Läutet Fabio Quartararo eine neue MotoGP-Ära ein?

Kolumne von Michael Scott
Mit 52 Punkten Vorsprung hat Fabio Quartararo (22) drei Rennen vor Schluss alle Trümpfe in der Hand, um sich zum MotoGP-Weltmeister zu küren. Kolumnist Michael Scott geht schon einen Schritt weiter: Was passiert 2022?

Zu behaupten, dass Fabio Quartararo eine Hand auf der MotoGP-Krone 2021 hat, ist eine Untertreibung. Er hat schon einen ganzen Arm darum geschlungen, während die andere Hand (kunstvoll tätowiert) vorsichtig Gas und Bremse bedient, um sicherzustellen, dass nichts mehr anbrennt.

Der 22-jährige Yamaha-Star muss in Misano nur einen Platz vor seinem einzigen verbliebenen Titelrivalen Pecco Bagnaia ankommen, um sich zum ersten französischen Weltmeister in der «premier class» in mehr als 70 Jahren GP-Geschichte zu küren.

Andersrum: Im unwahrscheinlichen Fall, dass der Italiener auf der Ducati die drei ausstehenden Grand Prix in Misano, Portimão und Valencia für sich entscheidet, muss Fabio nur dreimal Achter werden.

Das Zeug zum Champion

Der selbsternannte Teufel («El Diablo») ist gereift und zeigt dies mit einer meisterhaften Saison. Die Statistik belegt die Bandbreite seines Talents.

In 15 Grand Prix stand er 14 Mal in der ersten Startreihe, davon vier Mal auf Pole. Nur in Katar verpasste er die Top-3 im Qualifying, aber er fuhr immerhin aus der zweiten Reihe los. Das untermauert immer wieder sein Können, eine schnelle Runde auf den Asphalt zu brennen, wenn es darauf ankommt.

Dazu stehen fünf Saisonsiege und fünf weitere Podestplätze zu Buche. Nur einmal landete er außerhalb der Top-10, als er in Jerez von Armpump-Problemen eingebremst wurde. Selbst seine schlechten Tage waren noch gut. Das unterstreicht sein Rennfahrerwesen und seine Fähigkeit, das große Ganze zu sehen.

Die Konstanz kürt Weltmeister. Jene Konstanz, die ihm im Vorjahr noch fehlte. Jetzt stellt er seine neu gewonnene Reife unter Beweis. Ein Champion weiß, wie er gewinnt, wenn es möglich ist, aber er weiß auch, wann er die Punkte über seinen Stolz stellen muss.

Die ganze Zeit präsentiert er sich entspannt und fröhlich, mit diesem Schuljungengrinsen, das Bände spricht. Während andere Fahrer lieber in sich gehen und alles rundherum ausblenden, plaudert und scherzt Fabio lieber noch mit seinen Mechanikern.

Neben Reife und Weitsicht braucht ein Champion natürlich auch außergewöhnliches fahrerisches Können.

Davon hat Quartararo jede Menge. Man muss sich nur die anderen Yamaha-Piloten anschauen. Sein Ex-Teamkollege Maverick Viñales kam so sehr aus dem Konzept, dass die Zusammenarbeit noch vor dem Ende der Saison vorbei war. Valentino Rossis Jahr ist so problematisch und seine Ergebnisse so enttäuschend, dass er sich schließlich doch einmal zum Rücktritt entschied. Auch Franco Morbidelli, im Vorjahr noch Vizeweltmeister, hatte schon Mühe, noch bevor ihn die Verletzung zur langen Pause zwang.

Die holprigen Anfänge

Fabio fährt Rennen, seit er vier Jahre alt ist, und er sammelte schon wenig später die ersten Titel. Er gewann zwei CEV-Meisterschaften (die heutige Junioren-WM) hintereinander und wurde schon mit 15 Jahren in die WM befördert: Die Grand Prix Commission passte dafür eigens die Regeln an.

Die Erwartungen waren groß. Fabio gelang es aber nicht zu glänzen – trotz ein paar Podestplätzen im Debütjahr. 2017 stieg er von der Moto3- in die Moto2-Klasse auf, dort gelang ihm im zweiten Jahr ein Sieg. Ein zweiter wurde ihm aberkannt (zu niedriger Reifendruck).

Das war – neben einem Mangel an anderen Talenten – trotzdem genug, um Yamaha und das neue Kundenteam Petronas SRT davon zu überzeugen, ihm für die MotoGP-Saison 2019 einen Platz zu geben. Diese Wahl erschien in gewisser Hinsicht überraschend, aber ihr Vertrauen machte sich bezahlt: Fabio sammelte in seiner Rookie-Saison sieben Podestplätze und forderte Marc Márquez mehrmals heraus, auch wenn ihm der Sieg im ersten Jahr am Ende immer wieder verwehrt blieb.

2020 begann noch verheißungsvoller, aber nach zwei Auftaktsiegen in Jerez kam Fabio vom Weg ab, eine Serie von unberechenbaren Leistungsschwankungen und entmutigten Auftritten ließ ihn bis auf den achten Gesamtrang zurückfallen.

Um sein Temperament kümmerte sich im Winter ein Sportpsychologe, die Beförderung ins Werksteam war ein weiterer Vertrauensvorschuss – den er einmal mehr rechtfertigte.

Wachablösung oder Zwischenlösung?

Es bleibt nur eine brennende Frage: Läutet Fabio eine neue Ära ein, in der die Jugend dominiert? Oder handelt es sich nur um die Fortsetzung des Interregnums, um eine Art Überbrückung bis zu dem Zeitpunkt, an dem Marc Márquez wieder im Vollbesitz seiner Kräfte sein wird?

Man wäre geneigt dazu, das erste zu bevorzugen, vor allem weil Spätzünder Bagnaia zumindest für eine Zwei-Mann-Show sorgen dürfte – oder mehr.

Es gibt noch andere Anzeichen dafür, dass die Krone im kommenden Jahr hart umkämpft sein wird: Die Rookies Martin und Bastianini lassen jetzt schon ihre Stärke erkennen. Auch Fahrern wie Miller, Binder, Mir und Oliveira fehlt es nicht an der Klasse. Und wir sollten Viñales nicht vergessen, Maverick ist auf der stark verbesserten Aprilia auf einer Mission.

Das Rennen in Austin/Texas war aber für sie alle eine ernüchternde Erfahrung. Marc Márquez ist aus körperlicher Sicht noch immer nicht wieder in Bestform, die Nachwirkungen des Oberarmbruchs machen sich weiter bemerkbar.

Dasselbe gilt für seine Honda RC213V, deren Entwicklung in seiner Abwesenheit stehen blieb. Seine Markenkollegen auf der einst in Texas dominierenden V4-Maschine verdeutlichen das: Taka Nakagami war zwar schnell, aber er stürzte. Pol Espargaró und Alex Márquez waren auf den Plätzen 10 und 12 weit weg.

Doch der sechsfache MotoGP-Champion war unantastbar. Unvergleichlich. Unschlagbar. Erneut.

Quartararo wird als wahrscheinlicher Titelverteidiger im kommenden Jahr nicht der eine Mann sein, den es zu schlagen gilt. Diese Rolle wird wieder Márquez zukommen – wie in jedem anderen Jahr seit 2013 und bis zur Verletzung zum verspäteten Saisonauftakt 2020.

Je mehr sich die Dinge verändern, umso mehr bleiben sie sich gleich…

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