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Jacky Ickx: Grandiose Verneigung vor einem Star

Von Mathias Brunner
​Die 1960er und 1970er Jahre waren, wortwörtlich, brandgefährlich. Das wird auch von der reichhaltigen Karriere des Belgiers Jacky Ickx bewiesen. Ein neues Buch zeigt seine 483 Einsätze und sehr viel mehr.

Ich muss immer ein wenig schmunzeln, wenn im Motorsport jeder Nachwuchsfahrer gleich zum Star ernannt wird, wenn er mal zwei Rennen in Serie gewonnen hat. Pardon, ein Star, das ist etwas Anderes. Star-Charisma verströmen Menschen, die Grosses geleistet haben oder noch immer leisten. Stars unter den Rennfahrern sind selten. Jacky Ickx ist einer von ihnen.

Als der heute 77-jährige Belgier vor vier Jahren in Spa-Francorchamps mit einem Ferrari 312B um den grossartigen Ardennenkurs heulte, war zunächst in der Boxengasse kaum noch ein Durchkommen, danach hingen die meisten Teammitglieder am Zaun der Boxenmauer, um Fahrer und Fahrzeug zu bewundern. Was für ein Auftritt!

Ickx ist einer aus der Garde der grossen Piloten der 1960er und 1970er Jahre, die überlebt haben. Selbstverständlich ist das nicht. Der Brüsseler Ickx gibt zu, dass er in jungen Jahren auf Sicherheit gepfiffen hat, heute sieht er das ganz anders. «Ich darf mich glücklich schätzen, dass ich überlebt habe.» Wie seine Wegbegleiter Jackie Stewart, Emerson Fittipaldi und Mario Andretti.

So wie Andretti ist Jacques Bernard «Jacky» Ickx einer der vielseitigsten Piloten der Rennhistorie: Achtfacher Grand-Prix-Sieger, WM-Zweiter 1969 mit Brabham und 1970 mit Ferrari, sechsfacher Le-Mans-Sieger, Sportwagen-Weltmeister 1982 und 1983, Paris-Dakar-Sieger – mit einer unfassbaren Karriere, die vom ersten Trial auf einer 50-ccm-Zündapp im August 1961 im belgischen Alsemberg bis in den Januar 2000 nach Kairo reicht, wo Ickx nach 483. Wettbewerb seiner Renn- und Rallye-Laufbahn gesagt hat: «Nun ist aber Schluss.»

Autor Jon Saltinstall war immer fasziniert vom Facettenreichtum dieses Ausnahmekönners. Er wollte wissen, wie das nun genau war mit all diesen Rennen. Ickx sagt über den Autoren: «Du musst schon sehr viel Leidenschaft für den Sport empfinden, wenn du meine Karriere dermassen detailliert und präzise aufarbeiten willst. Es hat mir Eindruck gemacht, dass Jon den Mumm hatte, sich an diese Aufgabe zu wagen. Also habe ich ihm meine Mitarbeit zugesichert.»

Das Ergebnis ist ein Buch-Schwergewichtler in jeder Hinsicht: mehr als 600 Seiten, mehr als 900 Fotos, mehr als fünf Kilogramm Gewicht. Wir erfahren nicht nur alles über obige 483 Einsätze, sondern auch viel Wissenswertes über Rennen, an welchen Jacky aus unterschiedlichen Gründen nicht teilgenommen hat, Launiges über Gerüchte rund um den Belgier, Hintergründe über missglückte Pläne, Erzählungen über die Ickx-Welt, weit über den Tellerrand des Motorsports hinaus, über historischen Sport.

«Auch wenn ein Racer egoistisch sein muss», sagt Ickx, «ist der Sport nie ein ich, es ist immer ein wir, denn ohne Mannschaft und Wegbegleiter bist du nichts.» So war es dem Brüssler wichtig, auch über jene Menschen zu schreiben, die sein Leben verändert haben.

Dieses Buch ist kein Schnäppchen, rund 110 Euro, das ist eine Menge. Aber die Menschen werden sich über viele Stunden in diesem tollen Buch verlieren. Kinobesuche für das gleiche Geld dauern mit Sicherheit kürzer.

Jacky sagt: «Das ist keine klassische Biographie, eher ein Nachschlagewerk über mein Leben als Motorsportler. Jon hat unfassbar viele Details aufgestöbert, und was mich am Ende beim Durchlesen des Manuskripts am meisten verblüfft hat – ich musste nichts ändern. Seine Recherche war makellos.»

Vierzig Jahre also, mit Anfängen bei Trial-Veranstaltungen, dann dem Schritt zu Tourenwagen, bevor der Wechsel in Einsitzer unvermeidlich war. Ickx mauserte sich zu einem der besten Regenfahrer der Welt, sass schon Ende der 1960er Jahren in den stärksten Sportwagen der Welt, in den berühmten Rennfarben von Gulf gewann er erstmals das 24 Stunden-Rennen von Le Mans.

Nach ersten Einsätzen mit Tyrrell und Brabham holte ihn Enzo Ferrari nach Maranello, rückblickend ein Hohn, dass ein so talentierter Mann nie Formel-1-Weltmeister geworden ist. Dafür wurde er zu einer Langstrecken- und Raid-Rallye-Legende.

Jon Saltinstall hatte durch die enge Kooperation mit Jackx Ickx nicht nur Zugang zu den reichen Erinnerungen des Belgiers, sondern auch zum Bildarchiv der Familie Ickx. Rennfreunde, die sich schon etwas länger mit Motorsport befassen, werden dieses Füllhorn an Informationen zu schätzen wissen.

Viele moderne Fans, ich nenne sie die Netflix-Generation, werden beim Namen Jacky Ickx ein wenig ratlos mit den Schultern zucken. Wer sich von ihnen auf dieses Buch einlässt, sollte sich auf einen heissen Ritt gefasst machen: Denn hier zeigt sich der ganze wundervolle Wahnsinn der Rennepoche von 1960 bis 1980. Sorry, aber da galt «Drive to Survive» im doppelten Sinne wörtlich.

Ich glaube nicht, dass eine Rennkarriere umfassender gezeigt werden kann, aber Saltinstall gelingt es, den Leser immer in Atem zu halten – mit stets neuen Details und vielen Geschichten, die zum ersten Mal erzählt werden.

Das Buch ist hochwertig produziert, mit viel Herzblut in Sachen Layout und Bildauswahl. Auf jeder Seite wird klar, wie viel Zeit der Rennfahrer und der Buchautor sich dafür genommen haben. Wir halten das Ergebnis von fast drei Jahren Arbeit in Händen und dürfen loben: ein weiterer grosser Wurf aus dem Hause Evro.

Das Wichtigste in Kürze

Jon Saltinstall: Jacky Ickx – His Authorized Competition History
Mit einer Einleitung von Jacky Ickx
Mit einem Vorwort von Derek Bell
Aus dem Verlag Evro, England
ISBN: 978-1-910505-80-9
Text in englischer Sprache
Format 28 x 23,5 cm
608 Seiten
Mehr als 900 Fotos
Für rund 110 Euro im Fachhandel oder direkt bei Evro Publishing

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