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Ducati-Motor mit Desmodromik: Das sind die Vorteile

Von Rolf Lüthi
Wenn man in die technischen Details eintaucht, kann man zum Schluss kommen: Eine desmodromische Ventilsteuerung hat im Motocross sogar mehr Vorteile als im Strassenrennsport.

Um aus einem Motor mit festgelegtem Hubraum möglichst viel Leistung rauszuholen, muss möglichst viel Benzin-Luft-Gemisch von hoher Qualität effizient verbrannt und die daraus gewonnene Energie im Motorrad-Rennsport möglichst verlustfrei in mechanischen Vortrieb umgeformt werden.

Einer von mehreren Faktoren, um in einem Viertakt-Motor möglichst viel Gemisch zu verbrennen, sind effiziente Gaswechsel und damit verbunden eine gute Zylinderfüllung mit Frischgas auch bei hohen Drehzahlen. Soweit die Binsenweisheiten.

Eine gute Zylinderfüllung und -entleerung hängt von mehreren Faktoren ab, ein entscheidender Faktor ist die Menge Frischgas, die man während des Ansaugtaktes durch die Ventilöffnung kriegt. In konventionellen Ventiltrieben mit zwei obenliegenden Nockenwellen sind die Ventilfedern ein beschränkender Faktor.

Sind Nockenwellen mit hohen Ventilbeschleunigungen verbaut, schaffen es die Ventilfedern bei steigender Drehzahl nicht mehr, den Kontakt der Ventilschäfte mit den Nocken oder, falls verbaut, mit den Schlepphebeln sicherzustellen. Es kommt zum so genannten Ventilflattern. Die Leistung bricht ein, zerstörerischer Verschleiss an Nockenwellen, Schlepphebeln und Ventilschäften tritt auf, im Extremfall bricht eine Ventilfeder, was zum Motorschaden führt.

Diese Drehzahlgrenze kann mit leichteren Titanventilen, Schlepphebeln zwischen Nocken und Ventilschäften und mit hochwertigeren, härteren Ventilfedern nach oben verschoben werden, wobei höhere Drehzahlen generell und härtere Ventilfedern im Besonderen zu erhöhtem Verschleiss im Ventiltrieb führen.

Auf die Spitze getrieben wurde dieses Vorgehen Anfang der 2000er Jahre im MotoGP Rennsport. Da gingen die Hersteller so nahe an die Belastungsgrenze der Ventilfedern, dass diese wegen Materialermüdung nicht mal mehr ein Rennwochenende durchstanden und die Mechaniker die Ventilfedern aus Sicherheitsgründen jeden Abend auswechseln mussten.

MotoGP: Pneumatische Ventilfedern
Inzwischen haben im MotoGP alle Hersteller – ausser Ducati – auf pneumatische Ventilfedern gewechselt. Deren Funktionsprinzip ist vergleichbar mit einer Fahrradpumpe, der man den Luftauslass mit dem Finger zudrückt und dann den Pumpenhebel betätigt.

In den MotoGP-Rennmotoren betätigt der Nocken der Nockenwelle einen Schlepphebel, der wiederum gegen den Ventilschaft drückt und das Ventil öffnet. In Position gehalten und geschlossen wird das Ventil nicht von einer Metallfeder, sondern von einem Kölbchen, das in einer zylindrischen Bohrung im Zylinderkopf läuft. In diesem Zylinderchen wird durch den mit den Ventilschaft verbundenen Kölbchen Stickstoffgas mit einem Druck von rund 10 bar komprimiert.

Weil es nicht gelingt, diese Stickstoffgasfedern (an einem Vierzylinder-Rennmotor deren 16 Stück) komplett hermetisch abzudichten, führen die MotoGP-Rennmaschinen eine kleine Gasflasche mit, gefüllt mit Stickstoffgas mit hohem Druck. Wenn die Ventile geschlossen und die Gasdruckfederchen entspannt sind, öffnet sich eine Bohrung und über eine Leitung und ein Regelventil wird der Druck vom Gasreservoir auf einen definieren Wert nachjustiert. Dieses System war zu der Zeit im Automobilrennsport längst etabliert: In der Formel 1 hatte Renault schon 1986 pneumatische Ventilfedern.

Die umgangssprachliche Bezeichnung «pneumatische Ventilsteuerung» ist unzutreffend, es handelt sich um eine mechanische Ventilsteuerung mit einer Gasdruckfeder anstelle der konventionellen Metallfeder. Eine Gasdruckfeder wirkt progressiv, was in dieser Anwendung ein grosser Vorteil ist, weil der höchste Druck erfolgt, wenn er gebraucht wird: Wenn der Schlepphebel über die Spitze der Nocke gleitet. Diese Anordnung ermöglicht in der Summe höhere Drehzahlen bei (im Rennbetrieb auf WM-Level) beherrschbarem Verschleiss.

