Sebastian Risse (KTM): Geheimnis des Big-Bang-Motors

Von Günther Wiesinger
Ing. Sebastian Risse, Technical Coordinator MotoGP bei KTM, erklärt die Vorzüge eines Big-Bang-Konzepts und schildert die Vorzüge unkonventioneller Zündfolgen bei Vierzylinder-Rennmotoren.

Vor fünf, sechs Jahren war im Zusammenhang mit der MotoGP-WM viel von den Vorzügen der Big-Bang-Motoren zu lesen, denn Honda ist nach dem Titelgewinn von Marc Márquez für 2017 zum Big-Bang-Konzept zurückgekehrt, das Yamaha mit dem Crossplane-Reihenmotor, Aprilia und Suzuki schon lange vorher verwendeten. Seit dem Jerez-GP 2017 setzt auch KTM als sechster MotoGP-Hersteller auf ein Big-Bang-Konzept.

SPEEDWEEK.com erkundigte sich bei Ing. Sebastian Risse, der bei KTM Factory Racing die Aufgabe des Technical Coordinators für MotoGP ausfüllt, über die Geheimnisse, die Vorteile und den Sinn unterschiedlicher Zündfolgen bei den 1000-ccm-Vierzylinder-Rennmotoren.

Sebastian, nur wenige Motorsportfans können mit dem Begriff «Big Bang» wirklich etwas anfangen. Kann man laienhaft sagen: Ein Screamer hat eine herkömmliche Zündfolge, beim Big Bang liegt die Zündfolge enger beisammen?

Letztendlich ist es wirklich eine Definitionssache, die je nach Motorkonzept und je nach Anzahl von Zylindern nach meiner Ansicht nach nicht genau festgelegt ist.

Je nachdem, welches Konzept man einsetzt, bewegt man sich da mehr in Richtung einer regelmäßigen Zündfolge oder eben einer ungleichmäßigen Zündfolge. Und dazwischen liegt meist die Realität.

Halten wir dazu einmal banal fest: Ein Viertakter hat vier Arbeitstakte. Und was wäre jetzt eine herkömmliche Zündfolge?
Also ein Einzylinder zündet alle 720 Grad, also nach zwei Kurbelwellenumdrehungen. Wenn man mehr Zylinder hat, dann eben um genau den Faktor weniger Winkel pro Zündung.
Das heißt: Wenn ich einen Zweizylinder habe, könnte ich alle 360 Grad zünden, bei einem Vierzylinder bei jeweils 180 Grad.
Oder ich kann die beiden Zündungen näher zusammenbringen, damit ich dazwischen eine längere und eine kürzere Pause habe.

Ab wann kann man dann bei einem Vierzylinder von einem Big-Bang reden?

(Er schmunzelt). Das ist eine sehr, sehr gute Frage.

Meinem Verständnis nach geht es grundsätzlich mal darum, diese Zündfolge ungleichmäßiger zu machen. Je ungleichmäßiger sie ist, das heißt, je mehr die zwei Kurbelwellenumdrehungen den Rhythmus vorgeben statt zum Beispiel jede Kurbelwellenumdrehung oder jede halbe, desto langsamer passiert alles im Antriebsstrang. Deshalb hört sich der Big-Bang-Motor dann auch so an, als hätte er weniger Drehzahl. Hat er aber nicht. Grundsätzlich können diese beiden Motorkonzepte dieselbe Drehzahl haben. Es kommt dem Fahrer aber sehr anders vor.

Es gab den Big-Bang schon zu Zeiten der 500-ccm-Zweitakt-Maschinen, weil er als benutzerfreundlicher galt. Aber als in der MotoGP-WM vorübergehend nur 20 und 21 Liter pro Rennen erlaubt waren, verschwand er etwas von der Bildfläche, weil er mehr Sprit braucht. Richtig?

Ja, grundsätzlich hilft beim Screamer der eine Zylinder dem andern, über Resonanzen effektiver zu arbeiten.

Letztendlich habe ich also immer weniger Effizienz, wenn ich von der üblichen Zündfolge abweiche. Es ist aber sehr unterschiedlich, je nach Entwicklungsstand des Motors, je nach Betriebspunkt, ob sich das in der Praxis niederschlägt oder nicht.

Die Fahrer sagen, beim Big-Bang sei die Kraftentfaltung sanfter. Die Auswirkungen bei den Rundenzeiten sind aber oft nur geringfügig. Doch es wird der Hinterreifen geschont, weil er nicht auf einen Schlag so viel Power verkraften muss. Richtig?

