Ein Hoffnungsschimmer bei der KTM AG

Colin Chapman: Auf den Spuren eines Revolutionärs

Von Mathias Brunner
Am 16. Dezember 1982 verstarb Lotus-Gründer Colin Chapman. Der Engländer hat den Rennwagenbau revolutioniert. Ein neu aufgelegtes Buch beleuchtet die ganze Genialität eines rätselhaften Mannes.

Diese Nachricht ging am 16. Dezember 1982 um die Welt: Colin Chapman ist tot, mit nur 54 Jahren von einem Herzanfall dahingerafft. Der Engländer galt als der genialste Rennwagenbauer seiner Zeit, jeder Formel-1-Fahrer wollte seine Autos fahren, denn viele Jahre lang setzte Lotus Massstäbe. Seine Konstruktionen waren immer umstritten. Niemand brachte das besser auf den Punkt als der Österreicher Jochen Rindt: «Entweder ich werde mit Lotus Weltmeister oder ich sterbe.» Die Grausamkeit des Schicksals wollte es, dass beides passierte – Rindt kam im Abschlusstraining zum Grossen Preis von Italien 1970 ums Leben, wenige Monate später wurde er posthum zum Weltmeister erklärt.

Auf vielfachen Wunsch ist die beste Biographie über Colin Chapman im Sommer 2021 neu aufgelegt worden. Der Autor hat bislang wenig bekannte Seiten des genialen Chapman zu Tage gebracht, im typischen Ludvigsen-Stil verfasst – detailreich, aber immer gewürzt mit zahlreichen Anekdoten, technisch hochstehend, ohne sich jedoch selbstverliebt in Fachsprache zu verlieren.

Chapman war nicht unumstritten: Er konnte launisch sein, herrisch gar, gewiss kein einfacher Arbeitgeber. Es wurde ihm vorgeworfen, geschickt Ideen anderer zu übernehmen, zu verfeinern und als seine eigenen darzustellen. Autor Ludvigsen geht auch solchen Fragen nach, Ecken und Kanten werden nicht schöngeschliffen. Wegbegleiter Chapmans nehmen kein Blatt vor den Mund.

Wir streifen zahlreiche Glanzlichter aus dem reichen Leben von Colin Chapman: Heute werden Formel-1-Autos von Spezialisten gebaut, jeder auf seinem Gebiet herauragend. Chapman verstand den Wagen als Ganzes, er war punkto Kraftübertragung so bewandert wie bei Fahrwerkstechnik, die Aerodynamik faszinierte ihn so sehr wie Leichtbau.

Vor allem jedoch war Chapman ein Querdenker. Wenn er ein Reglement studierte, dann wollte er nicht umsetzen, was dort stand, er suchte vielmehr nach Mitteln und Wegen, ein Rennauto zu bauen, das verkörperte, was im Reglement zu erwähnen versäumt worden war.

Wir erfahren alles über bahnbrechenden Erfindungen wie den Monocoque-Chassisbau oder den mutigen Schritt in den Bereich Flügelautos. Chapman wusste genau, wie er sich mit einigen der hellsten Köpfe der Branche umgeben musste, und er trieb sie zu neuen Höchstleistungen an.

Wir begleiten Colin Chapman nach Amerika, wo er das IndyCar-Establishment dermassen blamierte, dass wegen ihm das Reglement geändert wurde.

Autor Ludvigsen behält in dieser spannenden Biographie immer den Menschen hinter der Technik im Brennpunkt: Wie wegweisende Lösungen gesucht, gefunden und umgesetzt wurden. Vieles davon war so umwälzend, dass Chapman dafür geächtet wurde.

Die einzigartige Laufbahn von Colin Chapman wird dabei nicht in verkrusteter Chronologie nacherzählt, sondern Karl Ludvigsen setzt in seinem Dutzend Kapiteln thematische Schwerpunkte, durch die wir dem Erfinder und Menschen Chapman näherkommen: Wie er auf seine Ideen kam, Motoren und Kraftübertragung, Chassis und Aufhängungen, Leichtbau und Aerdynamik, wie er mit Menschen allgemein und Rennfahrern im Besonderen umging.

