Marc Marquez: «Das Ende des Albtraums»

Ducati und Dovi: Chronik eines angekündigen Desasters

Von Günther Wiesinger
Andrea Dovizioso vor Joan Mir: 28 Punkte hinter dem WM-Leader

Andrea Dovizioso vor Joan Mir: 28 Punkte hinter dem WM-Leader

Ducati-Dilemma, 1. Teil: Wie Andrea Dovizioso bei den Roten jegliche Unterstützung verlor und deshalb in der WM 2020 unterzugehen droht.

Yamaha, Suzuki und KTM haben aus der merkwürdigen MotoGP-Saison 2020 Kapital geschlagen und bisher neun der elf Wettbewerbe gewonnen, Ducati hat je einen Sieg mit Andrea Dovizioso (Spielberg) und Danilo Petrucci (Le Mans) errungen. Aber während Suzuki mit Joan Mir und Alex Rins die WM-Positionen 1 und 6 innehat und Yamaha mit Quartararo, Viñales und Morbidelli auf den WM-Rängen 2, 3 und 4 lauert, sieht es bei Ducati düster aus: 5. Dovizioso. 9. Miller. 11. Petrucci. Und die einzigen GP-Sieger aus diesem Jahr werden 2021 nicht mehr zum Ducati-Aufgebot gehören.

Natürlich ist es eine legitime Angelegenheit, wenn Ducati Corse den 34-jährigen Dovizioso und Petrucci (30) durch jüngere Fahrer ersetzt. Ab er im Rennsport geht es um den Erfolg, und deshalb ist es verwunderlich, wenn ein Rennstall wie Ducati einen 15-fachen MotoGP-Sieger und Vizeweltmeister der letzten drei Jahre ausmustert und ihn durch Miller und Bagnaia (bisher ein MotoGP-Podestplatz) ersetzt. Und Miller ist in seiner sechsten MotoGP-Saison einiges schuldig geblieben, auch wenn er zwei Nuller nicht durch eigenes Versagen einkassiert hat.

Aber die Art und Weise, wie Dovizioso nach acht verdienstvollen Jahren bei Ducati abserviert wurde, spottet jeder Beschreibung. Die Roten haben sich damit keinen Gefallen getan. Und die Beweggründe sind teilweise unterirdisch und unverständlich, mitunter wirken sie sogar hinterhältig.

Man weiß gar nicht, wo man bei diesem unwürdigen Theater mit der Aufzählung der unappetitlichen Vorkommnisse beginnen soll.

Ein Überblick der Ereignisse:

– Dovizioso kritisierte beim Sachsenring-GP 2019 öffentlich die Schwächen der Ducati. Er machte seinem Ärger Luft, weil Marc Márquez dauernd auf Platz 1 und 2 landete, während die Desmosedici auf manchen Strecken und bei manchen Verhältnissen kaum für die Top-5 in Frage kam. Deshalb fiel es Petrucci im Vorjahr so schwer, seinen Mugello-Sieg zu bestätigen.

– Als Antwort für die plausible und gerechtfertigte Kritik packte Ducati-Rennchef Gigi Dall’Igna nicht etwa ein rigoroses Entwicklungsprogramm an. Nein, er setzte als Antwort auf die Kritik gemeinsam mit Ducati-CEO Claudio Domenicali innerhalb weniger Wochen eine sinnlose Jorge-Lorenzo-Rückhol-Aktion in Gang, die beim Österreich-GP 2019 offenkundig wurde. Der Spanier sollte für 2020 ins Pramac-Team transferiert werden, Jack Miller trotz mündlicher Zusage entlassen werden. Er verhandelte deshalb in Spielberg mit KTM, es ging um die Zarco-Nachfolge.

– Der geplante Ducati-Deal mit Lorenzo scheiterte jedoch kläglich. Honda erteilte ihm für 2020 keine Freigabe, denn er hatte einen HRC-Vertrag bis Ende 2020.

– Der Haussegen zwischen Dovizioso und Dall‘Igna hing ab diesem Zeitpunkt gründlich schief. Es wurde nur noch in dringenden Notfällen direkt kommuniziert. Dass «Desmo Dovi» trotzdem noch Höchstleistungen brachte und Márquez herausforderte, war bewundernswert.

– Im Mai und Juni 2020 war von Ducati-Sportdirektor Paolo Ciabatti noch zu hören, es sei geplant, den Vertrag mit Dovi um ein bis zwei Jahre zu verlängern. Nach den beiden Jerez-GP wurde aber Pecco Bagnaia als neuer Ducati-Retter gefeiert. Er wurde als beispielhafter Fahrer dargestellt, der den Marc-Márquez-Fahrstil meisterhaft nachahme und im Gegensatzz zu Dovi begriffen habe, wie die GP20 auf Strecken wie Jerez gefahren werden müsse. Gleichzeitig betonte Ciabatti: «Wir werden erst nach dem zweiten Spielberg-GP wieder mit Dovi verhandeln. Vielleicht hat er dann Rennen gewonnen und ist in besserer Laune.»

– Es dürfte aber die Überlegung im Vordergrund gestanden sein: Ende August werden für den WM-Zweiten alle anderen Team-Türen zugefallen sein, deshalb werde er zwangsweise einem saftigen Preisnachlass bei der Gage zustimmen. Dovi startete mit einer Gage von ca. 4 Millionen in die Saison 2020, nahm dann jedoch einen Corona-Rabatt in Kauf. Für 2021 verlangte er vermutlich wieder 4 Millionen. Für diesen Betrag wurde er im Mai von Manager Simone Battistella bei KTM angeboten. Miller und Bagnaia fahren für einen Bruchteil dieser Summe. Es fehlt ihnen aber die Beständigkeit von Dovi und auch von Petrucci. Doch Ducati machte die Rechnung ohne den Wirt: Die Nummer 04 warf im August den Krempel hin. Das Ducati-Management sah hochgradig konsterniert aus.