Im Serienfahrzeugbau wird dieses System nicht verwendet, was sich auch kaum ändern wird. Es ermöglicht hohe und höchste Drehzahlen, die im Strassenverkehr nicht gefragt sind, und es müsste wegen der begrenzen Kapazität des Gasreservoirs mit einem vom Motor angetriebenen Kompressor ergänzt werden, um den Druck im System über längere Distanzen konstant zu halten. Auch im Motocross verwendet nach Kenntnisstand ihres Autors niemand ein solches System, selbst die Werksteams lassen wegen des hohen Aufwandes die Finger davon.

Damit kämen wir, spät, aber doch, zu den Vorteilen der desmodromischen Ventilsteuerung (kurz Desmo), wie sie im Motorradrennsport und im Serienmotorradbau derzeit einzig Ducati verwendet. Diese Ventilsteuerung funktioniert ohne Federn. Die Ventile werden konventionell geöffnet, das Schliessen der Ventile erfolgt ebenfalls mit einer Nockensteuerung über einen Schliesserhebel, der am Ventilschaft angreift. Mit Desmo sind grössere Ventilbeschleunigungen und damit grössere Ventilhübe realisierbar – die Ventile können schneller geöffnet und geschlossen werden und die Ventile können weiter geöffnet werden, was effiziente Gaswechsel ermöglicht.

Trotz dieses Vorteils ist es nicht so, dass Ducati dank Desmo dank überlegener Motorleistung alle anderen Hersteller einfach stehen lässt. Womit wir, noch später, aber immerhin doch noch, eine weit einfachere Möglichkeit erwähnen, die Zylinderfüllung zu verbessern: Indem man einfach die Ventile, vor allem die Einlass-Ventile, länger offen stehen lässt. Das führt zwischen Auslass- und Ansaugtakt zu so genannter Überschneidung: Die Auslass-Ventile sind noch nicht geschlossen, wenn schon die Einlassventile geöffnet werden.

Das führt bei hoher Drehzahl zu verbesserter Leistung, hat jedoch den Nachteil, dass bei niedrigen Drehzahlen Frischgas in den Auspuff gerät, statt dass es im Zylinder verbleibt. Es resultiert eine Verschlechterung von Leistung und Drehmoment bei niedriger Drehzahl.

Im Strassenrennsport mit modifizierten Serienmaschinen wie Superbike- oder Supersport-WM ist das obere Drehzahldrittel relevant, Drehmoment aus niedriger Drehzahl ist nicht so wichtig. Im Motocross jedoch (und später vielleicht im Enduro- und Rallyesport) bietet Desmo theoretisch einen klaren Vorteil durch ein breiteres Drehzahlband oder bei gleicher Spitzenleistung eine stärkere Drehzahlmitte.

Damit nicht genug der Vorteile, die wir bei Ducati beobachten. Kürzlich stellte Ducati einen Einzylindermotor für den Strassenbetrieb vor, den Superquadro Mono, Antrieb der Hypermotard 698 Mono. Der Ultrakurzhuber hat bei 659 ccm eine Bohrung von 116 mm – und kommt doch ohne Doppelzündung aus. Zum Vergleich: KTM verwendet an seinen Strassen-Einzylindern mit 693 ccm bei 105 mm Bohrung zur Erfüllung von Euro5 eine Doppelzündung.

Schwierigkeit bei grossen Zylinderbohrungen ist der lange Weg der Flammfront von der Zündkerze bis zur Zylinderwand bei durch hohe Drehzahlen beschränkter Zeit. Ducati schafft es anscheinend irgendwie, durch gezielte Steuerung der Strömung im Einlass und Verwirbelung des Frischgases, eine effiziente Verbrennung zu erreichen. Ducati lässt den Begrenzer erst bei 10.250/min eingreifen, KTM muss wegen des längeren Hubs bei 9750/min elektronisch Einhalt gebieten.

SPEEDWEEK will nun keineswegs den Durchmarsch von Ducati an die Spitze der Motocross-WM vorhersagen. Wir erkennen zwar technische Vorteile und aktuell ist der Gewinn der MotoGP-WM, der Superbike-WM und er Supersport-WM im gleichen Jahr schon ein beeindruckender Leistungsausweis.

Im Motocross zählt nach unserer Meinung der Fahrer jedoch ungleich mehr als ein gewisser technischer Vorteil. Und wie versierte SPEEDWEEK-Leser – also alle – wissen, müssen zum Gewinn von Rennen und einer Meisterschaft viele Faktoren ergänzend zusammenpassen. Ebenso können Rennglück und –pech, im Motocross namentlich Rückschläge durch Verletzungen, alle Anstrengungen zunichte machen.

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