Theoretisch stimmt das in jedem Fall. Inwieweit uns welcher Mechanismus hilft, ist eine gute Frage, bei der man wirklich ins Detail gehen müsste. Aber der Fahrer nimmt den Motor anders wahr, er versteht den Motor anders. Wenn der Pilot so ein Big-Bang-Konzept gewohnt ist, fällt es ihm leichter zu verstehen, was das Motorrad macht, wenn er diese Geräusche aufnimmt und interpretiert: «Okay, ich bin jetzt in dieser Drehzahl, ich muss jetzt schalten. Ich slide jetzt.’ All das kann mitspielen bei dieser Geschichte, also nicht nur, was der Reifen spürt, sondern auch, was der Fahrer spürt.

Die ersten KTM-MotoGP-Werksfahrer Pol Espargaró und Bradley Smith haben bereits beim Australien-Test im Februar 2017 einen Big-Bang verlangt, wie sie ihn von Tech3-Yamaha gewohnt waren. Der kreischende Screamer hört sich zwar drehfreudiger an, das ist aber eine akustische Täuschung?

Ja, ja.

Wie groß ist der mechanische Aufwand, wenn man bei einem V4-Motor aus dem Screamer einen Big-Bang machen will? KTM hat das im Frühjahr 2017 innerhalb weniger Monate geschafft.

Ja, das ist ein spannendes Thema. Das kommt zuerst mal darauf an, welchen Motor man hat, einen Reihenmotor oder einen V4-Motor.

Beim konventionellen V-Motor, wie ihn Honda, Ducati, Aprilia und KTM haben, ist es zum Beispiel so, dass man jeweils zwei Zylinder gleichzeitig zünden könnte. Dann hat man zweimal pro 720 Grad einen brutalen Impuls.

Ob man aber damit die von den Piloten gewünschte Leistungsentwicklung und die sanfte Charakteristik erreicht, die man braucht, ist eine andere Frage. Je nachdem, wo man sich in diesem Feld zwischen Big-Bang und Screamer befindet, muss man dann mehr oder weniger Bauaufwand betreiben.

Und welchen Aufwand musste KTM betreiben?

Im Normalfall braucht man eine andere Kurbelwelle. Dazu muss man Änderungen im Ventiltrieb vornehmen. Je nach Motorkonzept braucht man noch eine Ausgleichwelle oder nicht. Es kommt bei den anderen Bauteilen ebenfalls auf die Auslegung an, ob man zum Beispiel einen neuen Auspuff benötigt, ob man am Ansaugtrakt Änderungen durchführen muss. Das ist dann von Fall zu Fall unterschiedlich.

Ab wann kann man bei einem V4-Triebwerk von einem Big-Bang reden?

Grundsätzlich ist die Zündfolge beim Screamer so, dass ich bei jeder Umdrehung eine Wiederholung des Zündrhythmus habe.

Wenn dieser Zündrhythmus nicht jede Umdrehung wiederholt wird, sondern nur jede zweite, habe ich dadurch eine ungleichmäßige Zündfolge. In diesem Moment könnte man davon sprechen, in Richtung Big-Bang gegangen zu sein. Jetzt ist aber die Frage, wie weit diese Zündungen alle zusammengezogen werden.

Für mich ist der klassische Fall von Big Bang, alle Zündungen auf 360 Grad zu verteilen.

Eine Möglichkeit wäre, einen V4 bei 270 Grad und dann bei weiteren 90 Grad zu zünden?

Bei einem ganz konventionellen V4-Motor mit 90 Grad Zylinderwinkel würde man auf genau so einem Winkel landen, ja.

Warum hat man bei KTM eigentlich den Begriff Big Bang am Anfang nicht verwendet?

Für mich persönlich ist es so, dass die Definition nicht einfach ist. Es gibt nicht DEN Big-Bang, sondern man bewegt sich immer in dem Feld zwischen Screamer und Big-Bang.

Bei Honda kam im November 2016 sogar einmal die Bezeichnung Long-Bang ins Spiel. Was bedeutet das?

Das haben eigentlich die Japaner erfunden. Das müsste man die mal fragen. Ich denke, sie haben sich darunter vorgestellt, bei einem V4 nicht zwei Zylinder gleichzeitig zünden zu lassen, sondern kurz hintereinander.

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