– Dovizioso hätte 2020 besonders nach der langwierigen Verletzung seines Erzrivalen Marc Márquez von Ducati jede erdenkliche Unterstützung gebraucht – wie sie Yamaha und Suzuki allen Fahrern angedeihen ließ, die daraufhin über sich hinauswuchsen.

Bei Ducati hingegen waren vom Werk eher verbale Hinrichtungen zu hören. Dieses System kommt uns bekannt vor. Domencali hatte auch Lorenzo schon zehn Tage vor dessen ersten Ducati-Sieg in Mugello 2018 mit rufschädigenden Aussagen in aller Öffentlichkeit zum Stümper degradiert. Dessen Rache war süß: Als Ciabatti im Parc Fermé von Mugello 2018 untertänig das Gespräch mit Lorenzo-Manager Albert Valera suchte, bekam er eine Abfuhr. Denn der Mallorquiner hatte sich überraschend mit Repsol-Honda verbündet.

– Ducati war also auch beim zweiten Versuch gescheitert, mit einem MotoGP-Superstar die Schwächen des Motorrads zu vertuschen. Auch Valentino Rossi war mit der schwer zu zähmenden Desmosedici 2011 und 2012 auf keinen grünen Zweig gekommen. Selbst mit einem 17-Mio-Euro-Angebot konnte ihm kein drittes Ducati-Jahr schmackhaft gemacht werden.

– Ducati baut attraktive Straßen-Motorräder und erfolgreiche Rennmaschinen, das Traditionsunternehmen (seit 2012 im Besitz der VW-Group) aus Borgo Panigale gilt als «Ferrari der 2-Rad-Branche». Aber bei der Personalpolitik und auf dem Gebiet von «Human Resources» agiert Ducati offenbar nicht auf Weltklasse-Niveau.

– Wie Ducati mit verdienten Mitarbeitern umgeht, erfuhr 2019 auch Superbike-WM-Werksfahrer Álvaro Bautista am eigenen Leib. Er hatte nach der Saison 2018 seinen Platz im MotoGP-Ducati-Team von Jorge Martinez verloren, das zugesperrt wurde. Sein Manager Battistella transferierte ihn mangels anderer Angebote ins Aruba-Ducati-Superbike-Werksteam. Bautista habe für ein Butterbrot unterschrieben, war damals zu hören, denn das SBK-Fahrer-Budget ging seit 2016 bei Ducati für Chaz Davies drauf, dessen Ducati-Gage damals wegen eines Kawasaki-Angebots auf 700.000 Euro verdoppelt werden musste. Bautista wechselte vor einem Jahr überraschend zu Honda, angeblich für 1 Million Euro, weil er nach dem Gewinn von 16 WM-Laufsiegen in einem Jahr mit der Panigale wieder mehr als ein Renningenieur verdienen wollte. Domenicali warf ihm Treulosigkeit vor und beschimpfte den Vizeweltmeister übel.

– Da niemand begreift, warum Ducati einen Fahrer wie Dovizioso vergrault, bis er freiwillig Reißaus nimmt, ist ein Verdacht nicht ganz von der Hand zu weisen: Dovi muss gehen, weil das oberste Ducati-Management bis heute nicht verkraftet hat, dass im Herbst 2019 Battistella von seinem Recht Gebrauch machte, den Ein-Jahres-Vertrag von Bautista bei Ducati nach 2019 nicht zu verlängern.

– Es wird spannend zu beobachten sein, ob Ducati 2021 mit den Rookies Bastianini, Marini und Martin sowie Miller, Bagnaia und Zarco wesentlich besser abschneidet als in diesem Jahr mit ein paar Routiniers. Zumindest auf dem Papier sieht dieses Aufgebot nicht nach Verstärkung aus. Und das GP20-Bike wirkt nicht besonders schlagkräftig. «Es ist schlimm», seufzte Dovizioso nach Platz 13 beim Teruel-GP.

Die Ducatisti werden 2021 viel Geduld brauchen. Und die Eigentümer bei VW und Audi ebenfalls.

Und irgendwann werden nicht nur die Motorräder auf den Prüfstand gestellt werden, sondern auch die verantwortlichen Manager.

MotoGP: Stand Fahrer-WM nach 11 von 14 Rennen:

1. Mir, 137 Punkte. 2. Quartararo 123. 3. Viñales 118. 4. Morbidelli 112. 5. Dovizioso 109. 6. Rins 105. 7. Nakagami 92. 8. Pol Espargaró 90. 9. Miller 82. 10. Oliveira 79. 11. Petrucci 71. 12. Binder 67. 13. Alex Márquez 67. 14. Zarco 64. 15. Rossi 58. 16. Bagnaia 42. 17. Lecuona 27. 18. Aleix Espargaró 27. 19. Crutchlow26. 20. Bradl 12. 21. Smith 12. 22. Rabat 10. 23. Pirro 4.

Konstrukteurs-WM:

1. Yamaha, 208 Punkte. 2. Ducati 171. 3. Suzuki 163. 4. KTM 143. 5. Honda 117. 6. Aprilia 36.

Team-WM:

1. Team Suzuki Ecstar, 242 Punkte. 2. Petronas Yamaha SRT 235. 3. Ducati Team 180. 4. Monster Energy Yamaha MotoGP 176. 5. Red Bull KTM Factory Racing 157. 6. Pramac Racing 128. 7. LCR Honda 118. 8. Red Bull KTM Tech3, 106. 9. Repsol Honda Team 79. 10. Esponsorama Racing 74. 11. Aprilia Racing Team Gresini 39.

 

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