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Hans-Georg Anscheidt: Blick in eine andere Welt

Von Günther Wiesinger
Hans-Georg Anscheidt gewann in den 1960er-Jahren als Suzuki-Werkspilot drei WM-Titel. Heute blickte er auf dem Sachsenring zurück auf seiner schillernde Karriere.

Auf dem Sachsenring kam es heute zu einem freudigen Wiedersehen mit dem dreifachen Motorrad-Weltmeister Hans-Georg Anscheidt, der von der Dorna jetzt als Legende in die virtuelle «Hall of Fame» aufgenommen wurde und von Dorna-CEO Carmelo Ezpeleta mit einer Medaille geehrt wurde.

Der rüstige Hans-Georg Anscheidt galt als Herrenfahrer und vortrefflicher Zweitakt-Techniker und Tüftler. Er errang seine ersten großen Erfolge zu Beginn der 1960er-Jahre als Kreidler-Werksfahrer, wobei er aber nicht nur im Straßenrennsport glänzte, sondern auch bei den Geländesport-Wettbewerben seinen Mann stand. «Ich habe für Kreidler 1960 in Österreich und 1961 in England die Internationale Gelände-Sechstagefahrt gewonnen, also die Six Days», schilderte Anscheidt, der am 23. Dezember 1935 in Königsberg (Preußen) geboren wurde und sich mit seinen 87 Jahren bester Gesundheit erfreut.

Wegen seiner überschaubaren Körpergröße von 166 Zentimetern war Anscheidt für die kleinen Klassen prädestiniert, vor allem für die 50-ccm-Klasse, die in der Weltmeisterschaft 1961 erstmals auf dem Programm stand. «Ich war damals als Kreidler-Werksfahrer der erste Rennfahrer, der einen 50-ccm-WM-Lauf in Montjuich gewann. Dieser anspruchsvolle Straßenkurs gefiel mit besonders; ich habe dort vier oder fünf WM-Läufe gewonnen. Ich bin auch viermal auf der Insel Man gefahren.»

Den Sachsenring-GP in der DDR bestritt Anscheidt nie, weil zu seiner Zeit keine 50er-Klasse ausgetragen wurde. «1968 sollte ich in Sachsenring die Neckermann-MZ fahren. Aber sie hat im Training nach einer halben Runde zu bocken und zu knallen begonnen und dann gestreikt. Deshalb habe ich am Rennen nicht teilgenommen.»

Freigabe von Kreidler, dann zu Suuki

«Kreidler gewann nie einen WM-Titel und hatte Mitte der 1960er-Jahre keine Lust mehr zum Weitermachen», schilderte der jetzt in Bayern lebende Champion. «Kreidler stand gegen die neuen japanischen Giganten wie Honda und Suzuki auf verlorenem Posten. Bei einem Rennen in Belgien drückte mir dann ein Bote aus Japan ganz heimlich eine Nachricht in die Hand, ich solle mich bei Suzuki melden. Bis dahin hatte ich Herrn Kreidler in sechs Jahren nur einmal getroffen, denn er lebte in der Schweiz und kam nur selten zu nächtlicher Stunde mal ins Werk in Kornwestheim bei Stuttgart. Ich sagte ihm, dass mich Suzuki beim WM-Finale 1965 in Suzuka/Japan mit der 50er einsetzen möchte; er hat mir die Freigabe erteilt.»

Bei Suzuki wurde der Deutsche nur «Hansgen» genannt, die Japaner trauten ihm in erster Linie Erfolge auf der 50-ccm-Zweizylinder-Maschine zu; Anscheidt gewann in souveräner Manier 1966 und 1967 zweimal die 50-ccm-Weltmeisterschaft.

«Die japanischen Hersteller zogen sich nach 1967 wegen des rigorosen neuen Technik-Reglements aus der WM zurück. Aber Suzuki überliess mir eine 50-ccm-Zweizylinder-Werksmaschine von Katayama. Später habe ich dann quasi als Belohnung auch zwei Suzuki 125 für die Deutsche Meisterschaft erhalten. Das war außergewöhnlich, denn üblicherweise wurden alle Werksmaschinen nach der Saison verschrottet.»

Honda versenkte die Werksbikes sogar vor Amsterdam zu Dutzenden im Meer, um sich den kostspieligen Rücktransport nach Japan zu ersparen.

Übrigens: Mit einer weiteren Suzuki aus dem Anscheidt-Fundus siegte dann noch Dieter Braun 1970 in der Achtelliter-WM.

Der SPEEDWEEK.com-Berichterstatter bewunderte Anscheidt bereits am 1. Mai 1968 beim Autobahnrennen in Salzburg auf der 125er-Suzuki. «Ja, da bin ich gestürzt, mein Motorrad hat Feuer gefangen, weil es mit dem Tank zuerst in den Strohballen eingeschlagen hat», erinnert sich Hans-Georg bis heute an diesen spektakulären Unfall.

Ein Geheimnis, das Hans-Georg Anscheidt schon vor 20 Jahren mit dem Berichterstatter teilte, als er noch ein Haus in Oliva an der spanischen Costa Blanca bewohnte: Suzuki konstruierte gegen die starke Honda-Viertakt-Konkurrenz sogar eine 50-ccm-Dreizylinder!

«Der Motor leistete 20 PS. Aber das Leistungsband reichte nur von 19.500 bis 20.000/min. Wir hätten also ein neues Getriebe mit mehr als den 14 Gängen gebraucht, die uns beim 50er-Twin und beim 125er-Twin zur Verfügung standen. Ich habe diesen Prototyp in Japan acht Tage lang getestet, die Entwicklung wurde aber nachher nicht mehr weiter betrieben.»

Wer waren die härtesten Gegner von Anscheidt? «Da muss ich zuerst den Schweizer Luigi Taveri auf der Honda nennen, dann meinen Suzuki-Teamkollegen Hugh Anderson und den Japaner Joshimi Katayama, gegen den ich bei Suzuki in der 50er-WM gekämpft habe.»

Da die Slickreifen erst Mitte der 1970er-Jahre in die WM kamen, war der Begriff Reifenwahl zu Anscheidts Zeiten ein Fremdwort. «Wir hatten dieselben Profilreifen für trockene und nasse Fahrbahn sowie für gemischte Verhältnisse. Ein Sliden oder Rutschen kannten wir nicht. Entweder hielt der Reifen – oder du bist gestürzt.»

Die Bilanz von Hans Georg Anscheidt

• 1961: 50-ccm-Europameister auf Kreidler
• 1962: 50-ccm-Vizeweltmeister auf Kreidler
• 1963: 50-ccm-Vizeweltmeister auf Kreidler
• 1964: 50-ccm-WM-Dritter auf Kreidler
• 1966: 50-ccm-Weltmeister auf Suzuki
• 1967: 50-ccm-Weltmeister auf Suzuki
• 1968: 50-ccm-Weltmeister auf Suzuki
• 14 Grand Prix-Siege
• Deutscher 50-ccm-Meister: 1962, 1963, 1964, 1965, 1966, 1967, 1968
• Deutscher 125-ccm-Meister: 1966 und 1967

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