Dieter Braun zum Monza-Drama 1973: «Bild des Grauens»

Von Günther Wiesinger
Dieter Braun (Mitte) bei einem Classic Event mit Peter Rubatto und Freddie Spencer

Dieter Braun (Mitte) bei einem Classic Event mit Peter Rubatto und Freddie Spencer

«Diese Ereignisse vergesse ich nie», sagte der zweifache Weltmeister Dieter Braun zur Katastrophe von Monza 1973, die Saarinen und Pasolini das Leben kostete.

In den 1970er-Jahren fanden durchschnittlich zwölf Motorrad-GP im Jahr statt. Es gab keine Übersee-Events, aber viele WM-Läufe auf gefährlichen Straßenkursen wie die Tourist Trophy auf der Insel Man, der 60 km lange Mountain-Circuit flog erst nach Gilberto Parlottis Todessturz in der 125er-Klasse aus dem Kalender. 1977 wurde dann der British Motorcycle Grand Prix erstmals auf dem Silverstone Circuit ausgetragen.

Wenn wir einen Blick auf die Saison 1971 werfen, so fanden damals neben der TT weitere Road Race Grand Prix auf öffentlichen Straßen in Spa-Francorchamps statt, dazu auf dem Sachsenring, in Brünn, in Imatra und Ulster. Zu den permanenten GP-Strecken gehörten Hockenheim, Salzburgring, Assen, Anderstorp (dort war eine Flughafen-Runway Bestandteil der Piste), Monza und Jarama. Aber damals wurde selbst auf den permanenten GP-Circuits die Sicherheit nicht sehr großgeschrieben.

Die Straßenkurse gehörten zum Alltag, und wegen der geringen Grand Prix-Anzahl nutzten die GP-Rennfahrer bei vielen Gelegenheiten die Teilnahme an Road Races auf Pisten wie Raalte, Hengelo, Tubbergen, Schwanenstadt, Ziersdorf und so weiter. Auch Bergrennen wurden gegen ein entsprechendes Startgeld mitunter ins Programm aufgenommen.

Dieter Braun, der gestern seinen 80. Geburtstag feierte, kann sich gut an das internationale Rennen 1971 in Ziersdorf/Niederösterreich erinnern, bei dem wegen eines Sturms die Strohballen wie leere Plastiksäcke über die Rennstrecke geweht wurden, die durch mehrere Ortschaften führte. Das Rennen wurde abgebrochen. 

«Ich bin im 250er-Rennen vorher beim Überrunden gestürzt, dabei hätte ich gar nicht so zu pressieren brauchen, weil ich einen Mords-Vorsprung hatte. Aber in der zweitletzten Runde wollte ich einen Österreicher überrunden, der 50 km/h langsamer gefahren ist als ich. Ich habe zuerst gemeint, er gibt auf und rollt zur Box… Ich wollte innen vorbei, plötzlich tat er das Knie raus und fuhr ganz nach innen auf den letzten Zentimeter. Ich habe keinen Platz gehabt und konnte in der Schräglage nicht mehr so stark bremsen. Ich habe den Nachzügler mit meinem Vorderrad gestreift und bin dann quer über die Fahrbahn im 180-Grad-Winkel senkrecht auf eine Gartenmauer drauf gefahren. In dem Moment habe ich mit meinem Leben abgeschlossen. Ich dachte: ‚Das war’s! Jetzt bist du hin!‘ Ich bin Kopf voraus in die Strohballen gekracht, die die Mauer teilweise geschützt hat. Zum Glück hat diese Strohballenmauer zu meiner angenehmen Verwunderung nachgegeben – ich bin im Garten dahinter gelandet. Aber ich bin so knapp über die Mauer geflogen, dass ich Schleifspuren von der Mauer auf der Brust hatte. Wenn sie drei Zentimeter höher gewesen wäre, wäre ich nicht drüber geflogen, sondern hätte voll eingeschlagen.»

Die Katastrophe von Monza 1973

Aber auch auf den moderneren GP-Rennstrecken kam es regelmäßig zu schweren Unfällen. Die schlimmsten Erinnerungen hat Dieter Braun an den verhängnisvollen 250-ccm-GP in Monza 1973, als die Werksfahrer Jarno Saarinen (Yamaha) und Renzo Pasolini (Harley-Davidson) starben.