Anthony Colin Bruce Chapman wurde am 19. Mai 1928 in Richmond (Surrey) geboren, sein Vater war Hotel-Manager. Der junge Chapman studierte Ingenieurswesen, Fachgebiet strukturelle Belastung. Luftfahrttechnik übte auf ihn enorme Faszination aus. Selbst zu seinen erfolgreichsten Zeiten als Rennwagenkonstrukteur und Teamchef war er immer mit einigen Flugzeug-Zeitschriften anzutreffen. Nach kurzer Zeit in der Royal Air Force sowie bei einem Unternehmen für Aluminium-Technik (British Aluminium) gründete er 1952 die Firma Lotus Cars. Sich unterordnen, in Militär oder im Zivilleben, das war nicht sein Ding.

Neben einigen kleineren Serien-Sportwagen wurde der Rennsport jenes Umfeld, in dem sich Chapman am wohlsten fühlte und wo er seine Kreatitivät am besten ausleben konnte. Für ihn war schnell klar, dass Power nicht alles ist. Leichtbau war sein Credo, von der ersten Stunde an. Es war auch Anlass zu ständiger Sorge. Graham Hill bemerkte einmal trocken: «Wenn du von deinem eigenen Hinterrad überholt wirst, dann weisst du, du sitzt in einem Lotus.»

Chapman war der erste Konstrukteur, der in der Formel 1 eine Monocoque-Bauweise verwendete und keinen Gitterrahmen. Selten haben ein Rennwagenbauer und ein GP-Star so eng zusammengearbeitet wie Chapman mit Jim Clark. Später meinte der Engländer, er habe nur noch einmal mit einem Fahrer eine solche Symbiose erlebt, das war Mario Andretti.

1977 tauchte mit dem Lotus 78 erstmals ein Wagen auf, die unter den Seitenkästen ein umgekehrtes Flügelprofil hatten. Der dadurch gewonnene Anpressdruck führte zu wesentlich höheren Kurvengeschwindigkeiten als bei einem herkömmlichen Formel 1. Mit dem der Weiterentwicklung des «Wing Cars», dem Lotus 79, wurde Mario Andretti 1978 Weltmeister, es war der letzte Titel für Chapman.

Auf der Suche nach einem neuen, einzigartigen Projekt liessen sich Chapman und seine Weggefährtenliessen ein Auto einfallen, das zwei Chassis-Einheiten mit je einer Aufhängung aufwies. Das innere Chassis (Fahrerzelle und Motor) war verhältnismässig komfortabel gefedert; das äussere Chassis (komplette Verkleidung, einschliesslich Schürzen aus Keramik) hingegen sehr hart. Hintergrund: Mit zunehmendem Tempo, also grösserer aerodynamischer Last, sollte es zu Boden gepresst werden, zur Seite abdichten, und – voilà! – schon haben wir wieder ein Flügelauto, wie es auch wirklich funktionieren sollte.

Der entscheidende Knackpunkt im Reglement: Aus dem Original auf Französisch ging nicht hervor, ob mit «Chassis» nur die Einzahl gemeint war oder das auch als Mehrzahl verstanden werden konnte. Es begann ein endloses Theater: Vier Mal wurde das Auto von den lokalen Rennkommissaren als legal eingestuft, vier Mal schritt die Motorsportbehörde (damals FISA) ein und untersagte den Einsatz, weil sie das zweite Chassis als (verbotene) bewegliche aerodynamische Hilfe ansahen. Beim Heimrennen in Silverstone wurde Chapman mitgeteilt, falls er nochmals seinen Kopf mit dem Doppel-Chassis-Wagen durchzusetzen gedenke, würde man ihn aus der Weltmeisterschaft werfen. Das Auto hat nie einen WM-Lauf bestritten. Chapman hat das den Behörden nie verziehen und reagierte mit grosser Bitterkeit.

Beim Grossen Preis von Österreich 1982 beendete Elio de Angelis eine Serie von drei sieglosen Jahren von Lotus, mit einem Herzschlagfinale gegen Keke Rosberg im Williams. Keiner konnte ahnen, dass Colin Chapman an diesem Tag seine Kappe zum letzten Mal als Siegergruss in die Höhe warf.

Das Wichtigste in Kürze

Karl Ludvigsen: Colin Chapman – Inside the Innovator
Mit einem Vorwort von Emerson Fittipaldi
Neu aufgelegt von Evro Publishing
ISBN: 978-1-910505-64-9
400 Seiten, mehr als 550 Fotos und Grafiken
Text in englischer Sprache
Format 27 x 21 cm
Für rund 59 Euro im Fachhandel oder direkt bei Evro Publishing


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