblut von Gianni Agnesa, durch seine zahlreichen Gespräche mit den Männern hinter und im Ferrari 312 P erhält das Buch viel Tiefe. Die Magie der Fotos haben wir bereits angesprochen, aber Agnesa fesselt mit seinem Werk auch durch abwechslungsreich servierte Information. Alles in allem eine überaus würdige Verneigung vor dieser Schönheit aus Maranello.

Das Wichtigste in Kürze

Gianni Agnesa: 312 P – Ferraris vielleicht schönster Rennwagen
Von McKlein Publishing
ISBN: 978-3-947156-19-1
264 Seiten, 240 Fotos und Grafiken
Dreisprachiger Text (Deutsch, Englisch, Italienisch)
Format 29,5 x 27 cm
Hardcover im Schuber
Für 89,90 Euro im Fachhandel oder direkt bei  www.rallyandracing.com

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