«Solange ich aktiv gefahren bin, hat es keine schlimmere Katastrophe gegeben als Monza 1973. Denn damals sind 14 Fahrer und Motorräder in einen Massencrash verwickelt worden», blickt der zweifache Weltmeister, dreifache Vizeweltmeister und 14-malige GP-Sieger zurück. «Es hat wie auf einem Schlachtfeld oder wie nach einem Flugzeugabsturz ausgesehen. Denn die Rennfahrer lagen zum Teil leblos auf der Strecke, andere machten die letzten Zuckungen, einige hinkten weg.»

«Da dieser Sturz am Anfang des Rennens passierte, waren alle Tanks voll. Viele Italiener haben damals Plastiktanks verwendet, die aufgeplatzt sind. Die Strohballen haben durch die heißen Auspuffanlagen und den auslaufenden Sprit Feuer gefangen. Es ist alles in Flammen gestanden», erinnert sich Braun. «Dazwischen sind die Motorräder und die Fahrer rumgelegen. Es war ein Bild des Grauens. Ich habe dieses Drama erst in der zweiten Runde gesehen, denn ich bin als Führender in die erste Kurve eingebogen und aus der ersten Runde als Spitzenreiter zurückgekehrt. Ich ahnte nicht, was sich in der ‚Curva Grande‘ hinter mir abgespielt hat. Das sah ich erst, als mir einige Fahrer wie John Dodds entgegenliefen und mich abwinkten.»

Bei diesem Gran Premio delle Nazione im Königlichen Park von Monza 1973 führten wahrscheinlich ein Ölfleck und ein Kolbenklemmer zur geschilderten Katastrophe im 250-ccm-WM-Rennen. «'Non solum sed etiam'. Nicht nur, sondern auch, würde ich sagen, wenn mich meine spärlichen Latein-Kenntnisse nicht im Stich lassen. Ich vermute, dass eventuell das Öl und das Blockieren des Motors zusammengewirkt haben», stellte Dieter Braun fest. «Im vorausgegangenen 350-ccm-WM-Rennen war ich zunächst im Spitzenpulk; er bestand aus Agostini, Pasolini und Länsivuori. Mit circa 30 Metern Abstand folgte meine Gruppe mit Kent Andersson und John Dodds. Die gefährliche High-Speed-Kurve ‘Curva Grande' am Ende der Zielgeraden war damals ohne Schikane für die Spitzengruppe eine Vollgaskurve, aber nur unter optimalen Bedingungen. Bei Halbzeit des Rennens bemerkte ich, dass meine Yamaha in besagter Kurve hinten total unruhig lag, worauf ich an dieser Stelle ein wenig mit gebremstem Schaum fuhr.»

Braun weiter: «Ich konnte meine Kampfgruppe also nicht mehr halten und rutschte auf den siebten Platz ab. Nach diesem 350-ccm-Rennen sah ich an der Benelli von Walter Villa, dass die Hochschulterfelge randvoll mit Öl gefüllt war, was mir auch die dunkle Spur auf der Ideallinie erklärte. Er könnte also die Ölspur gelegt haben. Dazu fehlten an meinem Hinterreifen ganze Profilblöcke, was sich anfühlte, als wäre das Hinterrad nicht ausgewuchtet gewesen. Slicks waren damals noch nicht im Einsatz, sie kamen erst 1976...»

Braun weiter: «Die mögliche Ursache bei meinem Hinterreifenproblem war wahrscheinlich, dass durch den starken Schlupf bei hoher Geschwindigkeit die Reifentemperatur zu hoch wurde. Ich habe jedoch nach dem Crash von inoffizieller Seite erfahren, dass die Harley-Davidson von Renzo Pasolini in der Curva Grande festgegangen war. Das ist meines Erachtens die Ursache für den Horror-Crash mit 14 Piloten gewesen. Die Harley-Davidson-Motorräder, die von Aermacchi abstammten, sind immer schon häufiger festgegangen als die Yamaha. Aber wir fuhren zu dieser Zeit zum Grossteil mit Zweitaktern – und deshalb war das Festgehen oft eine Sturzursache. Deshalb bin ich mit 99,9-prozentiger Sicherheit überzeugt, dass der Massensturz durch einen Kolbenklemmer an der Harley von Pasolini ausgelöst worden ist. Das sind Ereignisse, die vergesse ich nie.»

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